BILANZ: Herr Triebel, warum haben wir das Gefühl, immer erreichbar sein zu müssen?

Claas Triebel: Weil wir uns – ähnlich wie eine Firma – einem Wachstumsgedanken unterwerfen, im Privat- wie auch im Berufsleben. Auch Angestellte verstehen sich heute als eine Art Unternehmer und glauben deshalb, jederzeit für den Job da sein zu müssen. Für die meisten ist es auch attraktiv, erreichbar zu sein. Wer über ein lebendiges Netzwerk verfügt, geniesst soziales Ansehen.

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Die CEO forderten von ihren Mitarbeitenden in den letzten Jahren genau dieses unternehmerische Denken. Ein Fehler?

Nein, Eigenverantwortung ist gut. Aber das Pendel hat ins andere Extrem umgeschlagen.

Die moderne Kommunikation wurde uns doch als Fortschritt verkauft. Endlich ist man nicht mehr an ein Büro gebunden, um zu arbeiten. Eltern schätzen das zum Beispiel sehr.

Natürlich. Ich bin selbst Vater und arbeite häufig mobil. Diese Vielfalt an Beschäftigungsmöglichkeiten ist eindeutig ein Gewinn für die Gesellschaft. Trotzdem muss man akzeptieren, dass ein grosser Teil der Arbeitnehmer nicht gemacht ist für diese Verwischung von Privat- und Berufsleben. Sie brauchen Unterstützung.

Wie soll das gehen?

Firmen werden künftig kommunizieren müssen, wie man kommuniziert. Es braucht Regeln, um es wieder legitim zu machen, sich auch einmal abzugrenzen. Das würde noch lange nicht zu einem Produktivitätsverlust führen.

Welche Rolle kommt dabei den Führungskräften zu?

Die entscheidende. So etwas muss vorgelebt werden. Wenn der Chef trotz Regeln samstags E-Mails verschickt, ist das schlecht.

Was kann das einzelne Individuum tun?

Jeder muss sich fragen, wo seine persönliche Firewall ist. Es ist sicher unrealistisch, sich dem ganzen Kommunikationswahn zu entziehen, aber man kann sich disziplinieren. Ich lese beispielsweise meine Mails nur noch zu bestimmten Zeiten.

Und wenn Sie unterwegs sind, hoffen Sie insgeheim, dass im ICE gerade kein Empfang ist, wie in Ihrem Buch zu lesen ist.

Ich kenne viele, denen es genau gleich geht. Aber klar, das Ziel müsste sein, dass wir das Handy aus eigener Initiative ausschalten.

Also kein Kulturpessimist, der sich das Drehscheibentelefon zurückwünscht?

Keine Spur. Wir haben heute einen massiv höheren Umsatz an Information, was uns deutlich produktiver macht. Das überwiegt die Nachteile der neuen Medien.

Claas Triebel (36) ist Autor des Buchs «Mobil, flexibel, immer erreichbar – wenn Freiheit zum Albtraum wird» (Verlag Artemis & Winkler). Der Arbeits- und Organisationspsychologe arbeitet als Partner bei der Münchner Beratungsunternehmung Perform Partner.