Der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Thomas Daum, hat sich vom Saulus zum Paulus gewandelt. Vor wenigen Wochen noch machte er sich mit dem Gewerbeverband für branchenübergreifende Nullrunden stark. Die Löhne würden im nächsten Jahr bei einer mutmasslichen Teuerung von 0,8 Prozent real gar sinken, lautete das Credo der Arbeitgeber. Doch die Wirtschaft erholt sich zusehends, nächstes Jahr dürfte die Konjunktur überraschend stark anziehen. Nun glaubt selbst Daum nicht mehr, dass es zu einer generellen Nullrunde kommen wird: «Erfreulicherweise gibt es Branchen, die noch einigermassen gut laufen und Lohnerhöhungen verkraften können. Eine flächendeckende Nullrunde wird es in diesem Lohnherbst nicht geben.» Doch die Salärerhöhungen, schränkt er ein, würden sich in einem sehr bescheidenen Rahmen bewegen. Auf eine Zahl mag er sich indessen nicht festlegen: «Es bestehen zu viele offene Fragen, wie es mit der Konjunktur tatsächlich weitergeht.»

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Ungebrochenen Optimismus versprüht dagegen Towers Perrin. 2,5 Prozent mehr Lohn dürften Schweizer Arbeitnehmer 2010 heimtragen, prophezeit die auf Salärfragen spezialisierte Beratungsfirma. Das macht bei 0,8 Prozent Inflation unter dem Strich um 1,7 Prozent höhere Saläre. Gemäss Lohnumfrage von Towers Perrin kommen das mittlere Management und die hoch qualifizierten Spezialisten am besten weg. Doch die Salärsteigerungen liegen eng beieinander, die Schere zwischen hohen und tiefen Löhnen schliesst sich markant. Erstmals müssen sich Topmanager gemäss Umfrage tendenziell mit kleineren Salärsteigerungen zufrieden geben als die unteren Chargen (siehe «2010: Erhöhung der Salärbudgets» als PDF im Anhang).

Rauf und Runter. Noch vor kurzem sah dies ganz anders aus. Die Diskrepanz zwischen Top- und Normalsalären nahm immer stärker zu. Während die Arbeitnehmereinkommen 2007 mehr oder minder stagnierten, stiegen die Topsaläre fast ins Unermessliche. 2007 beispielsweise steigerten die CEO der SMI-Firmen ihr Durchschnittssalär um 39 Prozent von 5,7 auf 7,9 Millionen Franken. Die Krise setzte diesem Trend dann ein abruptes Ende. Im Jahr darauf sind die CEO-Gehälter um fast den gleichen Wert getaucht, wie eine Studie der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers zeigt.

Neuere Untersuchungen bestätigen diesen Befund. «Die Lohnschere geht in diesem und im kommenden Jahr nicht weiter auf», sagt Michael Bruggmann, Leiter HR- und Vergütungs-Beratung von Hewitt Associates. Ihre Umfragen sagen für die obersten Funktionsstufen Salärsteigerungen von 1,8 Prozent voraus, während das mittlere Management und die Hochqualifizierten ein Plus von 1,9 Prozent auf dem Lohnkonto verbuchen können – ein veritabler Paradigmenwechsel. Die Spezialisten von Hewitt befragten zwischen Juli und Ende September 130 Firmen aus allen Branchen der Schweiz. Dabei zeigte sich, dass die von der Krise weniger tangierten Branchen wie Pharma und Konsumgüter (2,3 Prozent), Hightech und Medtech (2,2 und 1,9 Prozent) sowie Chemie (1,8 Prozent) die Löhne am stärksten erhöhen. Schlusslichter bilden die Finanzindustrie und der Maschinenbau.

Trotz Jahrhundertkrise mehr Lohn: Mit diesem Befund hört die Einigkeit unter den Salärspezialisten aber auch bereits auf. Urs Klingler von der Beratungsfirma CCT hält nichts von zweiprozentigen Steigerungen. «Die Saläre», sagt er, «gehen nur moderat um 1,2 bis 1,4 Prozent nach oben.» Dass sie überhaupt steigen, führt er auf mehrere Ursachen zurück. «Zum einen wollen die Firmen ihre High Performer nicht vergraulen oder gar verlieren.» In der Chemie werden gemäss Towers Perrin alle Firmen das Salärbudget für die Leistungsträger erhöhen, in der Beratung sind es 82 Prozent, in der Hightechbranche 73 und in der Pharma 67 Prozent. Zum anderen gehe der Wettbewerb um hoch qualifizierte Berufsleute unvermindert weiter. Ingenieure oder IT-Fachleute etwa kassierten auch in jüngster Zeit noch markant mehr Lohn, wie die neusten Umfragen der Branchenverbände unter ihren Mitgliedern belegen.

Aufgefallen sind Klingler zwei weitere Gruppen von Profiteuren im Wettbewerb um höhere Löhne: die grauhaarigen Spezialisten mit grosser beruflicher Erfahrung und die gut ausgebildeten Frauen, die sich getrauen, ihr Verhandlungsgeschick in die Waagschale zu werfen. Sie werden einen Grossteil der Salärbudget-Erhöhungen für sich beanspruchen.

Dennoch steigen die Löhne 2010 nicht in den Himmel, wie die Oktoberumfrage von UBS Wealth Management Research erhellt. Über alle Branchen ergibt diese Studie Salärsteigerungen im Umfang von 0,8 Prozent, was bei einer ebenso hohen mutmasslichen Teuerung real auf eine Null herauskommt (siehe «UBS-Lohnumfrage» als PDF im Anhang). Die Hälfte der 22 Branchen werden ein Lohnwachstum von unter einem Prozent ausweisen, 4 davon müssen gar mit einer Nullrunde rechnen – mithin mit einem Reallohnverlust. Mit einem Plus von 1,5 Prozent steht die Beratungsbranche am besten da.

Verlorenes Jahr? Die UBS-Lohnumfrage ist eine der repräsentativsten in der Schweizer Unternehmenslandschaft. Ihre Trefferquote ist hoch – über die letzten 21 Jahre wich sie von der offiziellen Statistik des Bundes im Durchschnitt um lediglich 0,34 Prozent ab. Gemäss UBS ist 2010 bei den Boni mit Abstrichen zu rechnen. Im Topmanagement sinkt der Anteil der Firmen, die einen Bonus zahlen, am geringsten um 4 Prozentpunkte auf 58 Prozent, bei den einfachen Angestellten am stärksten von 47 auf 11 Prozent. Zumindest bei den Banken geht der Trend wieder zu höheren Fixlöhnen, der variable Teil wird markant herabgesetzt.

2010 wird kein weiteres verlorenes Jahr für die grosse Masse der Schweizer Arbeitnehmer. Zwar sind die Löhne in den letzten Jahren nach der offiziellen Statistik trotz Boom um die Nulllinie gependelt, während die Schweizer Wirtschaftsleistung von 2004 bis 2008 um 15 Prozent zugenommen hat. Die offiziellen Zahlen bilden jedoch nur die halbe Wahrheit ab. Sie gehen von einer statischen Betrachtungsweise aus, während sich der Arbeitsmarkt und das Lohngefüge dynamisch entwickeln. Wie der AHV-Statistik, die alle Lohnbewegungen erfasst, zu entnehmen ist, haben sich die Saläre über diesen Zeitraum im Gleichschritt mit dem Bruttoinlandprodukt bewegt – von Lohnstagnation also keine Spur. Höhere Qualifikationen der Mitarbeiter, der Aufstieg in eine höhere Funktionsstufe oder Jobwechsel verursachen laufend Bewegungen im Lohngefüge.

Kommt im nächsten Jahr hinzu, dass viele der Unternehmensgewinne, die vor Jahresfrist noch im roten Bereich waren, förmlich explodieren werden. Von 15 Branchen im Aktienuniversum der Bank Vontobel werden im nächsten Jahr deren 10 mit zweistelligen Raten zwischen 10 und 48 Prozent wachsen, und lediglich 3 Wirtschaftszweige werden in den roten Zahlen verharren (siehe «Branchengewinner in der Schweiz» als PDF im Anhang). Dynamische Branchen wie Banken, Versicherungen, Pharma, Medtech oder die Nahrungsmittelindustrie werden mit Salärsteigerungen und Beförderungen nicht geizen.

Der leicht positive Lohntrend wird durch verschiedene Faktoren verstärkt. «Florierende Branchen wie die Gesundheitsindustrie ziehen andere mit», sagt Michael Bruggmann von Hewitt Associates. Deshalb sei die Lohnspreizung zwischen den beruflichen Funktionen innerhalb der Branchen, aber auch zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen derzeit sehr gering. Dieser Trend werde sich auch im kommenden Jahr fortsetzen. Und auch die Neueinsteigerlöhne, in früheren Krisen auf Tauchstation, werden 2010 möglicherweise zumindest stagnieren. Ausnahme IT-Branche: Dort sind sie gemäss neuer Lohnumfrage um drei Prozent gesunken. Dies jedoch scheint kein neuer Trend zu sein. Ein Trend ist hingegen, dass die Firmen und insbesondere die Finanzindustrie die Salärpolitik revidieren. «Die Banken werden sich bei den Salären für verschiedene Funktionen vermehrt auch an anderen Branchen orientieren», sagt Michael Bruggmann. So könne ein Controller bei der Bank nicht mehr automatisch davon ausgehen, deutlich mehr als in der Pharmaindustrie zu verdienen. Dies gelte insbesondere für die klassischen Supportfunktionen, also die nicht bankenspezifischen Berufe.

Wettbewerb. Überprüft werden auch die Kompensationspakete aus fixen und variablen Anteilen sowie Fringe Benefits. Das System der Total Compensation sei zwar nicht out, versichern die Fachleute. Aber es würden vermehrt auf die Person zugeschnittene Pakete angeboten. Einem Trendsportler ein Opernabonnement anzubieten, ist wenig sinnvoll. «Die Fringe Benefits werden vereinfacht und heruntergefahren», sagt CCT-Berater Urs Klingler. Heute wollten die Leistungsträger eher Geld sehen als Naturalleistungen.

«Das Jobkarussell beginnt sich schon wieder zu drehen», stellt Klingler fest. Auch Hewitt-Berater Bruggmann sagt: «Der Wettbewerb um die Fachkräfte wird massiv zunehmen.» Deshalb bestehe ein erhöhter Motivationsbedarf. Dies muss sich allerdings nicht zwingend in Form von klingender Münze äussern. Vielmehr werden Firmen, die ihren Mitarbeitern Perspektiven bieten, im kommenden Aufschwung überdurchschnittlich profitieren. Aber auch Massnahmen wie beim deutschen Autobauer BMW, bei dem die höchsten Saläre künftig nur noch im Gleichschritt mit den tiefsten steigen, werden in der Belegschaft einen deutlichen Motivationsschub auslösen. Das sind die neuen Töne, welche die Wirtschaft zum Klingen bringen.

Kleines Plus. Dass die Saläre freilich eine doch nicht ganz unwesentliche Rolle spielen, zeigt die neuste Auswertung des BILANZ-Lohnrechners. Auf den Stichtag, den 7.  Oktober 2009, haben sich 57  794 Lohnbezüger daran beteiligt (siehe «Durchschnittslöhne: Stagnation zeichnet sich ab» als PDF im Anhang). Das wichtigste Ergebnis: Der Medianlohn hat sich seit der letzten Auswertung im April nicht bewegt und liegt noch immer bei 6100 Franken brutto, während der Durchschnittslohn in diesem halben Jahr um 0,7 Prozent auf 6826 Franken zugenommen hat.

Die Auswertung zeigt zudem, dass alle Kaderfunktionen weiterhin zugelegt haben, wenn zum Teil auch nur leicht. Bei den Top 15 der Berufe konnte sich nur rund die Hälfte verbessern, der Rest stagnierte oder musste gar Lohneinbussen hinnehmen. Bei den Altersgruppen und beim Dienstalter ist generell eine Stagnation feststellbar, bei der Gruppe der über 50-Jährigen hat sich jedoch der Trend hin zu tieferen Löhnen – anders als bei der letzten Auswertung – nicht weiter bestätigt.

Für Salärspezialist Urs Klingler ist dieser Befund durchaus plausibel: «Lohnsenkungen gibt es nicht – auch nicht bei älteren Mitarbeitern.» Eine Stagnation kann er sich schon eher vorstellen. So haben etwa die gesamte Uhrenindustrie, die Post, die Swiss, OC Oerlikon und die SRG SSR Idée Suisse eine Nullrunde angekündigt, während Hewlett-Packard, Rieter und Alu Menziken gar mit einem Lohnabbau liebäugeln. Doch diese Firmen sind lohnpolitische Exoten. Für die meisten Arbeitnehmer aller Funktionsstufen dürfte der Teuerungsausgleich oder ein kleines Plus mindestens in Griffnähe liegen.

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Quellen:

  • UBS Wealth Management Research: «UBS Lohnumfrage – Ausblick 2010», Vorabdruck.
  • Towers Perrin: «EMEA Compensation Planning Report 2009/10».
  • Swiss Engineering: Salärumfrage 2009/10.
  • PricewaterhouseCoopers: «Executive
    Compensation & Disclosure», 2008 und 2009.