Die Botschaft ist unmissverständlich: mehr Schlagkraft, mehr Verantwortung, mehr Konsequenz. Bei Nestlé etwa wird über stärkere Individualanreize gesprochen, zeitgleich stehen bis zu 16’000 Stellenstreichungen im Raum – Signale, die an den Finanzmärkten gut ankommen. Die Rhetorik verrät zugleich eine Unzufriedenheit mit früheren Beurteilungen: Leistung sei nicht korrekt gemessen worden, jetzt müsse man «die Zügel anziehen». Die Gefahr ist offensichtlich: Das Pendel schwingt zurück – weg von Vertrauen, Flexibilität und moderner Zusammenarbeit hin zu rigider Steuerung und autoritären Gesten. Wer in dieser Lage lediglich den Ton verschärft, verwechselt Disziplin mit performance-orientierter Entwicklung.

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Erfolg macht träge. Was lange funktioniert, wird oft nur noch inkrementell gestrafft, nicht mehr grundsätzlich hinterfragt. Dreht das Umfeld – durch Kosten, Zölle, Nachfrage oder Technologie –, zeigt sich schmerzhaft, dass die Pflege funktionierender Abläufe keine Verbesserung ist. Wer dann nur strenger wird, löst das Kernproblem nicht: Wie wird im Alltag tatsächlich anders gearbeitet, damit Ziele schneller, robuster und nachhaltiger erreicht werden?

Der Autor

Lars B. Sonderegger ist Professor für Organisation und Leadership am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR an der HSLU Hochschule Luzern.

Die Verkürzung auf mehrheitlich ein einziges Instrument, wie etwa die Individualisierung von Boni, macht die Sache scheinbar einfach – und ist doch eindimensional. Meritokratie als Label ersetzt kein Betriebssystem für Leistung. Entscheidend ist, was Führungskräfte und mit ihnen ihre Teams morgen konkret anders tun. Da passt der Satz, der – oft, wenn auch vermutlich zu Unrecht – Albert Einstein zugeschrieben wird: «Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.»

Was der Profisport vormacht

Der professionelle Sport steigert Leistung seit Jahrzehnten systematisch. Nicht Parolen, sondern Evidenz dominiert: periodisierte Trainings, definierte Leitindikatoren, technisches und psychologisches Coaching, Routinen für Feedback und Erholung. Selbst Champions trainieren nicht zum Erhalt, sondern für Fortschritt. Dieses Mindset – und vor allem die dahinterliegende Methodik – fehlt vielen Organisationen. Technologie- und Prozessupdates bleiben wirkungslos, wenn Menschen damit in alten Denkmustern arbeiten. Verbesserungen brauchen ein Verfahren, das sie wahrscheinlicher macht – Tag für Tag, Einheit für Einheit, Sprint für Sprint.

Moderne Führung macht Menschen besser

Moderne Führung organisiert Leistung, indem sie Menschen besser in dem macht, was sie tun – nicht, indem sie sie nur härter treibt. Das beginnt mit Klarheit: Teams und Einzelne brauchen klare Ziele, die anschlussfähig an den Purpose sind und sauber an Verantwortlichkeiten andocken. Messbarkeit folgt daraus nicht in Form einer Flut von KPI, sondern über wenige, aber relevante Leitindikatoren, die vor den Ergebnissen ausschlagen – etwa kürzere Durchlaufzeiten oder mehr qualifizierte Kundenkontakte pro Woche. Führung wird anschliessend zur Koordinationsarbeit: Abhängigkeiten werden aktiv gemanagt, Schnittstellen gepflegt, Instabilitäten früh sichtbar gemacht. Der entscheidende Hebel liegt im Arbeitsfluss: Feedback und Coaching passieren nicht lediglich im Seminarraum, sondern «on-the-job» z.B. nach einer Kundeninteraktion oder einem wichtigen Projektschritt. Verbindlichkeit entsteht nicht durch Drohkulissen, sondern durch klare Erwartungen, regelmässiges Nachhaken und konkrete Hilfe, wo sie nötig ist. So verstanden ist Führung weder Charisma-Show noch Mikromanagement, sondern die Organisation von Entwicklung und Verbesserung.

Technologie: Vom Verwaltungs- zum Führungsinstrument

Viele digitale Systeme dienen heute vor allem der Administration: Zeiterfassung, Spesen, Absenzen. Für Führung bräuchte es ein Leistungscockpit, das wenige, robuste Signale nahezu in Echtzeit zeigt: Wie entwickeln sich Engagement, Qualität oder Blocker pro Woche? Künstliche Intelligenz kann Muster in Kundenfeedback, Tickets, Fehlerraten oder Entscheidungszeiten verdichten und Führungskräfte auf Risiken und Chancen hinweisen. KI soll nicht entscheiden, sondern Orientierung schaffen – damit menschliche Führung zur richtigen Zeit das richtige Gespräch führt.

Führung als Tätigkeit – nicht nur Stil

Die Diskussion der vergangenen Jahre kreiste fast ausschliesslich um Führungsstile: transformational, «auf Augenhöhe», situativ und so weiter. Dabei geriet aus dem Blick, was Führung eigentlich tut, also die Führungsarbeit. 

Sie beginnt bei einer klaren Übersetzung der Unternehmensziele in wenige, verbindliche Outcome-Ziele pro Team und endet nicht, bevor jede Rolle weiss, was «gut» heisst und woran es gemessen wird. Dazwischen liegt der Takt: regelmässige Leistungsdialoge, die Daten nicht zelebrieren, sondern nutzen; präzises Entfernen von Hindernissen; schnelle, begründete Entscheidungen – und nicht HR-theoretische Fragebogen, sondern direkt im 1:1-Führungscoaching auf die Arbeit bezogen. Führung hat im Auge, was hilfreich ist, und überlegt sich, wie Dinge verbessert werden können – darauf bezieht sich dann das spezifische Feedback. Führung synchronisiert Schnittstellen, bevor Reibung entsteht, und etabliert eine faire, nachvollziehbare Vergütung, die Team- und Systemleistung angemessen gewichtet und individuelle Beiträge dort honoriert, wo die Datengrundlage robust ist. Kurz: Die Frage ist nicht nur, wie jemand führt, sondern was dadurch im Alltag anders und besser gemacht wird.

Ein Operating System für Leistung

Wer nicht in alte Härte zurückfallen will, braucht ein verlässliches Führungs-OS, das auf jeder Ebene greift – vom Einstieg bis zum Verwaltungsrat. Es beginnt mit einem klaren Nordstern und wenigen, priorisierten Zielen pro Quartal, die für alle sichtbar sind. Zu jedem Ziel gehören zwei bis drei Frühindikatoren und eine einfache Ampellogik, die Abweichungen nicht dramatisiert, sondern rechtzeitig signalisiert. Der Rhythmus ist bewusst knapp: Ein kurzer, wöchentlicher Leistungsdialog hält den Fokus, macht Lernpunkte explizit und erzwingt Entscheidungen dort, wo sie anstehen. Entscheide brauchen klare Fristen und Zuständigkeiten, damit sich Leerlauf und Politik nicht ausbreiten. Führung passiert nah an der Arbeit: Beobachtung ersetzt Annahme, spezifisches Feedback ersetzt Allgemeinplätze. Vergütung wird verständlich gemacht – mit einem Anteil für die Teamleistung, einem für die Qualität des Systems und einem für den individuellen Beitrag. Und Technologie hat nur dann einen Platz, wenn sie diese Mechanik stützt: Sichtbarkeit erhöhen, Reibung senken, Lernzyklen beschleunigen statt Datenfriedhöfe zu füllen.

Was das für Schweizer Unternehmen bedeutet

Harte Portfolioentscheide und Effizienzprogramme können sinnvoll sein. Nachhaltig werden sie erst, wenn die zweite Hälfte der Gleichung folgt: ein belastbares Führungs- und Verbesserungssystem im Alltag. Sonst entstehen kurzfristige Effekte – und mittelfristig Identifikationsverlust, Fluktuation und Qualitätsrisiken. Gerade in grossen Organisationen – ob Industrie, Konsumgüter oder Finanzdienstleister – ist entscheidend, dass moderne Führung skalierbar ist. Ein evidenzbasiertes Leadership-OS schafft die Voraussetzungen, dass 277’000 Mitarbeitende bei Nestlé, Zehntausende in Banken oder Spitälern nicht nur «mitgehen», sondern besser werden – messbar, wiederholbar und auch menschlich.

Das Umfeld ist härter geworden. Die Antwort ist nicht die Nostalgie einer autoritären Vergangenheit, sondern wissenschaftlich basierte Methoden und Konzepte moderner Führung. Unternehmen, die diese konsequent umsetzen und sich am Vorbild des professionellen Sports orientieren, werden eine neue Leistungskultur prägen – und Fortschritt messbar machen. Die anderen werden feststellen: Härte ohne Methode ist bloss Lärm.