Während viele Frauen morgens vor ihrem Kleiderschrank stehen und überlegen, was sie anziehen wollen, braucht Nicole Dechev ein, zwei gezielte Handgriffe. Ihre Kleider sind nach Farben sortiert, die Wahl fällt entsprechend den Anlässen des Tages.

Heute griff die CFO der Energy Gruppe Schweiz auf der hellen Seite zu: In einem roten Blazer über einem weissen Shirt sitzt sie im Cafe, direkt dahinter das Energy-Studio, in dem Moderatorinnen mit grossen Kopfhörern in Mikrofone sprechen.

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Genauso organisiert, wie Nicole Dechev ihren Kleiderschrank mag, hält sie es auch mit den Zahlen. Ihre Alltags- und Ferienplanung geschieht im Einklang mit dem Finanzkalender – zurzeit steckt sie mitten im Jahresabschluss, das grosse jährliche To-do jedes Finanziers; der Moment, in dem alle Zahlen stimmen müssen.

Gross geworden in der ehemaligen DDR

Die erste Berührung mit den Zahlen nennt Dechev ihr Abitur, das sie mit dem Fokus Finanzen abschloss. Studieren wollte sie danach aber Medizin, nur: Der Plan stiess auf wenig Begeisterung bei ihrer Mutter. Angefragt, warum, erklärt Dechev, dass sie in der ehemaligen DDR gross geworden sei. «Dort war die Schere zwischen Akademikerinnen und Arbeiterinnen gross. Meiner Mutter fehlte das Verständnis, dass ein Studium wie eine Ausbildung ist.»

Also musste eine Lösung her, die sie im dualen Studium im Bereich Wirtschaft fand. Die Semester werden aufgeteilt: drei Monate Theorie an der Universität, drei Monate Praxiserfahrung in einem Unternehmen, beides frei wählbar. Obendrauf gab es eine monatliche Vergütung – ein Kompromiss, auch für die Mama.

Für Dechev folgten drei Jahre, die sie heute als «die härtesten ihres Lebens» bezeichnet. Sie arbeitete bei Deloitte in München und lebte dort in einer WG mit anderen Auszubildenden. Gleichzeitig studierte sie im Schwarzwald, während ihre Deloitte-Kolleginnen in Berlin immatrikuliert waren. Der ständige Ortswechsel und das Jonglieren von zwei Freundeskreisen beanspruchten die damals noch nicht 20-jährige Dechev sehr.

Hinzu kommt, dass sie noch keine Berufserfahrung hatte. Ihre ausgebildeten Finanzkollegen standen stets unter Druck. Sie hatten wenig Zeit, Dechev an die Hand zu nehmen. «Rückblickend hat mir diese Zeit geholfen, mir die Dinge selbstständig beizubringen», erzählt die Finanzexpertin heute.

Nicole Dechev an einem Energy Event.
Foto: April-Jay Buenviaje
Foto: April-Jay Buenviaje

Die Fragen stellen

«Learning by Doing» – diese Methode hat sich auf dem Lebensweg von Nicole Dechev oft bewährt. Und trotzdem erkennt sie, dass es nicht immer der einfachste Weg war. «Man lässt auch viel zerbrochenes Geschirr zurück.» Denn die Methode führe dazu, Fehler zu machen und daraus zu lernen.

Ausprobieren ja, aber es hängt vom Umfeld ab. Heute nimmt Nicole Dechev die Rolle als CFO bei der Energy Gruppe Schweiz ein. Da verringere sich der Platz zum Ausprobieren – weshalb sie den «Blick von aussen» sehr schätze. Feedback oder bestimmte Weiterbildungen gehören bei ihr aufs Programm.

Nachdem sie sich in ihrer CFO-Rolle eingefunden hatte und die Routinen kannte, spürte sie, dass sie mehr braucht. Also ging sie auf die Geschäftsleitung zu und fragte nach weiteren Aufgaben. Kurz danach leitete sie zusätzlich die IT-Abteilung, später kamen die Web- und App-Entwicklung dazu – das Ganze als Fachfremde.

Hätte man sie früher gefragt, als Fachfremde spezialisierte Abteilungen zu leiten, wäre sie skeptisch gewesen. Frisch in der Leitungsfunktion tat sie sich schwer damit, Sachen direkt anzusprechen. Doch heute weiss sie, dass unschöne Dinge auch auf den Tisch gebracht werden müssen – das sei aber nicht immer einfach, denn: «Als Frau ist man sozialisiert worden, unschöne Fragen zu vermeiden.»

Nicole Dechev, Finanzchefin bei Energy Scheiz (CFO)

Nicole Dechev, Finanzchefin bei Energy Schweiz (CFO)

Quelle: April-Jay Buenviaje

Name: Nicole Dechev

Funktion: Chief Finance Officer, Energy Gruppe Schweiz

Karriere 

2018 bis heute: Chief Finance Office, Energy Gruppe Schweiz (Zürich)
2017 bis 2018: Controller Content, Ringier (Zürich)
2015 bis 2016: Beteiligungscontroller, Ringier (Zürich)
2015 bis 2015: Senior Consultant, Deloitte (Zürich)
2013 bis 2014: Senior Consultant, FAS AG (München)
2011 bis 2013: Professional Consultant, Deloitte (München)
2008 bis 2011: Duale Studentin, Deloitte (München)

Ausbildung: B.A. in Wirtschaftswissenschaften, Duale Hochschule in Baden-Württemberg
Zertifikat: Inspirational Leadership Programme
 

Der Branche den Spiegel vorhalten

Sowieso, als Frau in der Finanzbranche werde man oft unterschätzt. Es braucht einen robusten Charakter, der auch Dinge aussitzen kann. Dass Nicole Dechev den hat, zeigte sich an einem für sie heute exemplarischen Beispiel: Bei ihrer Tätigkeit im Consulting arbeitete sie gemeinsam mit einem Kollegen für einen Kunden. Gleiches Skill-Set, gleiches Alter. Früh meldete der Kunde, er wolle nur noch mit dem Kollegen weitermachen. Schulterzuckend liess Dechev es geschehen. Als Mitglied des Teams blieb sie aber involviert und kniete sie sich weiterhin rein. Zwei Wochen später dann die Nachricht: Der Kunde möchte mit Frau Dechev weiterfahren.

Oft habe sie Situationen erlebt, in denen sie erst einmal die Möglichkeit bekommen musste, sich zu beweisen. Doch davon liess sie sich nicht beirren, sah es als strategisch schlauer, ihre Arbeit gut zu machen und den Personen dann den Spiegel vorzuhalten.Frauen sind in der Branche noch immer unsichtbar. «Viele Männer haben das Gefühl, Frauen haben sie überholt. Aber das stimmt einfach nicht.»

Noch heute gäbe es überall weniger Frauen, besonders in Wirtschaftstiteln vermisst sie Expertinnen, Protagonistinnen und Analystinnen. Damit Frauen diese Positionen erreichen, gilt für Dechev vor allem ein Credo: «Flucht nach vorne.» Ob als frische Leitung in der IT-Abteilung, als 20-jährige Studentin in der Auditumgebung oder um ihre Mutter vom Studieren zu überzeugen – ihre Erfahrung habe ihr gezeigt, dass dieses Motto funktioniert.

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Olivia Ruffiner
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