Hoi, Jean-Pierre.» «Salü Schampi, wie gehts?» Jean-Pierre Streich grüsst nach links, lacht nach rechts, hält einen kleinen Schwatz. Hier ist es ihm sichtlich wohl. Wohler wahrscheinlich als am wenige Kilometer entfernten Hauptsitz der Schweizer Post, wo er sonst als Mitglied der Konzernleitung arbeitet, verantwortlich für Entwicklung und internationale Strategien sowie E-Business. Hier – das ist das Zent-Areal an der Gemeindegrenze von Bern und Ostermundigen. Industrieruinen und heruntergekommene Lagerhallen werden wieder in Schuss gebracht, Hightechunternehmen und Internetbetriebe ziehen ein, sorgen für Aufbruchstimmung. So auch am Zentweg 25, einem mehrstöckigen, zwischen rostigen Geleisen, dem Warteck-Depot und der Indoor-Kartingbahn gelegenen, umgebauten Warenmagazin. Hier ist die Welt gelb, vor einem halben Jahr hat sich Yellowworld eingenistet. Auf mehreren Tausend Quadratmetern arbeiten über sechzig Personen, 2002 sollen es fünfmal so viele sein. Auf zwei offen gehaltenen Etagen, wo das Fehlen der Zwischenwände zu Nähe und Dialog zwingt, schmelzen die Platzreserven. Bald folgen 4000 Quadratmeter an zusätzlicher Bürofläche. Willkommen in der New Economy der Schweizer Post. Lange hat der nationale Briefträger Däumchen gedreht und zugeschaut, wie andere Unternehmen im Cyberspace ihre Warentische aufbauten. Nach fast zweijährigen Vorbereitungsarbeiten, einer halben Ewigkeit für Internetverhältnisse, wurde im Frühling dann doch noch die virtuelle gelbe Welt offenbart. In der neuen Tochtergesellschaft werden alle Dienste und Kompetenzen der Post im Bereich E-Business gebündelt (siehe «Cousinen im Halbprofil» auf Seite 73). «Wir bauen lediglich die Fassade um ein Projekt herum, an dem wir seit Jahren arbeiten», versucht Jean-Pierre Streich die Folgen allzu langer Versäumnisse zu übertünchen. Wer in diesem Geschäft zu spät kommt, den bestraft das Internet – mit überproportional hohen Kosten. Für den Aufbau des E-Business stellt die Post bis Ende 2002 nach offizieller Lesart 200 Millionen Franken zur Verfügung. Effektiv sind es 350 Millionen. Streich rechnet vor: 100 Millionen fliessen ins Projekt und in Beteiligungen an Partnerfirmen, 250 Millionen fallen an Betriebskosten an. Macht summa summarum 350 Millionen Franken. Anderseits wirft Yellowworld, so die gewagte Prognose, 150 Millionen an Betriebsertrag ab, macht netto 200 Millionen. Eine etwas seltsam anmutende Rechnerei, mit der wohl die üppige Investitionssumme vernebelt werden soll. Zumal darin die anderen, ebenfalls bedeutenden Aufwendungen der Post ins Netz nicht eingeschlossen sind: das Internetbanking Yellow Net von Postfinance oder die E-Mail-Produkte aus der Abteilung Briefpost. Den Eintritt ins E-Business hätten die Pöstler auch einiges günstiger haben können. In der weit verzweigten Familie der Urmutter PTT nämlich hat die Post eine Schwester, das Telekommunikationsunternehmen Swisscom. Diese wiederum gebar 1996 ein Töchterlein, das jüngst von Blue Window zu Bluewin mutierte. Die Post-Tochter Yellowworld also ist die Cousine von Bluewin, und die beiden gäben ein fast makelloses Dreamteam ab. Als grösster Internet-Serviceprovider der Schweiz bringt Bluewin 500 000 Kunden mit, dazu rund 60 Millionen Pageviews, herrührend aus der Stellung als führendes Internetportal, sowie jede Menge Aufbauerfahrungen aus dem virtuellen Geschäft. Die Mitgift von Yellowworld: rund zwei Millionen Postfinance-Kontos, davon 160 000 bei Yellownet; jährlich 700 Millionen Transaktionen, die für etwa vier Fünftel des Schweizer Geldverkehrs sorgen; die Post als starker Markenname, der Seriosität und Sicherheit ausstrahlt. Mehrere Monate wurde über ein Zusammengehen verhandelt, laut einem Beteiligten fehlte am Schluss «eine Winzigkeit» für den Handschlag. Weshalb scheiterten die Gespräche? «Wir wollten nicht die erste, aber auch nicht die zweite Geige spielen», witzelt Jean-Pierre Streich. Effektiv standen, so Streich, die Börsenpläne sowie die starke Marktstellung von Bluewin dem Joint Venture im Wege. Dazu lässt sich Christoph Brand, CEO von Bluewin, gerade mal mit einem trockenen «no comment» vernehmen. Die geplatzte Verlobung ist weder für Bluewin noch für Yellowworld ein Ruhmesblatt. Laut Beteiligten lag es nicht nur an einer Seite; vielmehr mochte Bluewin nicht gelb, Yellowworld nicht blau werden. Dabei wäre ein so genanntes Co-Branding, also der Aufbau beider Marken, kein Problem. Die Verzahnung der Homepages hätte allen eine starke Zunahme der Besucherfrequenzen gebracht, und der teilweise Austausch von Inhalten, die gemeinsame Entwicklung neuer Kanäle und vieles mehr hätten beide Marken gestärkt sowie zu Kosteneinsparungen geführt. Eine Partnerschaft wäre auch der mangelhaften Professionalität des Yellowworld-Managements zuträglich gewesen. «Die haben keinen einzigen Starttermin eingehalten. Beim Kostenmanagement wird geschludert, das Geld mit vollen Händen rausgeworfen», ereifert sich ein Zulieferer, der aus verständlichen Gründen namentlich nicht erwähnt werden will. Bei Lapidarem wie der Besetzung von Internetadressen reagiert die Post bedächtig. Zwei Jahre lang wurde über Yellowworld gebrütet, aber erst im Februar dieses Jahres die entsprechenden Domains reserviert. Da war nur noch yellowworld.org zu haben. Mit den Endungen .org oder .ch dürfte der von Jean-Pierre Streich mittelfristig ins Auge gefasste Vorstoss auf die internationalen Märkte für einige Lacher sorgen. Bremsend auf die Internetstrategie der Post wirken sich die massiven Eigeninteressen der verschiedenen Abteilungen aus. Gerade bei der Integration der einzelnen Dienste im Hauptportal liegt noch einiges im Argen. Eines grossen Nachteils ist sich Streich bewusst: «Wir können kein Finanzportal aufschalten.» Ein solches Ansinnen würde Postfinance-Chef Urs Wepf als Konkurrenzierung der von seiner Abteilung online vertriebenen Anlageinstrumente erachten. Allerdings werden gar keine eigenen Produkte feilgeboten; die Fonds stammen aus dem Hause UBS, die Versicherungen von der «Winterthur». Bluewin dagegen kennt keine Berührungsängste. Kürzlich wurde unter www.finance.bluewin.ch ein eigener Finanz-Informationskanal aufgeschaltet. Mit der grossen Kelle angerichtet wird Anfang 2001, wenn Bluewin mit seinen strategischen Partnern CS Group und TA-Media ein gemeinsames Finanzportal ins Netz hievt. Die künftigen Einnahmen sollen aus der Internetwerbung, den Kommissionen aus Börsentransaktionen sowie dem Weiterverkauf selbst produzierter Inhalte fliessen. 25 bis 30 Beschäftigte sind budgetiert, davon etwa 20 Journalisten. Wie viel in den Aufbau des eigenständigen Kanals gesteckt wird, ist noch nicht klar. «Ich kalkuliere mit einem sehr tiefen zweistelligen Millionenbetrag», erläutert Markus Gisler, «Cash»-Chefredaktor und künftiger Geschäftsführer des Finanzportals. Bereits in drei bis vier Jahren will Gisler den Break-even erreichen. Ambitiöse Vorgaben bei den Erträgen aus dem virtuellen Raum hat sich auch die Post gesetzt. «Yellowworld und das Internetportal sollten 2003 in die Gewinnzone gelangen», rechnet Jean-Pierre Streich vor. Mittelfristig erwartet der E-Business-Stratege 60 Prozent der Einnahmen aus E-Commerce-Aktivitäten, den Rest aus dem Portal. Keine Zahlen, weder gegenwärtige noch künftige, will Bluewin-Chef Christoph Brand mit Verweis auf das noch vor Ende dieses Jahres erfolgende Going-public nennen. Den stärksten Anteil an den Einnahmen, wohl weit über die Hälfte, generieren heute die Aktivitäten als Internet-Serviceprovider. Es folgen Business-Dienstleistungen, Bannerwerbung und zuletzt E-Commerce. Allerdings werden sich «die Erträge aus dem Bereich E-Commerce über die kommenden Jahre bedeutend verstärken», ist sich Christoph Brand gewiss. Diese Verlagerung auf der Einkommensseite ist nicht nur bei Bluewin, sondern auch bei anderen Serviceprovidern zu beobachten. Denn seit Gratis-Internetzugänge zum Standardangebot gehören, lässt sich mit Auffahrten in die Datenautobahn kaum noch Geld verdienen. Einzig die Rückvergütungen, welche die Provider von den Telekomunternehmen für vermittelte Surfzeiten einstreichen, hellen die Erfolgsrechnung etwas auf. Doch die Gesprächsgebühren, stellt man auf die Entwicklung in Amerika ab, tendieren immer mehr gegen null, womit sich auch diese Entschädigungen ausdünnen. Dennoch wird weiterhin munter die Werbetrommel gerührt. Besonders aggressiv gebärdet sich Bluewin: Wer beim führenden Provider ein Abo abschliesst, kann bei Interdiscount einen um 450 Franken verbilligten Everex-PC erwerben. Oder an einer mit Bluewin und der TA-Media lancierten Verlosung teilnehmen, Gewinnsumme eine Million Franken! «Wir haben ambitiöse Ziele, und die wollen wir auch erreichen», rechtfertigt Christoph Brand das teure Werben. Der Grund für die auf den ersten Blick widersprüchliche Haltung ist darin zu suchen, dass die Provider so genannte Internetportale betreiben, Eingangspforten ins WWW. Mit attraktiven Inhalten und speziellen Diensten wird versucht, möglichst viele Surfer anzulocken. Die bewährtere Methode: Neuen Providerkunden wird eine CD abgegeben, dank der beim Einstieg ins Netz das betreffende Portal als Startseite erscheint. «Viele Portale weisen nur deshalb gute Frequenzen auf, weil der Besuch über die Software quasi erzwungen wird», kritisiert Matthias Zehnder, Chefredaktor des Schweizer Internetmagazins «Netzwoche». Diese Einschätzung bestätigt René Burgener, Mitglied der Geschäftsleitung bei Sunrise Communications: «Eine Untersuchung bei unseren Kunden hat ergeben, dass annähernd vier Fünftel die Startseite nicht verändert haben.» Je mehr Besucher ein Internet-Torwächter auf sein Portal lotsen kann, desto mehr kassiert er für Werbung, desto höher sind die über seinen Kanal abgewickelten Käufe im Cyberspace und damit seine Provisionen. Seit auch in der Schweiz das virtuelle Shopping anzieht, ist bei den Einstiegsseiten ein Investitionsschub zu beobachten (siehe «Wettrüsten unter den Schweizer Anbietern» auf Seite 74). Und alle suchen sie ihr Heil im Ausbau des E-Commerce. Die Rechnung der meisten Portalbetreiber wird nicht aufgehen. Über Internetpforten wird überwiegend B2C abgewickelt, also Business to Consumer, beispielsweise der Verkauf von Reisen, Computern, Blumen, Büchern. B2C weist eine hohe Wachstumsdynamik, jedoch ein nur geringes Volumen auf. Laut einer Studie der Boston Consulting Group wurde 1999 im heimischen B2C ein Umsatz von rund 200 Millionen Franken erzielt, dieses Jahr dürfte das Doppelte anstehen. Unter der euphorischen Annahme einer jährlichen Verdoppelung schiesst der Umsatz bis ins Jahr 2003 auf 3200 Millionen Franken hoch. Grosszügig geschätzt, wird dannzumal ein Drittel des Handels über Internetportale abgewickelt – 1999 waren es noch etwa zehn Prozent. Geht man, wiederum generös gerechnet, von einer durchschnittlichen Provision von 1,5 Prozent aus, welche die Portale für ihre Vermittlerdienste kassieren, bleiben 16 Millionen hängen. Um diesen Betrag balgen sich in drei Jahren gegen zwei Dutzend Internet-Eingangspforten im B2C! «Kaum ein Portal wird in diesem Geschäft so schnell Profite erwirtschaften. Das zwingt die Betreiber, auf zehn Jahre hinaus zu denken», gibt Michael Füllemann, bei Boston Consulting Group zuständig für E-Commerce in der Schweiz, zu bedenken. Eine zu lange Durststrecke für die meisten Portale. Wer nicht zusätzlich im attraktiveren B2B (Business to Business) verankert ist oder eine finanzstarke Mutter hinter sich weiss, muss abtreten. «Mittelfristig werden ein oder zwei internationale sowie zwei nationale Portale in der Schweiz noch eine dominierende Rolle spielen», legt Christoph Brand Pessimismus an den Tag. Weitaus vielfältiger bleibt dagegen das Angebot bei Portalen, die sich spezialisiert haben, beispielsweise auf Finanzen. Die besten Chancen zum Überleben haben Bluewin und Yellowworld. Doch sogar die beiden Cousinen müssen sich fragen, wie sie am besten durch die Trockenzeit kommen. Vielleicht erinnert man sich eines Tages wieder alter Pläne. Der Postmann Jean-Pierre Streich jedenfalls schliesst nicht aus, «dass wir später einmal enger zusammengehen könnten». Never say never again.
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