So mancher im Internationalen Währungsfonds (IWF) hält die fünf Jahre Griechenland-Rettungspolitik für einen Fluch. Etliche Spitzenvertreter des Fonds hatten schon vor dem 9. Mai 2010 Bauchschmerzen, jenem Datum, an dem die 24 Mitglieder des IWF-Direktoriums grünes Licht für die Beteiligung am ersten Griechenland-Hilfsprogramm über insgesamt 110 Milliarden Euro gaben. Dies belegen bisher unveröffentlichte Protokollnotizen aus dem Gremium und Äusserungen der damaligen Akteure.

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Doch auch wenn seitdem fünf Jahre vergangen sind: Die brisanten Informationen bleiben aktuell. Denn im Oktober 2015 muss der Fonds entscheiden, ob er erneut für ein Griechenland-Hilfspaket mitzahlen will. So mancher Kritiker meint, die Institution sollte lieber die Regeln für ihre Krisenhilfen grundlegend überdenken.

Schon früh skeptische Worte von Lagarde

Auch für die Chefin des IWF, Christine Lagarde, geht es um viel. Die seit 2011 amtierende Französin muss sich im kommende Jahr zur Wiederwahl stellen. Den Weg für eine Beteiligung des IWF an den Griechenland-Hilfen hatte noch ihr Vorgänger, der über einen Sex-Skandal gestürzte Dominique Strauss-Kahn, eingefädelt. Dabei hatte er auch die Regeln für Hilfen an Krisenländer kräftig gedehnt.

Lagarde ihrerseits hatte schon 2012 Skepsis geäussert, als die zweite Rettungsaktion für das Mittelmeerland beschlossen wurde. Teil dessen war ein umfangreicher Schuldenschnitt, bei dem private Anleihen-Gläubiger des Landes auf mehr als die Hälfte ihrer Forderungen von 200 Milliarden Euro verzichteten.

«Alle Minister gratulierten sich gegenseitig und dann stand Christine Lagarde auf und sagte etwas in der Art von: Jungs, gratuliert euch lieber nicht - denn in drei Jahren wird man von euch fordern, noch mehr Geld zu geben», erinnert sich Gikas Hardouvelis, der Wirtschaftsberater des damaligen griechischen Regierungschefs Lucas Papademos. Die schon damals skeptische IWF-Chefin sollte recht behalten, wie man heute weiss.

Schuldentragfähigkeit als dehnbarer Begriff

Wie schon 2010 geht es im wesentlichen immer noch entscheidend darum, ob die auf mittlerweile über 300 Milliarden Euro angewachsene Staatschuld Griechenlands tragfähig ist - das Land also die darauf fälligen Zinsen und Tilgungen dauerhaft bezahlen kann. Kurzfristig dachte man beim Fonds einmal, dass mit einem Schuldenstand von 177 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung im Frühjahr 2014 der Höhepunkt überwunden sei und es dann nach 2020 wieder unter die Marke von 120 Prozent gehen werde. Inzwischen rechnen die europäischen Experten unter Einrechnung des vereinbarten neuen Programms damit, dass die Schulden im kommenden Jahr die 200-Prozent-Markte übersteigen und auch nach 2030 nicht unter 120 Prozent landen.

Schon als 2010 der Executive Board des Fonds über das erste Griechenland-Programm abstimmte, gab es bei vielen Direktoren, vor allem denen aus Schwellenländern, vernehmbares Murren. Das Unbehagen galt den Fragen, ob die griechischen Schulden tragfähig sind und ob nicht die scharfen Sparauflagen das Land weiter in den Abgrund stürzen. «Wir hatten ernste Zweifel an diesem Ansatz», gesteht der damalige brasilianische IWF-Direktor Paulo Nogueira Batista. «Überoptimistisch», so beschreibt sein indischer Kollege in dem Gremium, Arvind Virmani, die Erwartungen, auf denen das Hilfsprogramm basierten.

Doch der damalige IWF-Chef Strauss-Kahn, der die Griechenland-Krise als Gefahr für die Finanzstabilität der Euro-Zone und damit die Weltwirtschaft sah, setzte sich über derartige Bedenken hinweg.

Strauss-Kahn arbeitete Regeln für Kreditvergabe nach

Dabei strapazierte der mächtige IWF-Chef die Regeln für die Vergabe von Hilfskrediten bis an die Grenze - manche meinen, darüber hinaus. So setzte er praktisch den Grundsatz ausser Kraft, dass der Fonds Ländern keine Kredite geben darf, wenn dieses sie nicht «mit hoher Wahrscheinlichkeit» zurückzahlen kann. Indem er das tat, nahm er zunächst den staatlichen europäischen Geldgebern den Druck einer massiven Schuldenentlastung Griechenlands von den Schultern, die Experten schon damals für nötig hielten. Und mit viel zu optimistischen Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung machte er am Ende das möglich, was politisch gewollt war.

Darüber hinaus schuf Strauss-Kahn neue Regeln, um dem IWF Kredite an Griechenland zu ermöglichen. Der Fonds sollte auch in Fällen von «systemischer Wichtigkeit» einspringen - wenn also die Stabilität des Welt-Finanzsystems gefährdet war. Da Griechenland Mitglied der Euro-Zone ist und diese für das Welt-Finanzsystem von hoher Bedeutung ist, waren damit Hilfen berechtigt.

Allerdings zeigte das erste Griechenland-Programm nicht den erhofften Erfolg. Daher, so schildert es der frühere griechische Finanzminister George Papaconstantinou, entschied sich Strauss-Kahn im Mai 2011 dann doch, mit den Hardlinern in Europa Klartext zu reden und gegenüber der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf einen echten Forderungsverzicht zu drängen. Dazu allerdings kam es nicht mehr - Strauss-Kahn wurde durch eine Sex-Affäre aus dem Amt gefegt und vorübergehend festgenommen. Aus dem grossen klärenden Gewitter mit den Europäern wurde erst einmal nichts. «Ich sage nicht, dass Merkel überzeugt worden wäre», gesteht Papaconstantinou ein. «Aber die Debatte darüber hätten schon damals beginnen können.»

Und wieder muss der IWF über eine Beteiligung entscheiden

Im Oktober muss der Fonds nun ein weiteres Mal entscheiden, ob er in im Namen seiner 188 Mitgliedsländer bei dem jüngst beschlossenen dritten Griechenland-Hilfsprogramm mitzahlt. In den vergangenen Wochen liess der Fonds keinen Zweifel daran, dass er die griechische Schuldenlast für «im höchstem Masse» nicht tragfähig hält. Er forderte daher von den europäischen Geldgebern massive Entlastungen - allerdings ohne in letzter Zeit das Wort «Haircut» - Schuldenschnitt - zu gebrauchen.

Dieses Mal soll offenbar eine Neudefinition des Begriffs Schuldentragfähigkeit die Tür für eine IWF-Beteiligung öffnen. Nicht mehr die Schuldenlast soll das Mass aller Dinge sein, wie es der Fonds bisher sah. Die Bruttofinanzierungsquote, die sich aus den jährlichen Zins- und Tilgungsverpflichtungen eines Landes ergibt, soll nun entscheidend sein. Nimmt man diese, dann sieht es für Griechenland weniger düster als bei der Schuldenquote. «Das Konzept ist als solches vom IWF akzeptiert, das hat auch Frau Lagarde gesagt», schildert der Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling, dieser Tage. Regling hatte zuletzt viel mit den Washingtoner Krisenrettern zu tun.

Die kritischen Stimmen im Fonds verstummen aber nicht. Zwei hohe IWF-Offizielle erzählen, es gebe vielfältige Bemühungen in den Rängen, die Regeln für Hilfskredit-Vergabe wieder zu straffen und die Änderungen unter Strauss-Kahn zurückzudrehen. Auch hat der Fall Griechenland der Debatte über die Dominanz der USA und der Europäer im Fonds wieder Auftrieb verliehen.

Lagarde in der Zwickmühle

Für Lagarde ist es momentan nicht leicht, sich in diesem verminten Feld zu bewegen. Zwar hätte sie, sofern sie erneut um ihren Posten kandidiert, schon wegen der Unterstützung der Europäer und wohl auch der USA gute Chancen auf eine zweite Amtszeit. Doch wichtige Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien werden immer unruhiger und wollen Änderungen. Lagarde versucht, zwischen den Fronten zu lavieren. Die Europäer mahnt sie deutlich zu einer «konkreten Zusagen für eine signifikanten Entschuldung» Griechenlands, in einem Umfang, wie es ihn bislang im Falle des Landes noch nicht gab. Andererseits aber haben sie ihre europäischen Gesprächspartner allesamt so verstanden, dass sie am Ende doch Ja sagen wird zu einer Beteiligung des Fonds.

James Boughton, ein früherer IWF-Ökonom und Historiker, sieht das mit gemischten Gefühlen. «Inzwischen, nach fünf Jahren, sagt der Fonds endlich öffentlich, dass man das Problem nicht ohne eine größere Schulden-Umstrukturierung lösen kann», hält er seinem früheren Arbeitgeber zugute. «Es ist stark, dass das nun passiert, doch sie hätten das schon 2010 sagen sollen.»

(reuters/ccr)