Noch so gerne brüsten sich Konzerne mit guten Taten für die Umwelt oder mit sozialem Engagement. Wirklich nachhaltig ist das nur, wenn die Chefs solches zur Geschäftsstrategie machen. Ansonsten bleibt Nachhaltigkeit ein Feigenblatt der PR-Abteilung.

Unilever will seinen ökologischen Fussabdruck halbieren, H&M arbeitet an Kleidung aus wiederverwerteter Baumwolle, Nestlé und Danone forschen an einer nachhaltigen Einwegflasche oder Dell fischt Plastik aus dem Meer für neue Verpackungen.

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Nachhaltigkeit wird zum Mainstream

Solche Initiativen sind für Nichtregierungsorganisationen wie Public Eye oder Greenpeace kaum mehr als Werbung in eigener Sache. Für den Betriebswirtschafter Thomas Dyllick, Professor an der Universität St. Gallen, können sie Ausdruck strategischer Überlegungen sein, die Wettbewerbsvorteile sichern.

Laut Dyllick wird Nachhaltigkeit auch in multinationalen Konzernen zum Mainstream: «In fast allen Branchen überlagern heute strategische Überlegungen die Ethik», sagt er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. Fortschrittliche Unternehmen preschten vor und setzten die Anderen unter Zugzwang. Als Beispiel führt er den Nahrungsmittelriesen Unilever an, mit Konkurrent Nestlé im Schlepptau.

Im Widerspruch zur ökonomischen Lehre

Kurz nachdem Paul Polman 2009 Konzernchef beim britisch-niederländische Konsumgüterhersteller Unilever geworden war, kündigte er seinen sogenannten Sustainable Living Plan (Plan für nachhaltiges Leben) an. Das Ziel: Bis 2020 will Polman den Umsatz verdoppeln und gleichzeitig den ökologischen Fussabdruck halbieren. Das hiesse, der Konzern mit Marken wie Dove oder Knorr würde dann einen Umsatz von rund 80 Milliarden Euro erwirtschaften; 2016 lag er bei 52,7 Milliarden Euro.

«Das war eine Revolution», sagt Dyllick. Denn Polman stellte damit die ökonomische Lehre in Frage. Demnach widersprechen sich die Zielsetzungen von Gewinnmaximierung und Nachhaltigkeit - es gibt einen sogenannten trade-off. «Doch Unternehmen wie Unilever versuchen genau das. Sie loten neue Spielräume aus.»

Zu ambitioniert

Bei Unilever zeigt sich aber auch: Das Ziel, den ökologischen Fussabdruck zu halbieren, war zu ambitioniert. Heute heisst es beim Konzern nur noch, man wolle den Fussabdruck deutlich reduzieren. «Ich halte das nicht für einen Misserfolg», sagt Dyllick. Vielmehr sei es gut, dass sich Unilever an seinen hohen Zielen ausrichte und damit letztlich auch seine Konkurrenten unter Druck setze.

So haben die beiden anderen Lebensmittelriesen Nestlé und Danone angekündigt, dass sie bis 2020 die herkömmliche PET-Flasche nachhaltiger machen wollen. Zusammen mit einem Start-up-Unternehmen in Kalifornien tüfteln sie an einer Einwegflasche aus Rohmaterialien wie Altkarton oder Sägemehl. Mittel- bis langfristig soll die gesamte Industrie von der neuen Technologie profitieren. Dyllick kommentiert diese Idee als «kreativ und neu, um den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren».

Nestlé setzt auf gesunde Ernährung

Doch gleichzeitig bemängelt er, dass diese Initiative nur Verpackungen und damit eine Marginalie im Geschäft von Nestlé und Danone betrifft. «Viel relevanter beispielsweise für Nestlé ist, was der Konzern in seinem Kerngeschäft treibt.» Dyllick verweist auf die Strategie, die der abgetretene Konzernchef und Präsident Peter Brabeck an den neuen Chef Ulf Mark Schneider weitergereicht hat.

Demnach sieht Nestlé, dessen Geschäft zu einem grossen Teil aus Fertigprodukten wie Thomy-Saucen oder Maggi-Fertiggerichten besteht, seine Zukunft in den Bereichen «Nutrition, Health and Wellness» (Ernährung, Gesundheit und Wohlbefinden). Vereinfacht ausgedrückt heisst das: Nestlé reduziert Zucker, Salz und Fett - und setzt unter anderem auf gesunde Ernährung.

Nestlé verfolgt demnach neu ein Geschäftsmodell, das dem gesellschaftlichen Problem von Fehlernährung und Übergewicht in den Industrienationen wie in den sich entwickelnden Ländern entgegenwirken soll. Das tut der Konzern nicht aus Altruismus, sondern weil er dort das Geschäft der Zukunft ortet.

Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell bei H&M

Auch der Textilriese H&M sieht Gefahren für seine Zukunft - nämlich bei dem Preis und der Verfügbarkeit von Baumwolle - und begegnet dem mit einer Nachhaltigkeits-Strategie. Im jüngsten Nachhaltigkeits-Bericht heisst es, H&M komme Schritt um Schritt vorwärts hin zum Ziel und der Vision, in Kreisläufen zu wirtschaften. Bis 2030 will der Konzern nur noch wiederverwertete oder nachhaltig produzierte Materialien für seine Textilien verwenden.

Das heisst, Baumwolle, deren Anbau zusehends für ökologische Folgeschäden sorgt, soll künftig aus Alttextilien wiedergewonnen und zu neuen Kleidungsstücken verarbeitet werden. Die technischen Voraussetzungen dazu erarbeitet H&M zusammen mit Forschungseinrichtungen in Schweden.

H&M rührt nicht am Problem seines Kerngeschäftes

Auch dieser Initiative kann Dyllick durchaus etwas abgewinnen. H&M zeige sich sensibel für ökologische Fragen. Aber im Unterschied zu Unilever rührt H&M nicht an das Problem seines Kerngeschäfts. «Die Textilbranche steht unter Druck, weil sie auf billige Mode und schnell wechselnde Kollektionen setzt, sogenannte Fast Fashion.»

Dieses Konzept basiert darauf, dass Konsumenten ständig Neues kaufen und damit Ressourcen verschwenden. Darüber hinaus funktioniert ein solches Geschäftsmodell nur, weil in den Produktionsländern Menschen mitunter zu Hungerlöhnen und unter unwürdigen Bedingungen arbeiten.

Ausbeutung billiger Arbeitskräfte

Hier setzt denn auch die Kritik der Nichtregierungsorganisationen an. «Was heisst hier unternehmerische Verantwortung?», fragt Oliver Classen von Public Eye. H&M stelle sich nicht dem Grundproblem und setzte nicht dort an, wo es wirklich relevant sei, «nämlich bei ihrem auf Ausbeutung billiger Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen beruhenden Geschäftsmodell», so Classen.

Yves Zenger von Greenpeace anerkennt zwar, dass der Konzern einiges unternehme, moniert aber, das Geschäftsmodell an sich sei nicht nachhaltig. Er kritisiert darüber hinaus die hohen Polyester-Anteile in der Billigkleidung. Nur schon beim Waschen gelangten Plastikmikrofasern ins Abwasser und letztlich in die Gewässer. Ganz zu schweigen davon, was mit dem Plastik passiere, wenn das Kleidungsstück entsorgt werde. «Plastik-Kleidung ist immer schlecht und Plastik gehört verbannt», so sein Fazit.

Nachhaltigkeit als PR-Gag

Gegen das Problem riesiger schwimmender Plastikinseln in den Ozeanen will auch der Computerriese Dell etwas unternehmen. Er kündigte jüngst an, Plastik von Stränden, aus Gewässern und Uferregionen sammeln zu wollen, um damit neue Verpackungen für einen Laptop herzustellen. Gesammelt werden in einem ersten Schritt 7,3 Tonnen.

Hier sind sich der HSG-Professor und die Nichtregierungsorganisationen einig: Das ist nichts als eine Werbeaktion. Diese Initiative setzte bei einer absoluten Marginalie des Dell-Geschäfts an.

Kreislauf als Ziel

Und: «Was passiert mit den neuen Verpackungen, wenn auch sie nicht mehr gebraucht werden?», fragt Zenger von Greenpeace. Das Ziel müsste ein Kreislauf sein. Zenger meint, dass es dazu politische Vorgaben brauche: «Einwegplastik müsste verboten werden.» Darüber hinaus sei der Verpackungswahnsinn grundsätzlich eine riesige Verschwendung von Rohstoffen: «Das muss als ganzes kritisch betrachtet werden, nicht nur in Bezug auf Plastik», sagt Zenger. 

Angesichts der aufgeführten Beispiele resümiert der HSG-Professor Dyllick, was unter echtem Nachhaltigkeits-Management zu verstehen sei: «Die Konzernspitze setzt auf eine Strategie, die nicht an der Verminderung negativer Auswirkungen der eigenen Tätigkeiten ausgerichtet ist, sondern positive Lösungsbeiträge für gesellschaftliche Nachhaltigkeitsprobleme schafft.»

Will heissen: Wirklich nachhaltig verhalten sich Konzerne erst dann, wenn sich ihr Engagement im Kerngeschäft bemerkbar macht; wenn also die Chefs in der Unternehmensstrategie verankern, dass sich wirtschaftlicher Erfolg wegen - und nicht trotz - nachhaltigem Verhalten einstellen soll.

(sda/ccr)

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