Entscheiden am Ende Wayne Rooney und Gareth Bale über den EU-Verbleib von Grossbritannien? Was lange unwahrscheinlich klang, halten manche Experten mittlerweile nicht mehr für völlig ausgeschlossen. «Das könnte eine Rolle spielen», sagt etwa der seit Jahren in London arbeitende Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Sowohl Wales als auch England haben sich vor dem Brexit-Referendum am Donnerstag den Einzug ins Achtelfinale gesichert. Nordirland könnte am Abend bei einem Erfolg gegen Deutschland nachziehen.

«Das Ergebnis ist letztlich aber weniger wichtig als die Eindrücke, die die Fans in Frankreich gewinnen und wie diese Eindrücke in den britischen Medien vermittelt werden», betont Schmieding. «Wenn die Fans in Frankreich die Stadien nicht erreichen, weil Flüge oder Züge bestreikt werden, könnte das unangenehm sein. Wenn die Fans sich dagegen wohl fühlen und schön feiern können, könnte das ein positives Europa-Gefühl stützen.» Dass kleine Dinge am Ende den Ausschlag bei dem mit Spannung erwarteten Referendum geben können, signalisieren die jüngsten Umfragen. Demnach kann weder das Lager der Brexit-Befürworter noch das der EU-Anhänger seiner Sache sicher sein. Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab.

Robert Fawcett hat seine Stimme bereits abgegeben. Der 25-jährige Ingenieur aus dem Küstenstädtchen Grimsby in Nordengland hat für einen Abschied aus der Europäischen Union gestimmt. «Es gibt nicht viele Jobs in Grimsby», sagt er. «Das ist ein grosses Thema für mich und der Hauptgrund, weshalb ich für den Austritt gestimmt habe.» Doch nach seiner Reise ins südfranzösische Lyon sind dem Fussballfan Zweifel gekommen, ob er sich richtig entschieden hat: «Es macht einen Unterschied, wenn man nach Europa kommt und alle zusammen sieht.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Stimmung gegen die EU

Tausende Fans haben sich aus England, Wales und Nordirland auf den Weg nach Frankreich gemacht, um das grösste Sportereignis des Jahres in Europa zu feiern. Eine Minderheit englischer Anhänger machte vor dem Spiel gegen Wales in Lille Stimmung gegen die EU. «We're all voting out/We're all voting out/F**k off Europe/We're all voting out», skandierten sie.

Fawcetts Freund Liam Blades ist dagegen für einen EU-Verbleib. «Die EU gibt es schon so lange, die Länder sind schon so lange zusammen - wenn da jemand geht und das aufzubrechen beginnt, dann könnte es Spannungen zwischen den Ländern geben. Da weiss man nicht, was am Ende herauskommt», sagt er nachdenklich. Der 24-jährige Techniker kam mit dem Eurostar durch den Ärmelkanal-Tunnel nach Frankreich. Er fragt sich, ob der bequeme Trip auch nach einem Brexit noch möglich wäre. «Es könnte Restriktionen geben, wenn wir die EU verlassen», befürchtet er.

Jamie Malley aus Schottland hat bereits für den Verbleib in der EU gestimmt. «Um ehrlich zu sein: Ich fühle mich genauso als Europäer wie als Brite», betont er. «Ich möchte keinen Brexit, wir sollten bleiben.» Sein Freund Jon Bickley aus Bath im Südwesten Englands zögert noch mit einer Entscheidung. «Wir haben uns hier erstmals überhaupt mit Albanern unterhalten. Dabei kam heraus, dass sie in London leben, aber weiterhin Albaner sind. Ich weiss, dass sie nicht in der EU sind, doch lässt einen das ein bisschen mehr als Europäer fühlen», sagt er. «Ich bin derzeit hin- und hergerissen. Jamie liegt mir 24 Stunden am Tag in den Ohren, weshalb ich mehr zu 'Remain' tendiere.»

Nicht nur gute EM-Erfahrung

Aber nicht jeder Fan von der Insel macht gute Erfahrungen rund um das Turnier. Vielleicht auch, weil es in Marseille Zusammenstösse gewaltbereiter englischer und russischer Hooligans gab. Der Klempner Matt Tory war mit Freunden in einem Minibus unterwegs, bis dieser kaputt ging. «Wir haben uns an Polen gewandt, wir haben Franzosen um Hilfe gebeten. Die sind alle weggegangen und haben uns allein gelassen», klagt er. Sein Freund Chris Poulsen sagt: «Es sieht so aus, als seien wir eine verhasste Nation.» Dennoch tendiert der 39-Jährige dazu, gegen den Brexit zu stimmen - auch, weil er sich Sorgen um die Zukunft seines Sohnes macht. Sein Kumpel Mark Kelly sagt, dass die Erfahrung in Frankreich und das Zusammentreffen mit anderen Fans ihn nicht stärker als zuvor europäisch fühlen lasse. «Du sprichst mit denen, lachst mit ihnen - aber es geht nicht um Politik», sagt er. «Am Ende geht es doch nur um Sport.»

(reuters/ccr)