Frau Binnewies, für viele ist der Sommerurlaub schon wieder vorbei und die Post-Feriendepression lässt nicht lange auf sich warten. Gibt es das wirklich?
Carmen Binnewies*: In Bezug auf das eigene Wohlbefinden zeigt sich das nicht. Die Leute fühlen sich nach dem Urlaub eigentlich besser als schlechter.
Wie lässt sich das messen?
Wir fragen das subjektive Wohlbefinden vor und nach dem Urlaub ab. Bei den meisten findet man nach den Ferien den Effekt, dass die Leute erholter sind, in dem Sinne, dass sie weniger Erschöpfung zeigen und mehr Energie haben.
Wie lange hält denn die Erholung nach den Ferien an?
Maximal drei Wochen. Manchmal ist die Erholung auch schon nach einer Woche wieder weg.
Reicht eine stressige Situation aus, um die ganze Erholung zunichte zu machen?
Grundsätzlich kann man sagen: Je mehr Stress man nach dem Urlaub hat, desto schneller ist der Urlaubseffekt wieder weg.
Was raten Sie, um möglichst lange nach den Ferien erholt zu bleiben?
Arbeitnehmer sollten versuchen, die Arbeitsbelastung in den ersten Tagen nach den Ferien so gering wie möglich zu halten. Eine Möglichkeit wäre, dass man sich nicht gleich am ersten Tag Termine legt, schliesslich sind viele damit beschäftigt, die ganzen ungelesenen E-Mails zu durchforsten. Oder dass man den E-Mail-Abwesenheits-Assistenten zwei oder drei Tage anlässt, so dass die Leute, wissen, dass es noch ein bisschen länger dauert, bis man antwortet.
Hier kann sicherlich auch der Arbeitgeber einen Beitrag leisten, oder?
Auf jeden Fall. Sofern das möglich ist, sollte der Arbeitnehmer nach dem Urlaub nicht sofort wieder mit Arbeit überhäuft werden. Der Arbeitgeber sollte ihm Zeit für die Aufarbeitung der Sachen einräumen, die liegen geblieben sind. Ich habe gelesen, dass es sogar Unternehmen gibt, die einem mitteilen, dass eine E-Mail wieder gelöscht wird, eben weil die Person im Urlaub ist und man die E-Mail entsprechend nochmal schicken muss. Das ist sicherlich nicht in allen Bereichen anwendbar, aber für den Arbeitnehmer natürlich eine grosse Entlastung. Zugleich sollte der Arbeitgeber während der Ferien dafür sorgen, dass der Mitarbeiter seinen Urlaub so gut wie möglich nutzen kann. Sprich, ständige Anrufe und E-Mails sollten vermieden werden. Auch sollte nicht erwartet werden, dass der Arbeitnehmer auf E-Mails antworten muss – das ist alles schädlich für die Erholung.
Carmen Binnewies ist seit April 2012 Professorin für Arbeitspsychologie, Arbeitseinheit Arbeitspsychologie am Institut für Psychologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Nach dem Psychologiestudium an der TU Braunschweig promovierte sie an der Universität Konstanz zum Thema Erholung und intraindividuelle Arbeitsleistung. An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wurde sie Juniorprofessorin. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Bewältigung von Stress bei der Arbeit, Erholung von Arbeitsstress und Work-Life-Balance.
Bei vielen Menschen besteht der perfekte Urlaub aus Schlafen, Essen, Baden und Lesen. Andere mögen es lieber aktiver. Wie erhole ich mich denn eigentlich richtig?
In der Erholungsforschung schauen wir weniger darauf, was die Leute an Aktivitäten machen, weil eben ein- und dieselbe Aktivität sehr unterschiedlich erlebt werden kann. Mein Lieblingsbeispiel ist das Stricken. Meine Mutter findet Stricken total erholsam, mir persönlich hat sie dieses Gen nicht vererbt. Für mich ist es gar nicht erholsam.
Was heisst das für meine Erholung?
Dass es eher darauf ankommt, wie man die Zeit erlebt. Im Prinzip ist die Formel ganz einfach: Für die Erholung im Urlaub ist entscheidend, was zu meiner Zufriedenheit beiträgt. Das mag für jeden unterschiedlich sein und nicht alles ist für jeden erholsam. Gerade das birgt aber auch Konflikte, wenn man zum Beispiel mit seiner Familie im Urlaub ist.
Sollte ich also lieber alleine in die Ferien fahren?
Da gibt es keine Studie dazu. Aber ich würde auch nicht vermuten, dass alleine wegfahren mehr oder weniger erholsam ist. Wichtig ist nur, dass wenn die Familie unterschiedliche Interessen hat, jeder auch mal etwas machen kann, was er oder sie wichtig findet. So finden viele Eltern mit kleinen Kindern oft Cluburlaub gut, weil es dort Kinderbetreuung und ein tolles Programm für Kinder gibt und sie selbst dann auch mal etwas machen können, was die Kinder nicht so spannend finden oder gegenbenfalls auch schwierig mit kleinen Kindern ist. Aber deshalb würde ja vermutlich niemand den ganzen Urlaub über seine Kinder abgeben wollen.
«Je mehr die Leute E-Mails und SMS in den Ferien geschrieben haben, desto geringer war die Erholung.»
Welche Fehler sollte man in den Ferien vermeiden?
In einer Studie haben wir uns angeschaut, welche Rolle Kommunikationsmedien im Urlaub spielen. Das Ergebnis war: Je mehr die Leute E-Mails und SMS geschrieben sowie Nachrichtendienste benutzt haben, desto weniger konnten sie abschalten und desto geringer war die Erholung. Facebook allerdings hat dabei keine Rolle gespielt, für das Abschalten war das egal, allerdings waren die Leute schlechter gelaunt.
Man sollte also das Smartphone zu Hause lassen?
Ja.
Macht es einen Unterschied, ob ich mit Arbeitskollegen oder Freunden schreibe oder telefoniere?
Unsere Studie hat gezeigt, dass dies unabhängig vom Kommunikationspartner ist, selbst die private Nutzung war nicht gut fürs Abschalten. Vermutlich weil man dadurch an zu Hause erinnert wird.
Heisst dass, ich kann mich besser erholen, wenn ich wegfahre und meine Ferien nicht zu Hause verbringe?
Für das Abschalten ist es förderlich, wenn man wegfährt. Allerdings ist insgesamt kein Unterschied festzustellen, dass Leute sich prinzipiell besser erholen, wenn man wegfährt. Vermutlich gibt es auch damit verbundene Kosten, wie etwa Reisestress oder die Anpassung an die Umgebung, sodass sich am Ende der Effekt rausmittelt. Daher kann man sich zu Hause genauso gut erholen. Am Ende ist entscheidender, wie man selbst die Zeit verbringt und diese erlebt.
Wie wichtig ist die Dauer des Urlaubes für die Erholung?
Die Studien, die das bislang untersucht haben, haben keinen Effekt gefunden.
Dabei sagen doch immer alle, dass die Erholung erst nach einer Wochen bei ihnen eintritt...
Unsere Daten haben das nicht bestätigt. Zudem gibt es Studien, die die Erholung am Wochenende und bei Kurztrips untersucht haben und die ähnliche Effekte wie bei einem richtigen Urlaub gefunden haben. Allerdings sind die Daten nicht immer eins zu eins vergleichbar. Was man aber festhalten kann, ist, dass am Ende nicht die Länge das Entscheidende ist, sondern wie ich die Zeit erlebe.
Sie empfehlen also nicht zwingend einen grossen Urlaub im Jahr sondern durchaus viele kurze Trips?
Genau, das ist die Konsequenz. Auf dem Wissenstand, den wir aus der Forschung bislang haben, wäre es eigentlich sinnvoller, mehrmals im Jahr kürzeren Urlaub zu machen. Aber das wollen die meisten nicht so gerne hören. Aber es ist auch klar, dass wenn ich grosse Reisen machen will, dass ich dafür einfach länger Zeit brauche. Und es ist ja auch nicht schädlich, wenn man länger Urlaub macht. Man profitiert allerdings nicht länger davon, in der Zeit ist man natürlich erholter, aber der Effekt hält nicht länger an.
Warum ist Erholung denn überhaupt so wichtig?
Es gibt ein paar Studien aus dem skandinavischen Raum, die gezeigt haben, dass die Leute, die weniger Urlaub gemacht haben, eher gestorben sind.
Demnach wäre es doch sinnvoll, sich ab und zu mal freizunehmen...
Ja, auch weil der Urlaub ja dazu beiträgt, dass die Burnout-Symptomatik reduziert wird. Es stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn die Leute keinen Urlaub nehmen. Vielleicht würde sich die Symptomatik dann verschlimmern über die Zeit. Allerdings muss man auch sagen, das der Urlaubseffekt leider ja nicht so wahnsinnig lange anhält. Damit kommt man nicht über das ganze Jahr.
Was empfehlen Sie?
Es ist wichtig, dass man sich auch im Feierabend erholen kann. So bleibt auch die Ferienfrische länger erhalten.
Worauf kommt es dabei an?
Dass man von der Arbeit abschalten kann, dass man es wirklich schafft, mental den Kopf frei zu bekommen.
Viele aber haben das Problem, dass sie zwar frei haben, aber trotzdem mental immer noch mit der Arbeit beschäftigt sind.
Man muss für sich reflektieren, was die Aktivitäten sind, bei denen man im Feierabend gut abschalten kann und wie man die häufiger oder überhaupt in den Alltag integrieren kann. Für mich persönlich gibt es Sportarten, bei denen ich wunderbar nebenher noch über die Arbeit nachdenken kann, und andere, bei denen ich so beschäftigt bin mit dem Ball, dass ich keine Zeit habe nachzudenken. Auch wenn man etwas mit Anderen macht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man abschalten kann.
Was hilft noch?
Eine bewusstere Trennung von Arbeit und Privatleben kann hilfreich sein. Unsere Forschung zeigt: Je mehr man das vermischt, desto schwieriger wird das Abschalten. Aber auch hier unterscheidet sich jeder in seiner Präferenz. Und es gibt kommunikative Strategien, die beim Abschalten helfen können. Hierzu zählt etwa, dass man mit Kollegen vereinbart, dass man am Wochenende nicht erreichbar ist oder sein privates Handy privat bleibt. Aber auch der Vorgesetzte spielt hier eine Rolle, am Ende ist es wie bei Stress auch eine Mischung aus dem eigenen Verhalten und natürlich auch den Rahmenbedingungen.