Das keine zwanzig Gehminuten nördlich des Weissen Hauses gelegene Gebiet in Washington, D.C., ist als «Think Tank Row» bekannt. Eine ganze Reihe von Denkfabriken wie Carnegie, Peterson oder Brookings ist dort ansässig. Brookings hatte am letzten Novembertag mit Jerome Powell einen ganz besonderen Gast. Ruhig referierte der mächtigste Notenbanker der Welt, ab und zu über seine Lesebrille blickend, über die Zusammensetzung der Inflation und die vielen neu geschaffenen Jobs. In dem Saal war die Zuhörerschaft klein, doch via Livestream hörte die gesamte Finanzindustrie gebannt zu. Anfänglich hatte Powell nur wenig Erfreuliches zu sagen. Trotz ermutigender Zeichen sei der Weg zur Preisstabilität steinig und noch lange. Doch auf eine Passage, die sich Powell für den Schluss des Vortrags aufhob, hatten die Märkte gehofft. «Es ist sinnvoll, das Tempo der Zinserhöhung zu drosseln, da wir uns dem Niveau nähern, das ausreicht, um die Inflation zu senken», sagte er und versetzte den Kursen an den Aktienbörsen damit einen kräftigen Schub. Die Hoffnung, dass die Fed die Zinsen nicht zum fünften Mal in Serie um aggressive 75  Basispunkte, sondern nur noch um 50 erhöht, katapultierte die besonders unter den Zinsen leidenden Tech-Werte an der Nasdaq um 4,1 Prozent in die Höhe.

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Historische Verluste

Ein Jahr zuvor hatte Jerome Powell damit aufgehört, die Inflation als vorübergehendes Phänomen zu bezeichnen, und die Märkte in die Gegenrichtung geschickt. Mit der ausufernden Teuerung setzte ein Reigen an Zinsschritten ein. Die Kurse an den Anleihenmärkten kollabierten, die Aktienbörsen brachen ein. Ein klassisches 60:40-Portfolio brachte die grössten Verluste seit dem Zweiten Weltkrieg. Nun hoffen die leidgeprüften Investoren, dass sich die Teuerungswelle wieder abbaut, dass die mächtigste Notenbank der Welt die geldpolitischen Daumenschrauben wieder etwas löst und eine Erholung einleitet.

Erich Gerbl
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