Unlängst sass ich in einem Podium. Wir sprachen über Bergunfälle und ihre Gefahren für die Retter. Ein Bergführer hatte zwei Kollegen, die vermisste Touristen suchten, in einer Lawine verloren. Ein gestandener bayrischer Bergrettungsmann betonte den Idealismus, der solche Retter ansporne, in Not geratenen Menschen zu helfen.

Und die Witwe eines im Himalaja verunglückten Profibergsteigers meinte gefasst, dass ihr Karl das eben so gewollt habe und dass sie sein Tun akzeptiert habe. Schliesslich pries der alte Pfarrer eines Bergdorfes, der viele Abgestürzte gesehen und ihre Hinterbliebenen getröstet hatte, die heilende Wirkung des Gebets im Kreis um die Leiche.

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Mir war ob des vielen Schönredens, Gutmenschentums und Idealismus ziemlich unwohl – und das sagte ich auch. Ich habe im Lauf der Jahre selber an einigen haarsträubenden Rettungsaktionen teilgenommen und dabei Kopf und Kragen riskiert. Ich habe vor Todesangst geschwitzt, gekeucht und erbrochen. Ich habe Durst gehabt, Schmerzen erlitten und mich nach Sicherheit gesehnt.

Dabei hatte ich aber nie das Gefühl, etwas besonders Edles zu tun. Es waren, im Gegenteil, die besten Abenteuer meines Lebens. Die jeweiligen Umstände hatten mich in Teufels Küche gesperrt, und ich konnte nur durch das Feuer entkommen. Ich möchte keinen dieser ultimativen Adrenalintrips missen, ich bekam vom Schicksal bei diesen Aktionen immer den bestmöglichen Return on Investment. Den Idealismus als Triebfeder anzuführen, schien mir alpenkitschig. Meine lautstark geäusserte Überzeugung amüsierte aber meine Kollegen und das Publikum überhaupt nicht.

Die 300 Reichsten scheinen mir da ehrlicher. Im Allgemeinen geben sie zu, dass sie viel Geld verdienen wollen und dass sie darüber froh sind. Auch die Herzchirurgen, die nachts um 3 Uhr eine geplatzte Aorta zusammennähen, oder die Intensivmedizinerin, die um Mitternacht Schleimpfropfen aus einer Lunge saugt, tun das zwar gewiss für den Patienten, letztlich aber für sich und die eigene Zufriedenheit.

Denken Sie an Ihre Nachrufschreiber

Wenn jemand in Lambarene ein Spital betreibt, in den Slums von Kalkutta verlorene Seelen rettet, in Zürich Verrichtungsboxen installiert oder in Luzern ein Kulturzentrum einrichtet, so geschieht dies letztlich zum eigenen Wohl und zur Verbesserung des individuellen Ranges. Wie beim Aufstieg von schäbigen 100 auf 200 Millionen. Von den frommen Mönchen in Einsiedeln und anderswo wollen wir erst gar nicht reden.

Das gilt auch für Bill Gates und Warren Buffett, die mit sehr viel Geld gegen das Elend der Welt ankämpfen. Solches Tun macht dereinst die Aufgabe der Nachrufschreiber einfacher. Steven Jobs, der offenbar gegenüber seinen Mitstreitern ein ziemliches Ekel war, wurde immerhin für seinen Einsatz zur Förderung der Organtransplantation gelobt.

Und so hoffe auch ich, dass meine Bemühungen zur Rettung verunfallter Menschen sowie meine schlaflosen Nächte wegen schwer kranker Patienten am Schluss manche anderen Egotrips mit gelegentlichen Verletzungen der Umwelt etwas aufwiegen.

Denken Sie an Ihre Nachrufschreiber, solange das Schicksal noch kein Blei in die Boxhandschuhe des Gegners gepackt hat und Sie noch Bordeaux der besseren Jahrgänge trinken! Es gibt Sinnvolles zu tun, man muss es nur rechtzeitig machen.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.