Es tut sich was im Reich des Reportings. Zuvorderst in den Ergebnissen unseres Geschäftsberichte-Ratings: Ein bisher ungewohnter Gast, in den zurückliegenden zehn Jahren kein einziges Mal auf dem Treppchen vertreten, grüsst neu von der Spitze – es handelt sich um die Schweizerische Post. Sie hat 2023 den besten Bericht abgeliefert. Zwar hatte es die Post im Vorjahr unter die besten zwölf Berichte geschafft; diese elitäre Auswahl wird von der letzten Instanz, der Schlussjury, nach diversen Vorinstanzen noch einmal unter allen Blickwinkeln neu begutachtet. Ansonsten jedoch war die Post, was hochwertiges Reporting betrifft, bis dato unverdächtig geblieben.

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Auf dem zweiten Platz hingegen folgt ein Dauergast auf dem Podest: Sanitärmulti Geberit, der das Rating schon mehrfach für sich entschieden hatte, sich aber neu minime Schwächen erlaubt. Und Dritter ist Vorjahressieger Sika. Der Bauzulieferer, punkto Signature-Konzernfarbe mit seinem Gelb nur Nuancen vom klassischen Postgelb entfernt, musste sich schliesslich geschlagen geben, aber zwei Podestplätze in Folge sind, auch im langjährigen Vergleich, eine selten erfolgreiche Ausbeute – zumal es der Sika gelingt, ihr kommunikativ eher sperriges Geschäft mit einer unübersichtlichen Palette an Zusatzstoffen und Technologien für Bau und Gebäudeausrüstung attraktiv und verständlich darzustellen – eine Herausforderung, die sich weder der allgegenwärtigen Post noch der in Bad und Waschraum stets präsenten Geberit stellt.

Brillierende Pöstler

Die Post brilliert vor allem mit ihrem kompakten «Jahresbericht», einem Schaufenster in die verästelten Geschäftsbereiche des gelben Riesen, der die Operationen gut und die Strategie ganz anständig aufarbeitet und auch vor putzigen Schaubildern und Grafiken nicht zurückschreckt – die allerdings durchs Band gelungen sind. «Der Umgang mit einer Vielzahl an Informationen und Darstellungsformen, ohne die Übersicht zu verlieren oder Leser zu verwirren, das Ganze in einem Corporate-Umfeld und zugleich magazinartig verpackt, das verlangt und beweist grosse Fertigkeiten», sagt Jürg Trösch, Design-Experte und Mitglied der Jury. Und: «Es ist nicht bünzlig!» Insgesamt sei der Bericht «nahbar und stringent», sagt Jurorin Anna-Pia Link von der (nicht mit ihr verwandten oder verschwägerten) Publishing-Agentur Linkgroup; man merke den inhaltlichen Gefässen an, «dass viel unternommen wurde, um Kompliziertes einfach zu halten». Michel Gerber, Experte für Investor Relations, fand den Bericht ebenfalls gut – aber fragte sich, warum die Post derart viel Aufwand betreibe, «aber dafür die A-Post nicht mehr garantiert am nächsten Tag zugestellt wird». Etwas irritiert zeigte sich Trösch über die Bildsprache: Die Fotos wirkten derart clean und inszeniert, dass sie nach «Stock» aussehen, also von Agenturen vertriebenen Symbolbildern. Dabei sind es in Wahrheit leibhaftige Pöstlerinnen und Pöstler, lediglich auf der Frontseite posiert ein, allerdings eigens für den Post-Report ins Bild gesetztes, Fotomodell; richtige Menschen also, von den Machern vielleicht etwas überinszeniert. Aber es gibt schlimmere Sünden.

Geberit punktet, einmal mehr, mit dem eingängigen Konzept, das ihr bereits Vergleiche mit Dauerbrennern wie Porsche 911 oder Rolex Submariner einbrachte: Ein Kurzbericht mit den wichtigsten Daten, ein Jahresbüchlein zum Blättern und Lesen, der gesamte Report hingegen, wie üblich bei Geberit in trockener, aber informationsdichter Sprache verfasst, findet sich nur online. Nach wie vor sei der Geberit-Bericht einer der besten, sagt Mattia Conconi, Juror und Partner bei der Designberatung Gottschalk+Ash, «schade, dass andere nicht auf dieses Level kommen». Doch auch Geberit baut allmählich etwas ab – die vor Jahren noch glasklare Onlinenavigation werde strukturell immer komplexer, bemängelte eine Jurorin, und den Fokus auf «währungsbereinigtes» Wachstum, der die tatsächlichen Zahlen zu vernebeln suche, kritisierten zwei weitere. Andererseits, lobt Juror Arun Vasudevan vom Institut für Banking und Finance der Universität Zürich, hat sich Geberit in einigen inhaltlichen Kriterien auf hohem Niveau noch einmal weiterentwickelt: Die Darstellung der Geschäftsstrategie sowie insbesondere der Mitarbeiterzufriedenheit hätte rundum überzeugt, und gerade die letztere Kategorie komme leider «in vielen anderen Berichten zu kurz».

Bauzulieferer Sika, Sieger des Vorjahres, kann nach wie vor überzeugen. «Sauber, allerdings nicht begeisternd», bilanzierte ein Juror, aber eben – es sei ja nun mal die Baubranche und nicht ein fancy Dienstleister. Jurorin Britta Simon, Aktienanalystin bei der Bank Julius Bär, lobte die «klare Sprache» und «das gut erklärte Marktumfeld» sowie die Angaben, wann genau Sika Umsatz ins Zahlenwerk einbuche, «das machen nicht viele Unternehmen». Selbiges gilt für ein kurzes Selbstporträt des Konzerns, wie Kommunikationsberater Andreas Jäggi anmerkte, «das gefällt mir besonders». Und Susanne Loacker, Dozentin für Angewandte Medienwissenschaft an der Zürcher Hochschule ZHAW, diagnostizierte einen «sehr gut strukturierten Einstieg» in den Bericht sowie – eine Seltenheit ansonsten – «authentisch klingende Texte zu den Mitarbeitern» und eine gewisse Lust an sprachlicher Variabilität.

Dass bisweilen Daten nur als prozentuale Veränderungen zum Vorjahr gezeigt werden, ohne die absoluten Zahlen zu nennen, stiess aber genauso sauer auf wie der von Sika gefeierte «operating free cash flow» – was das genau ist, konnte Juror David Baur aber «in den Erläuterungen nicht nachvollziehen», und Baur, beim Prüfungs- und Beratungshaus PwC in leitender Funktion für Financial Reporting, kennt sich beruflich mit so was aus.

Es tut sich aber auch etwas im Reich der Berichterstatter und ihrer Stakeholder. Unternehmen begreifen ihre Annual Reports mehr und mehr als Schaufenster ihrer Tätigkeit, als Transmissionsriemen für die integrierte Darstellung ihrer Geschäftstätigkeit, aber auch ihrer ESG-Bemühungen um Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit und den Umgang mit der wertvollen Ressource Mitarbeiter – vom früheren nackten Zahlenfriedhof entfernen sich die Reports immer mehr.

Integration bedeutet in diesem Zusammenhang zugleich: Die Trennung zwischen Print und Online verschwindet immer mehr, beide Dimensionen werden zusammen gedacht und konzipiert. Dass online nur ein PDF des gedruckten Berichts zu finden ist, gehört bei den meisten Firmen heute der Vergangenheit an.

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Aufwendiger Prozess

Die Stakeholder der Berichterstatter, allen voran natürlich die Jury des Schweizer Geschäftsberichte-Ratings, modernisieren sich im Gleichschritt mit – die Design-Juroren bewerten Print und Online nicht mehr getrennt, sondern integriert, und vereinen Teilfragen etwa zur gestalterischen Struktur, zur Qualität von Typografie, Bildern und Diagrammen oder zur Strategie des kommunikativen Auftritts zu einer ganzheitlichen Betrachtung. Und last but not least wird sich auch der komplexe Prozess der «Jurierung» verändern. Das Rating, angesiedelt beim Harbour Club, der Vereinigung Schweizer Kommunikationschefs, wird ab 2024 von einem Beirat begleitet, der sich um Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Ratings kümmert. Dieses Gremium wird durch Kommunikationsberater Andreas Jäggi und Jürg Trösch, Publishing-Experte für Reporting, konstituiert. Beide bleiben in dieser Funktion in der Schlussjury vertreten, werden dort aber nicht mehr stimmberechtigt sein. Zugleich wird damit in dieser Jury Platz für eine Verjüngung geschaffen. Als dritte Person im Beirat figuriert Leandro Künzli, Finanzexperte bei KPMG.

Was in bewährter Weise erhalten bleibt, ist der aufwendige Prozess der Evaluation über gleich mehrere Jurys, die sich über die Hunderte Berichte beugen. Ziel ist, persönliche Vorlieben, Eindrücke oder Prioritäten, sei es im Design oder im inhaltlichen Reporting, über die Kraft der grossen Zahl an Voten und der Diversität einzuebnen und zu objektivieren – Diversität nicht zuletzt der Geschlechter, aber längst nicht nur. Alter, Erfahrung und professionelle Hintergründe decken ein breites Spektrum ab. Jurymitglieder, die in irgendeiner Weise über ihre Jobs an einem der Berichte mitgewirkt haben, und sei es nur als Berater, enthalten sich bei den spezifischen Beratungen konsequent der Stimme.

Das Ganze nimmt seinen Anfang am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich. Dort bilden Professor Alexander Wagner, seine Mitarbeiter Sascha Behnk, Selina Casanova und Arun Vasudevan sowie 31 Studierende gemeinsam die Vorjury «Value Reporting». Als ehemaliger Mitarbeiter Wagners sammelte Leandro Künzli bereits Erfahrung mit der Untersuchungsmethodik, die ihm für sein Amt im Beirat zugutekommen wird. Mit einem Kriterienkatalog im Umfang einer Firmenbroschüre analysieren diese Experten über Wochen sämtliche Berichte, und zwar konsequent aus dem Blickwinkel eines Investors. Die Leitfrage: Bildet dieser Report vollständig und wahrhaftig den Zustand der Firma ab, und kann er damit als verlässliche Grundlage für Investitionsentscheide dienen?

Ausserdem untersucht die Jury, ob die Vielzahl weiterer Stakeholder wie Lieferanten, Kunden, Geldgeber, Ratingagenturen, Journalisten oder auch Umweltbehörden ausreichend und verständlich über die – hoffentlich vorhandenen – Bemühungen des Unternehmens punkto Nachhaltigkeit informiert werden. Wagners Bewertungsraster weist diesem Themenblock eine Gewichtung von 15 Prozent der Value-Reporting-Rangliste zu. Eine so hohe Bedeutung geniesst daneben nur noch das Sammelkriterium «wichtige Non-Financials», das so zentrale Abschnitte beinhaltet wie Strategie, Geschäftsmodell, Marktumfeld oder die berüchtigten Begrüssungsworte im Report von Chairman und CEO an ihre Leserschaft.

Stimmige Auftritte

Gestaltung und Auftritt der Berichte bewertet eine zweite Vorjury. Geleitet von Jiří Chmelik, Creative Director bei Noir Associates und Dozent für Corporate Design an der Hochschule der Künste Bern (HKB), beleuchten und diskutieren zwölf herausragende Profis der Schweizer Designszene die Stimmigkeit der Präsentationen: Welche Botschaften möchte die Firma senden, welche Emotionen wecken, welche Inhalte betonen, und: Gelingt es, sind es die richtigen Mittel zur Zweckerreichung? Oder scheitert die kommunikative Absicht – und wenn ja, aus welchen Gründen? Design, zeigt sich hier, ist längst nicht nur Geschmacksfrage, sondern verlangt viel Wissen und Handwerkskunst.

Die beiden Vorjurys erstellen anhand ihrer Untersuchungen jeweils eine Rangliste. Diese werden sodann, gleichberechtigt, zu einem Gesamtranking zusammengerechnet. Es enthält dann sämtliche analysierten 236 Unternehmen. Dazu zählen Mitglieder des Schweizer Börsenindex SPI, zudem bedeutende nichtbörsenkotierte Firmen, sodass alle 50 umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz sowie die 25 grössten Banken und 15 grössten Versicherungen im Rating vertreten sind.

Die besten zwölf Firmen im Gesamtranking stellen sich der Schlussjury. Sie startet die Debatte um Inhalte und Design bei null, ohne Rücksicht auf die vorherigen Ranglisten. Hier bringen alle Stakeholder von Annual Reports ihre Sichtweisen ein. Vertreten sind Mitglieder der Vorjurys, Spezialisten etwa für PR, Investor Relations, Rechnungslegung, eine Finanzanalystin, eine Hochschuldozentin, ein Unternehmer, ein Journalist und mit dem Präsidenten des Harbour Club, Hans-Peter Nehmer, auch ein Berichterstatter höchstselbst; Nehmer leitet im Hauptberuf die Unternehmenskommunikation der Allianz Suisse. Einen vollen Tag lang diskutiert das Gremium ausführlich über Inhalte und Gestaltung der zwölf Geschäftsberichte, verengt dann das Kandidatenfeld auf sechs herausragende Reports und ermittelt letztlich in geheimer Abstimmung die drei Besten der Gesamtwertung.

Auch die Sprache zählt

Doch damit nicht genug: Eine vierte Jury unterzieht die besten Berichte aus den Vorjurys einer Untersuchung der Textqualität, Stichwort: Der Ton macht die Musik. Zudem wurde die Mehrsprachigkeit zuvor bewertet. Beiden Aspekten widmeten sich Seminare an der ZHAW. Die Dozentinnen Eva Bachmann und Susanne Loacker, die dort am Institut für Angewandte Medienwissenschaft lehren, kümmerten sich um sprachliche Qualität, während Andrea Hunziker Heeb und Elana Summers vom Institut für Übersetzen und Dolmetschen die Mehrsprachigkeit beleuchteten, jeweils unterstützt von ihren Studierenden. Sie vergaben gemeinsam einen «Spezialpreis Kategorie Text», den ebenfalls die Post abräumte, gefolgt von Sika und der Regionalbank Valiant. Für die Pöstler sprachen aussagekräftige Titel, verständliche und anschauliche Formulierungen, so die Expertinnen, «unumwunden und kompakt kommt der Geschäftsbericht auf den Punkt». Und vor allem: Die Post publiziert ihren Report in den drei grossen Landessprachen und zusätzlich auf Englisch. In allen Sprachen seien die Post-Slogans vorhanden, zudem geschlechtergerecht formuliert.

Die Schweizerische Post dominiert, zumindest aktuell, das Qualitätsranking der Schweizer Geschäftsberichte: Ganz so schlecht kann es um den heimischen Service public also nicht bestellt sein.

Dirk Ruschmann
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