Das Lagerfeuer knistert, in einer Pfanne Spiegeleier und Würstchen. Dazu reicht Beda Achermann etwas Brot. Im Hintergrund rauschen die Bäume und singen die Vögel. Rehe und Füchse nähern sich vorsichtig. So erzählt der Kreativdirektor und Künstler Achermann von der Zeit während des Lockdowns, als er einen kleinen Holzverschlag im Wald auf dem Zürichberg bezog.

Die Konstruktion hatte er schon öfter beim Joggen gesehen. Hier arbeitete er einige Tage, sammelte Ideen und verbrachte sogar eine Nacht. «Das ist wahrer Luxus. Ich habe mich selten freier gefühlt.» Normalerweise pendelt Achermann zwischen London, Berlin, Paris, New York. Doch im Frühjahr war auch für ihn wie für Millionen andere Beschäftigte in der Schweiz das Homeoffice der einzige Arbeitsort. Warum also nicht im Wald, fernab der Zivilisation arbeiten?

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Arbeiten im Grünen

Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, sogar das Gartenhäuschen, der Bauwagen, das Hausboot oder der Partykeller können zum Minibüro umgebaut werden, zum sogenannten Tiny Office. Seit das Coronavirus die Menschen in ihre Häuser zwängt, zwischen lärmende Nachbarn und schreiende Kinder, wächst das Ruhebedürfnis vieler Beschäftigter. Im eigenen Haus fehlt es an Platz und separaten Räumen, um ungestört arbeiten zu können.

Und jetzt, da der Lockdown in einigen europäischen Ländern wieder näher rückt und eine dritte Welle im Frühjahr wahrscheinlich ist, dürften auch in der Schweiz viele Menschen von einem ungestörten Arbeitsort im Grünen träumen.

Eine Zürcher Kundin orderte ein im Wald schwebendes Arbeitszelt.

Der Bauunternehmer Hugo Schumacher sieht in dem Bau autarker Kleinbüros sogar ein neues Geschäftsmodell. Im vergangenen Jahr gründete Schumacher die Elmobau AG in Luterbach. Das Unternehmen baut sogenannte Tiny Houses, also mobile Holzhäuser in verschiedenen Grössen. Vom Solo-Apartment bis zur geräumigen Loft.

Im April baute Schumacher das erste Modellhaus – mitten im Lockdown. «Der Gedanke, die Häuser unter der Marke Polyloft auch als Tiny Office anzubieten, war deshalb naheliegend», sagt Schumacher. Als Probelauf nutzt Schumacher das Modellhaus zunächst selbst als Büro. Nun will er seine Minihäuser als Tiny Offices an Immobilienfirmen verkaufen.

Die Idee: Eigentümer grosser Mehrfamilienhäuser könnten Schumachers Holzhäuschen auf Grünflächen vor den Wohnkomplexen aufstellen und zeitweise ihren Mietern als Büro oder Besprechungsraum zur Verfügung stellen. «Wer im Homeoffice mal seine Ruhe haben will, könnte in den kleinen Häusern konzentriert arbeiten oder Besprechungen abhalten», sagt Schumacher. Den Zugang zu den freistehenden Büros könnten die Vermieter per App steuern.

Zukunft der Büros?

Alternativ: Tiny Offices im Garten oder mobil sind eine Art ausgelagertes Homeoffice. Man verbindet die Vorteile von einem vom Wohnbereich komplett getrennten Arbeitsraum und der Nähe zu Kindern und Familie in Notfällen.

Günstig: Für Startup-Firmen und Selbstständige sind auch geleaste Tiny-House-Büros eine Alternative zu einem Platz im lauten Coworking Space oder einer teuren Bürofläche in der Innenstadt.

Komplex: Unterschieden werden mobile und feste Tiny Offices, also etwa ein Caravan und ein im Garten fix verbautes Objekt. Für Zweiteres braucht es in den meisten Fällen eine Baugenehmigung. Ein Vorgespräch mit der zuständigen Gemeinde ist zu empfehlen.

Eine ähnliche Idee hatte auch Fabrice Moser, CEO und Co-Founder von Yellowcamper, einem Anbieter von Camping-Vans. Im März hat Moser seine grau-gelben Camper der Armee und dem Zivilschutz als fahrende Büros für Offiziere und Führungskräfte angeboten. «Die Wagen sind isoliert und leicht zu desinfizieren», so Moser. Perfekt also für fahrende Einsatztrupps.

Doch das Militär lehnte ab. Stattdessen will Moser jetzt einen Teil seiner Wohnmobilflotte seinen eigenen Mitarbeitenden zur Verfügung stellen – als Alternative zum Büro. «Wer mal zwei Stunden Ruhe braucht, geht einfach in ein Wohnmobil und kann dort entspannt arbeiten.»

Alesch Wenger und Florentina Gojani haben sich schon vor Corona mit dem Verkauf von Tiny Houses einen Namen in der Szene gemacht. Der Architekt und die Projektmanagerin planen und bauen für ihre Kunden sogenannte Kleinwohnformen. Das sind in der Regel Wohneinheiten mit einer Gesamtfläche von höchstens 40 Quadratmeter pro Person.

Für eine Designerin zum Beispiel entwerfen Wenger und Gojani gerade einen autarken Meditationsraum am Zürichsee. «Die Kundin arbeitet viel und hat sich einen Raum gewünscht, an dem sie ungestört ihre Pausen geniessen kann», sagt Wenger. Daher entwickelte der 35-Jährige für seine Kundin eine Zeltkonstruktion, die er freischwebend zwischen Bäume spannt – eine Mischung aus Hängematte und Zelt.

Die meisten seiner Kunden wünschen sich Häuschen, in denen sie nicht nur arbeiten, sondern auch dauerhaft leben können. Für einen Landbesitzer aus der Zentralschweiz etwa plant das Kollektiv gerade den Bau von vier oder fünf Holz-Minihäusern. Der Kunde will die kleinen Wohnhäuser langfristig an Menschen mit einem Bewusstsein für Nachhaltigkeit und dem nötigen Kleingeld vermieten.

Banken finanzieren kaum

Und was kosten die neuen Arbeitsorte? Zwischen 120 000 und 150 000 Franken kosten die Minihäuser mit einer Wohnfläche zwischen 15 und 25 Quadratmeter. Grössere sogar ungefähr 250 000 Franken. Hinzu kommen der aufwendige Genehmigungsprozess und Gebühren. Denn: Selbst für kleine Bauten wie den Wintergarten oder das Gartenhaus braucht der Bauherr oft eine Bewilligung. Abstände zu den Nachbarn müssen eingehalten und Sichtachsen freigehalten werden.

Die Vorschriften sind von Kanton zu Kanton verschieden. Wenn das Tiny House ausserhalb der Gemeindegrenze, zum Beispiel im Wald, liegt, muss unter Umständen sogar der Flächenbebauungsplan geändert und ein Bebauungsplan erstellt werden. Da kann schon mal einige Zeit ins Land gehen, bis die Genehmigung steht. Ein Tiny House allein zum Arbeiten zu nutzen, lohnt sich also oft kaum. «Die meisten Kunden wollen in den Häusern wohnen», so Wenger.

Aber wohnen und arbeiten – das lässt sich seit Anfang des Jahres nur noch schwer voneinander trennen. «Viele Menschen wollen raus aus der Stadt und wünschen sich seit Corona einen multifunktionalen Raum zum Leben und Arbeiten», sagt Wenger, der mit seiner Partnerin Gojani in einem selbst gebauten Minihaus am Stadtrand von Zürich arbeitet. Neben einem Schreibtisch stehen in dem mintgrünen Bauwagen auch ein Bett, eine Dusche und eine Toilette. Seit zwei Jahren hat das Haus sogar eine Strassenzulassung. So können Wenger und Gojani selbst entscheiden, wo sie leben und arbeiten. «Diese Flexibilität ist ein enormer Gewinn an Lebensqualität», sagt Wenger.

Gerade in Corona-Zeiten sehnen sich wohl viele Stadtbewohner nach dieser Flexibilität. Dementsprechend sei die Nachfrage bei ihrem Kollektiv Winzig in den vergangenen Monaten spürbar gestiegen, so Wegner.

Mobile Tiny Houses reichen den Banken oft nicht als Sicherheit.

«Es ist Wahnsinn, wie das Interesse gestiegen ist», sagt auch Tanja Schindler. Ihre Kunden legen vor allem Wert auf Nachhaltigkeit und eine ökologische Bauweise. Denn die Baubiologin entwirft und baut sogenannte Ökominihäuser. Das sind kleine Wohnbungalows, die Schindler komplett aus nachhaltigen Materialien baut. Die Wände der 35-Quadratmeter-Häuser sind aus Schweizer Fichtenvollholz, die Innenausstattung grösstenteils aus massiver Eiche. Strom liefert eine Solaranlage auf dem Dach und die Wärme kommt aus einem Stückholzofen.

Beim Umzug kann das Haus als Ganzes abtransportiert und an anderer Stelle wieder abgestellt werden. In den vergangenen Monaten registrierte Schindler deutlich mehr Anfragen.
Bei der Suche nach neuen Käufern sei vor allem die Finanzierung eine grosse Hürde, sagt Schindler. Denn neben der Grundstücksmiete müssen die Bewohner auch den Kaufpreis von 240 000 Franken oft aus eigener Tasche zahlen. Die Schweizer Banken sehen die mobilen Wohnformen immer noch skeptisch.

Für sie ist eine Immobilie immer auch an ein Grundstück gebunden, mit einem festen Fundament aus Stein und Beton. Mobile Tiny Houses hingegen reichen den Banken oft nicht als Sicherheit. Bei der Vergabe von Hypotheken gehen Käufer von Tiny Houses dementsprechend meist leer aus.

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