Die Mitarbeitenden der Migros haben in diesem Jahr Bekanntschaft mit kryptischen Projektnamen gemacht: «Fast Forward» hiess es da plötzlich in den Medien, «ECM 4.0» wurde da auf den Gängen des Unternehmens geflüstert. Beide Begriffe bezeichnen harte Sparprogramme, mit denen der Grosskonzern viele Millionen Franken sparen und Stellen streichen will. Inzwischen wissen alle: Fast Forward, also «schnell vorwärts», heisst auch, dass einige zurückbleiben werden.

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Das Programm der Migros wurde, wie unzählige Beispiele zeigen, nach dem klassischen Muster abgespult, wenn es Unangenehmes oder Geheimes zu benennen gilt. Englische Bezeichnungen werden gern genommen. «Da kommt der Berater ins Unternehmen marschiert und serviert etwas, das zu seinem Sprachgebrauch passt. Oder Projektleiter und VR hocken abends immer noch zusammen und suchen nach einem passenden Namen für das, was sie vorhaben», sagt Stefan Vogler, Markenexperte und Studiengangsleiter an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), der auf seinem Berufsweg schon oft an Vorhaben mit dem Etikett «Reorganisation» beteiligt war. Nicht immer passen die Namen. «Im Idealfall ist der Projektname ein symbolkräftiges Bild, das die Mitarbeitenden, die es umsetzen sollen, emotional anspricht. Er soll eine Vision erzeugen.»

Das hat die Migros nicht ganz erreicht. «Fast Forward» ist austauschbar und sagt nicht nur den Männern und Frauen an der Filialfront wenig. Auch ein zweites Projekt des Handelsriesen komme nicht besser daher, so der Experte. Es heisst ECM 4.0, was für «Exzellentes Category Management» steht. Das mag zwar für Produktmanager und Beschaffer aus der Krawatten-Etage etwas bedeuten. Aber für viele der Mitarbeiter wird der Begriff wohl keinen Sinn machen.

Mitarbeiter taufen Namen um

Auch der Projektname Share gehört  in diese Kategorie, er steht im luftleeren Raum. Mit Share brach der Mittelständler Chocolats Camille Bloch (Ragusa) in seine digitale Zukunft auf. Zum Stichtag, dem 1. Mai 2011, erfolgte der grosse Sprung: Lange vorbereitet, wird zu diesem Termin das SAP-System scharf geschaltet. Aber die Mitarbeitenden gaben dem Projekt schnell ihre eigene Deutung, wie Inhaber und VR-Präsident Daniel Bloch in einem gerade erschienenen Buch berichtet: «Die dicke Bertha» sagten sie intern zu dem Vorhaben in Anspielung auf ein schweres, überdimensioniertes Geschütz von Krupp. Die SAP-Einführung habe  dem Schoggi-Hersteller auch Komplexität eingebrockt, gesteht Firmenchef Bloch im Rückblick.

Überblick Beschönigungen

Migros, Raiffeisen und Six beschönigen gekonnt

Quelle: HZ

Gelungenes und Ungelungenes liegen bei den Namen, die die Change-Projekte bekommen, oft eng nebeneinander. Ein Beispiel von der Muttergesellschaft der Swiss, der Lufthansa: Firmenchef Carsten Spohr will das Unternehmen zum «digital denkenden Markenartikler mit angeschlossener Airline» umwandeln, wie er im Medieninterview bekundete. Seit 2014 läuft dieses Projekt, sein Name: 7 to 1. Tönt kryptisch, hat aber einen gewichtigen Anknüpfungspunkt: Die deutsche Fussballmannschaft war mit einem Kantersieg gerade Weltmeister geworden, als Airline-Mann Spohr das Vorhaben auflegte. Wie immer richtet es sich auch an die Mitarbeitenden; sie sollten sich, wie aus dem Unternehmen zu hören war, zu Veränderungen in eigener Sache bewegen, Neues lernen, intern Chancen wahrnehmen, damit der LH-Konzern auf einem umkämpften Markt ganz vorne bleibt.

«Passt», sagt Lukas Bär angesichts dieser Agenda. Fussballer wie auch Mitarbeitende in Veränderungssituationen bräuchten Sportsgeist und eine Motivation des gemeinsamen Gewinnenwollens, das sei bei Lufthansa mit dem Bezug auf die WM gut verankert, so Bär, Partner bei der Skandinavischen Implement Consulting Group in Zürich, der in den letzten 18 Jahren viele Veränderungsprojekte für seine Kunden begleitet hat. Bei anderen Projekten hingegen wird bewusst verschleiert. «Die brauchen einen griffigen Namen – aber ausser einem kleinen Kreis von direkt Beteiligten darf keiner mitbekommen, worum es eigentlich geht», sagt Markenberater und Verwaltungsrat Stefan Vogler. Meist seien das Geheimsachen der Firmenspitze, von denen weder die Börse noch andere Interessengruppen etwas erfahren sollen, bevor die Sache rund ist.

Überblick Kryptobegriffe

Unverständlichkeit ist bei vielen Begriffen gewollt

Quelle: HZ

So wurde es etwa gemacht, als sich die Pharmaunternehmen Ciba-Geigy und Sandoz zu einem neuen Giganten zusammenschlossen. Eingeweiht waren nur je zwei Topkader auf beiden Seiten sowie ein kleiner Kreis Mitwirkender. Um die Sache zu tarnen, wurde das Projekt mit dem Namen «Rio Grande» versehen. Das war so unpräzise, dass Aussenstehende auch mit bestem Wissen nichts erahnen konnten. Für die Camouflage wurden zudem weitere Massnahmen ergriffen. Zu ihren Treffen reisten die CEO nicht in auffälligen Dienst-Limousinen an, sondern mit dem Auto der Ehefrau.

Ganz unstandesgemäss sprach man in den Hinterzimmern zweitklassiger Hotels, wo die Bosse keiner erkannte. Der Name der neuen Firma, Novartis, war schon im Handelsregister eingetragen, wie der Chronist der NZZ berichtete – Geschäftsgegenstand: «Beteiligung an Unternehmen, die insbesondere auf dem Gebiet des Kunsthandels tätig sind.» Auch bei einer der jüngsten Grossfusionen wurde so agiert: Die deutschen Warenhauskonzerne Karstadt und Kaufhof sollen zu einem Unternehmen zusammengeführt werden. Bei den beiden Eigentümern wurde die Firmenhochzeit in der Vorbereitungsphase mit Tarnnamen versehen – der Wiener Karstadt-Eigner René Benko wählte «Donau» als Namen, auf der Gegenseite, beim kanadischen Warenhausbetreiber Hudson’s Bay, verfiel man auf «Maple».

Martialische Sprache vermeiden

Klarer kommt da schon der Elektrokonzern Siemens daher – «Vision 2020+» lautet der Projektname, mit dem CEO Joe Kaeser Anfang August an die Öffentlichkeit ging. So, wie dieser Name auch auf jedes andere Unternehmen passen würde, enthalten auch Kaesers Ansagen die üblichen Bestandteile eines Gesundungsprogrammes: Geschäft vereinfachen, fünf Sparten werden auf drei zukunftsträchtige reduziert, die Zentrale wird verschlankt, indem umsatzlose Funktionen wie Personal, Recht und Finanzen in die operativen Einheiten verlegt werden, damit diese selbstständiger und schneller agieren können.

Das ist Dutzendware aus dem Handbuch «Erfolgreich reorganisieren» – aber genau die wird in Zeiten raschen Umbruchs gebraucht. «Die Projektnamen können durchaus offen und etwas unscharf sein. Pläne ändern sich während der Durchführung», beschreibt Consultant Lukas Bär, was in den Unternehmen gängig ist. Sein Tipp: Aus der Namensfindung besser keine Wissenschaft machen. Englischsprachige Namen würden immer dann gut ins Konzept passen, wenn die Mitarbeitenden sie verstehen. Sie kommen für uns mit weniger Schärfe daher: Ist bei einem Change-Vorhaben von «Sieg» oder «siegen» die Rede, könne das schnell hart und martialisch klingen. Zu bevorzugen sei deshalb ein «winning together» («gemeinsam gewinnen»), das lasse Spielräume bei der Deutung zu, die die interne Akzeptanz verbessern helfen.

Zahlenspiele

Zahlen müssen herhalten, wenn kein passender Begriff gefunden wurde.

Quelle: HZ

Überdies empfiehlt Markenberater Stefan Vogler: «Das grosse Change-Projekt nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Herzen verankern.» Wie, das zeigt er am Beispiel eines Finanzdienstleisters. Der verordnet sich ein Fitnessprogramm, zu dessen Start bleibender Eindruck geschaffen werden soll. Zur Einführung erscheinen die Topkader, erklären die Ziele – und ziehen dann vor Publikum Springseile aus den Hosentaschen. Dann hüpfen sie auf der Bühne den Change-Tanz. «Das war bewegend, mit Symbolkraft», erinnert sich Vogler. Während des Anlasses erhielten alle Mitarbeitenden ihr persönliches Springseil – womit der Transfer der Botschaft in die Linie verankert wurde.

Dass über solche Programme und die Namen gelästert wird, sollte das Management in Kauf nehmen. «Ein normaler Vorgang», sagt Berater Lukas Bär. «Er zeigt, dass sich die Leute mit dem Thema befassen, dass es sie auch emotional berührt.» Das Change-Programm 7 to 1 der Lufthansa etwa wird intern als «Anti Aging» verspottet. «Hinnehmen», so der Rat des Zürcher Consultants. Schwierig werde es erst dann, wenn mit Vorschusslob begonnene Projekte mit grossen Namen auf halber Strecke untergingen, ohne je die Ziele zu erreichen. Das fördere den internen Zynismus – und der wirke wie Gift auf alle Initiativen, die die Firmenchefs in Zukunft noch anschieben.

Stefan Mair
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