Eigentlich sollten es gute Nachrichten sein: Die hundert grössten Schweizer Arbeitgeber erreichen aktuell die von der Politik geforderten Geschlechterrichtwerte. So hat derzeit jedes fünfte Unternehmen über 30 Prozent Frauen in seiner Geschäftsleitung. «Die diesjährigen Ergebnisse hinterlassen dennoch einen bitteren Nachgeschmack», sagt Guido Schilling (64) bei der Präsentation des «Schillingreports 2024». Der Bericht nimmt die Geschlechterentwicklung in den Schweizer Geschäftsleitungen unter die Lupe.

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Zwar erreichen die hundert grössten Schweizer Unternehmen die politischen Mindestansprüche, umgekehrt heisst das aber auch, dass noch immer fast jedes vierte Unternehmen ohne weibliches Geschäftsleitungsmitglied agiert. Auch bei den anderen Firmen scheint der kontinuierliche Aufwärtstrend beim Frauenanteil im obersten Management zumindest zu stocken. Der zuvor über Jahre anhaltende starke Aufwärtstrend – 2018 erfüllten erst 4 Prozent der Unternehmen diese Quote – ist damit offiziell gebrochen.

Guido Schilling, Headhunter und Herausgeber des Schilling Reports, fotografiert in seinen Büroräumlichkeiten / Sitzungszimmer im Primetower. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Guido Schilling, Headhunter und Herausgeber des «Schillingreports»: «Die diesjährigen Ergebnisse hinterlassen dennoch einen bitteren Nachgeschmack.»

Quelle: NZZ-Photographen-Team

Hohe Fluktuation bei Geschäftsleiterinnen

Dass die politischen Richtwerte erreicht wurden, überrascht Schilling nicht. «Jetzt, da die grundlegenden Hausaufgaben erledigt sind, liegt das Augenmerk auf den zu beobachtenden Mustern.» Besonders die hohe Fluktuation der Frauen in den Geschäftsleitungen der grossen Schweizer Unternehmen bereitet ihm Sorge. Den Zahlen zufolge sind im letzten Jahr deutlich mehr Frauen von ihren Posten in den Geschäftsleitungen zurückgetreten als die Jahre zuvor. Auffallend dabei ist gemäss Schilling, dass weibliche Geschäftsleitungsmitglieder bei Amtsaustritt mit drei Jahren auch eine deutlich kürzere Verweildauer im Gremium aufwiesen als ihre männlichen Kollegen mit sieben Jahren.

«Eine derart kurze Zugehörigkeit kann kaum nachhaltig sein», sagte Schilling an der Präsentation des Berichts. Eine Erklärung für die höhere Fluktuation sieht er darin, dass Frauen in Geschäftsleitungsgremien häufiger als Männer von aussen zum Unternehmen stiessen und nicht intern berufen wurden. Entsprechend müssten sie sich zuerst nicht nur mit der neuen Rolle, sondern auch mit dem Unternehmen und dessen Kultur vertraut machen. Intern Beförderte würden dagegen die unternehmensspezifische DNA schon kennen und seien bereits vernetzt, was helfe, sich in einer Position zu etablieren.

Zunehmend ausländische Chefinnen und Chefs

Unter den neu berufenen Geschäftsleitungsmitgliedern finden sich gesamthaft 55 Prozent ohne Schweizer Pass. Aufgeteilt nach Geschlecht sind es bei den Männern 51 Prozent, bei den Frauen sogar 66 Prozent. Deutlich internationaler zusammengesetzt sind die an der Schweizer Börse gelisteten Unternehmen (SMI-Konzerne). Sie haben durchschnittlich 73 Prozent ausländische Geschäftsleitungsmitglieder, wobei von den Männern 68 Prozent und von den Frauen 85 Prozent keinen Schweizer Pass besitzen.

Unter den neuen Geschäftsleitungsmitgliedern fällt ausserdem auf, dass Frauen mit durchschnittlich 49 Jahren bei Eintritt ins Gremium drei Jahre jünger sind als ihre männlichen Kollegen. Diese werden im Schnitt mit 52 Jahren berufen. «Die weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder sind jünger, werden früher befördert, haben eher keinen Schweizer Pass und verweilen deutlich kürzer im Gremium als ihre männlichen Kollegen», fasst Schilling den Bericht zusammen. 

(Mit Material der SDA)

Olivia Ruffiner
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