Je luxuriöser und internationaler die Hotels, desto mehr Management-Berater, Branding-Agenturen und Social-Media-Spezialisten sind involviert. Das führt zu einer smarten Corporate Identity, die zum einen den visuellen Hotelauftritt normt (Schriftzüge, Farben, Uniformen, digitaler Auftritt und all das Zeug), zum andern die Werte und die Unternehmensstrategie eines Hotels herausarbeitet, um sich nach innen und aussen klarer zu profilieren. Das Ganze wird flankiert von mehr oder weniger gutem Storytelling und inflationär verbreiteten Nachhaltigkeits-Versprechen, die zum Schlüsselkonzept der 2020er-Jahre geworden sind.

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Dabei geht oftmals vergessen, worauf es in einem Hotel wirklich ankommt. Um sich darüber klar zu werden, braucht man lediglich seine letzten Reisen vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen und sich selbst die Frage zu stellen, welche Häuser einen bleibenden Eindruck hinterliessen – und weshalb. War es das Innendesign des angesagten schwedischen Architekten? Waren es die holistischen Spa-Behandlungen, welche das Hotel so unvergesslich machten? War es die Sterneküche des medial gefeierten Spitzenchefs? Oder war es ganz einfach das liebenswerte Hotelteam, das ohne viel Aufhebens die Extrameile geht und ein feines Gespür dafür hat, was der Gast wann braucht, was er vor allen Dingen nicht braucht, unter keinen Umständen haben möchte?

Menschliche Substanz statt Corporate-Mumpitz

Natürlich kann ein kluger und sinnvoller Corporate-Kompass viel Gutes für ein Hotel bewirken. Doch oft sind die Versprechen leer und mit allerlei Worthülsen hochgeföhnt, Dekoration ohne Substanz. Anstelle von Qualitätsmanagern und Unternehmensberatern, Finanz- und Digitalexperten benötigen die meisten Hotels vielmehr eine Barbara. Barbara ist der Typ einer Hotelmitarbeitenden, der es sichtlich Freude bereitet, andere Menschen glücklich zu machen und die ganz nebenbei das «Wir-Gefühl» im Team stärkt – eine authentische Gastgeberpersönlichkeit, die sich intuitiv in jeden einzelnen Gast hineindenken kann und den Anforderungen des Moments souverän gerecht wird statt roboterhaft einem Katalog von Service-Standards zu folgen.

Ein solches Teammitglied ist ein Hauptgewinn für jedes Hotel, egal in welcher Abteilung und Position. Im Gstaad Palace füllt Barbara Branco-Schiess diese Funktion als Guest Relations Manager beispielhaft aus. Als «Mädchen für alles» umschreibt die herzlich-lebensfrohe Thurgauerin ihr Aufgabengebiet, das man sich als eine Art Mittelsperson zwischen Rezeption, Concierge, Direktion und Gast vorstellen kann.

Gerade in Zeiten, in denen die Dienstleistungsqualität in vielen touristischen Branchen vor die Hunde geht (allen voran bei den Airlines und Mietwagenfirmen), ist es wichtig, sich auf jene Akteure zu besinnen, die den Laden wirklich am Laufen halten, mit gesundem Menschenverstand agieren und stets ein Auge darauf haben, dass die grundlegenden Dinge verlässlich umgesetzt werden. Hotels, die allseits respektierte Charaktere wie José Alfonso Gil (Concierge im Fairmont Le Montreux Palace), Markus Kinzel (Empfangschef im Giardino Ascona) oder Diane Blanch (Restaurantleiterin im Beau-Rivage Palace in Lausanne) im Boot haben, brauchen sich um Vieles nicht mehr zu sorgen. 

Das Gastgeber-Gen

Ähnliches lässt sich über Mattias Roock (Küchendirektor im Castello del Sole) und Nuno Lavoura (Housekeeper im Chenot Palace Weggis) sagen – beide gehen ihrer Arbeit mit einem gewissen Grad an Besessenheit nach und verlieren auch in stressigen Phasen, die es im Hotel nun mal gibt, weder Übersicht noch Fassung. Weitere Ausgezeichnete tragen das Gastgeber-Gen in sich: So sind Estelle Gomes (Spa-Leiterin im Gstaad Palace), Ines Triebenbacher (Sommelière im Igniv Restaurant im Marktgasse Hotel Zürich) und Pantaleone Zoccali (Barchef im Eden Roc Ascona) nicht nur hilfsbereite Teamplayer, sondern auch zugängliche Menschenversteher, die ihren Häusern erst den unvergleichlichen Touch geben. Als Gast ist man da in guten, ja in besten Händen.
 

Hôtel du Cap-Eden-Roc, Cap d’Antibes/Côte d‘Azur
Hotspots des guten Lebens: Die 300 besten Hotels in Europa und der Schweiz

Fünf Arten von Hotels prägen das 27. BILANZ-Hotel-Ranking. Was bei allen zählt, ist die atmosphärische Eigenheit und der menschliche Faktor. Dabei stehen die Schweizer Spitzenhäuser im direkten Vergleich mit ihren europäischen Pendants richtig gut da.

Manche Hotelvereinigungen wie «The Leading Hotels of the World» oder «Swiss Deluxe Hotels» haben die gesellschaftlichen Veränderungen erkannt und beziehen bei ihren Qualitätsnormen – und den entsprechenden Tests in den bestehenden und potenziellen Mitgliedshotels – neuerdings die emotionale Intelligenz der Hotelteams ein. Wurden bisher vor allem technische, schablonenhaft messbare Kriterien angewandt (Wie rasch wird das Telefon abgenommen? Wie lange dauert es, bis man in der Lobby bedient wird? Welche infrastrukturellen Möglichkeiten stehen bereit?), geht es heute verstärkt auch um die persönliche Note respektive darum, wie der Gast emotional abgeholt wird und welche Erfahrungen dieser vor Ort machen kann. «Unsere Aufgabe als Hoteliers ist es in erster Linie, dafür zu sorgen, dass die Gäste eine gute Zeit haben», sagt Andrea Scherz, Besitzer des Gstaad Palace in dritter Generation und seit 2022 Präsident der Leading Hotels of the World.

Wettbewerb um Talente

Die Achillesferse der weltweiten Hotellerie bleibt der Mangel an qualifizierten, warmherzigen Menschen, die eine solche Servicekultur gewährleisten können. Zwar hat sich die kritische Lage am Arbeitsmarkt im Vergleich zum Vorjahr verbessert, doch können im Wettbewerb um profilierte Köpfe nur exzellente Arbeitgeber bestehen.

Einen guten Hotelier zeichnet heute nicht nur aus, dass er für attraktive Löhne und Benefits sorgt und die Arbeitsstunden im Blick behält, sondern sich auch in punkto soziale Kompetenz, Kinderbetreuung, Ausbildungsplätze und Weiterbildung verdient macht. «Vor zehn Jahren kreiste der grösste Teil meiner Arbeit um die Gäste, an zweiter Stelle kamen die Mitarbeitenden – heute ist es umgekehrt», sagt Luc Califano, der das Grand Hôtel du Lac in Vevey mit ganzer Seele führt. Seine Geheimwaffe bei der Personalrekrutierung: «Die Mundpropaganda von Teammitgliedern, denen es bei uns gefällt und die uns als Arbeitsort weiterempfehlen, ist von grosser Wichtigkeit.» Nach dem gravierenden Fachkräftemangel während der Pandemie blickt er optimistisch nach vorn: «Immerhin können wir inzwischen wieder in allen Abteilungen unter verschiedenen soliden Bewerbungen auswählen.»

Nervige Gäste

Was sich die Hotels nicht auswählen können, sind die Gäste. Deren Verhalten lässt zunehmend zu wünschen übrig und kann die Arbeit selbst des freundlichsten und ausgeglichensten Hotelteams vermiesen. Die geschönte Welt auf Instagram führt oftmals zu unrealistischen Erwartungen – und Online-Booking zu einer geringschätzigen «Amazon-Prime-Mentalität»: Die Leute sind es gewohnt, den virtuellen Button «kaufen» anzuklicken, die Bestellung ohne menschlichen Kontakt im Handumdrehen geliefert zu bekommen oder in letzter Minute zu stornieren.

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«Eine wachsende Zahl von Gästen macht sich einen Sport daraus, die Regeln zu dehnen oder etwas umsonst zu bekommen», sagt ein nicht genannt sein wollender Hotelier einer Bündner Nobelherberge. «Sie reisen in der Hochsaison schon morgens an, wollen möglichst sofort ihr Zimmer, das wir ab 15 Uhr bezugsbereit halten, und kriegen dann je nachdem einen Wutanfall über das vermeintlich unterbesetzte Etagenpersonal oder fordern ein Upgrade als Kompensation.» Das ziehe sich dann bis am Abreisetag so weiter: Dieselben Gäste «vergessen» mittags die geregelte Check-out-Zeit und rufen um 12.30 Uhr die Rezeption an, ob ein Late Check-out möglich sei.

Faszinierender Mikrokosmos Hotel

Doch soll man sich von einzelnen Idioten unter den Gästen nicht irritieren lassen – so das Mantra der Profis an der Front. Nach wie vor überwiegen die angenehmen Gäste und die Augenblicke der Dankbarkeit, welche die Angestellten in vielen anderen Branchen vergeblich suchen. «Zum Reiz unserer verschiedenen Berufe im Hotel gehört auch, dass man nie genau weiss, was die nächste Stunde bringen wird, geschweige denn die nächsten 24 Stunden», sagen Jean-Marc und Charlotte Boutilly, die das «Villars Palace» zugkräftig durch das erste Jahr gesteuert haben. Der Umgang mit diesen ständig wechselnden Gegebenheiten im höchst spannenden Mikrokosmos Hotel erfordere eine Mischung aus guter Vorbereitung und Improvisationskunst. «Das ist nicht jedermanns Sache», so die BILANZ-Hoteliers des Jahres, «aber wer eine gute Intuition für Menschen und Situationen hat und in den gelegentlich fordernden Phasen eine gewisse innere Gelassenheit bewahren kann, für den entfacht die Hotelwelt immer wieder von Neuem ihre Magie.»

Das «Powerduo» Boutilly, das schon seit vielen Jahren in verschiedenen Hotels besonderes Geschick bewies, Talente an sich zu binden, musste – wie alle in der Branche – neue Wege gehen, um die Hotellerie vor allem für die Einsteigergeneration wieder anziehend zu machen. Das hiess auch, grössere Freiheiten einzuräumen, moderne Arbeitszeitmodelle einzuführen, erschwingliche Personalwohnungen bereitzustellen. Und den jungen Leuten den Sinn ihrer Arbeit zu vermitteln.

«Nichts ist sinnstiftender, als gemeinsam etwas zu schaffen», sagt Jean-Marc. Im «Villars Palace» beeindruckt, wie eingeschworen die Crew ist, wie gross der Zusammenhalt, das Know-how in allen Bereichen, der Enthusiasmus und die Liebe zum Detail. Hier wird vor und hinter den Kulissen deutlich, dass es im Gastgewerbe nicht nur ums Bedienen und Servieren geht, sondern dass der Job Teil von etwas Grösserem sein kann und ein harmonisch kooperierendes Team den entscheidenden Unterschied ausmacht – sowohl für die Gäste als auch für die Mitarbeitenden.