Anderl Heckmair war ein Naturbursche im besten Sinn. Er führte 1938 die Seilschaft an, der die erste Durchsteigung der Eiger-Nordwand gelang. Als er nach dem Krieg bei schlechtesten Wetterverhältnissen den Walkerpfeiler an den Grandes Jorasses durchkletterte, trug er in seinem Rucksack eine Flasche Cognac mit sich, die er, falls sie hinderlich würde, die Wand hinunterwerfen wollte. Sie war nicht hinderlich, ja der Cognac rettete nach seiner Überzeugung in der Eishölle sein Leben. Immer wieder nahm er ein kleines Schlückchen, «wie Medizin genossen». Der Freund, der den kleinsten Tropfen verweigerte, hatte nachher Erfrierungen an Händen und Füssen, während Heckmair «durch guten Blutkreislauf» gar nichts abbekam.

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Für Walliser Bergführer gehörte Fendant in die Feldflasche, auf dem Gipfel des Mont Blanc wurde in lustvolleren Zeiten als den heutigen mit Champagner angestossen. Diego Wellig, jetzt Walliser Grossrat, Marcel Rüedi, damals erfolgreichster Höhenbergsteiger der Schweiz, und ich tranken 1985 auf dem Gipfel eines Achttausenders eine Flasche Malvoisie. Dies ist meine einzige alpinhistorisch relevante Marke im Höhenbergsteigen. Der Wein war wegen seines Zuckergehalts gerade noch flüssig, beim ersten Schluck glaubte ich, Eiskristalle im Mund zu spüren. Es war köstlich. Den Abstieg bewältigten wir dann beschwingt und sicher in eineinhalb Stunden – für den Aufstieg hatten wir mehr als zwölf Stunden gebraucht.

Mit all dem soll jetzt Schluss sein. Ein Trommelfeuer von Verordnungen, Warnungen und Verboten soll auch mässigen Alkoholgenuss einschränken oder gar ganz beenden. Galt bisher als evident, dass regelmässiger mässiger Alkoholgenuss das Leben verlängere und die Sterblichkeit wegen Durchblutungsstörungen des Herzens vermindere, wird nun gewarnt, dass das Krebsrisiko ansteige. Eine von hundert Frauen und drei von hundert Männern, die sich regelmässig ein Gläschen gönnen, könnten eine Tumorerkrankung entwickeln, warnen die Präventionsterroristen von Weltgesundheitsorganisation, Ärzteschaft und Bundesamt für Gesundheit. Verschwiegen wird, dass die Hedonisten trotzdem länger leben. Unerwähnt bleibt auch eine Studie der Universität Bordeaux, nach der regelmässiger Weinkonsum mit besseren Denkfunktionen im Alter einhergehe.

Am schlimmsten aber sind die Ärzte, die sterbenskranken Patienten und Patientinnen das Glas Wein als eine der letzten verbliebenen Lebensfreuden verbieten – das vertrage sich nicht mit den Medikamenten. Ich habe dies immer für eine besonders üble Ausübung von sadistischen Neigungen gehalten und meinen Patienten empfohlen, eher die Tabletten zu reduzieren als den Wein. Notfalls könnten die Tabletten, entgegen den Weisungen in den Beipackzetteln, auch mit Wein hinuntergespült werden.

Anhänger der freudlosen Kultur von Mineralwasser und Fencheltee waren beziehungsweise sind Hitler, Putin und Sarkozy. Goethe trank zu jedem Mittagessen Rheinwein, Beethoven liess sich durch Gebranntes inspirieren. Churchill liebte jegliche Form von Alkohol und rettete Europa. Halten Sie es also lieber mit den Hedonisten. Anderl Heckmair betonte auch im hohen Alter – er wurde 98 Jahre alt – seine Überzeugung, dass «Alkohol, mässig genossen, auch in grösseren Mengen» nicht schade. Sein Denkmal ist die Eiger-Nordwand. Jenes von Hitler sind 55 Millionen Tote.

 

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.