Ich bin gerade aus Dubai zurück. In Dubai war es ideal zum Golfspielen, Sonne, um 25 Grad Celsius, leichter Wind. Man kam nicht ins Schwitzen.

Warum gehe ich im Februar in Dubai Golf spielen, wenn es in unseren Alpen gleichzeitig einen der besten Schneewinter aller Zeiten gibt?

Wir sind damit beim Thema des Saisondimorphismus. Der Saisondimorphismus beschreibt in der Biologie, wie sich Organismen zu bestimmten Jahreszeiten jeweils verändern. Die Schmetterlinge mit dem hübschen Namen Landkärtchen zum Beispiel sind im Frühjahr schwarz und braun gemustert, im Sommer dann entwickeln sie weisse und rote Farbenspiele. Bei den Bienen zeigt sich der Saisondimorphismus etwa bei der Giftproduktion, die im Sommer deutlich höher liegt als im Herbst.

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Uns etwas höher entwickelten humanen Lebewesen hingegen ist der wechselnde Rhythmus der Jahreszeiten weitgehend abhandengekommen. Der vielleicht wichtigste Effekt der Globalisierung auf unser tägliches Leben ist die Entsaisonalisierung. Das tönt nun etwas gestelzt, meint aber, dass Frühling, Sommer, Herbst und Winter ihre Ordnungsfunktion für unseren Alltag eingebüsst haben.

Wir sind saisonal entwurzelt. Wir spielen im Februar Golf in Dubai oder Südafrika und schnorcheln im November auf den Malediven. Und es gibt genügend Verrückte, die im August nach Chile und Argentinien fliegen, um dort das Snowboard auszupacken. Wenn es in unseren Alpen aber einen der besten Schneewinter aller Zeiten gibt, dann lassen wir ihn vor der Haustür links liegen.

Ich will nicht nostalgisch werden, aber ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als der Wechsel von den Sommer- zu den Winterreifen ein prägender Einschnitt im Autofahrerleben war. Ich weiss auch noch, wie es war, als die Spargeln jeweils erst Mitte April in die Läden kamen und es von September bis Mai keine Erdbeeren gab. Man freute sich noch auf die Spargeln.

Der Trend ist nicht nur zivilisatorisch bedingt, sondern offenbar übergreifend. Wenn wir nochmals zu den Viechern zurückkehren, dann müssen wir leider festhalten, dass sich auch hier erste Auflösungserscheinungen zeigen. Zugvögel zum Beispiel, etwa Blässgänse, Sturmmöwen und Schellenten, verlieren zunehmend die Lust auf dieses mühsame saisonale Pendeln und bleiben auch im Sommer lieber stationär vor Ort. Auch manche Lachse, genetisch für lange Wanderungen programmiert, neigen zu zunehmender Abkehr vom Saisondimorphismus.

Eine alte Marketingregel sagt, dass es zu jeder These eine Gegenthese geben muss. Darum will ich zum Schluss Mon Chéri lobend erwähnen.

Der Süsswarenkonzern Ferrero erfand mit seinem Praliné die Saisonalität von neuem. Mon Chéri gibt es im Sommer nicht zu kaufen. Offizielle Begründung ist, dass es im Sommer keine sogenannten Piemont-Kirschen gibt. Mit grossem Tamtam wird dann jeweils das Ende der kulinarischen Sommerpause abgeläutet, und die fiktive Kirschenexpertin Claudia Bertani verkündet via TV-Spot das Ende der schrecklichen pralinélosen Zeit.

Die Argumentation ist für jeden Lebensmittelchemiker natürlich ausgemachter Blödsinn, aber es ist doch ein hübscher Gegenentwurf zu den zeitgenössischen Golfspielern, Snowboardern und Spargelessern.

Es gibt doch wieder Jahreszeiten – Jahreszeiten aus Schokolade.

Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien und Outdoor-Sport. Zudem studiert er Biologie.