Herzog & de Meuron verkaufen die Firma an ihre Schlüsselmitarbeiter

Hellwacher Blick, federnder Schritt, weisse Turnschuhe und ein lässiges Sakko über dem Pullover – dem Mann gibt man seine 72 Jahre nicht. Aber Pierre de Meuron, Jahrgang 1950, hat das Pensionsalter in der Tat schon seit mehreren Jahren überschritten. Aktiv ist er geblieben, genauso wie der gleichaltrige Gründungspartner Jacques Herzog, der auf Fragen von Journalisten stets antwortete: «Solange wir beide gesund sind, machen wir weiter.» Das soll auch weiter so bleiben, sagt de Meuron – allerdings unter neuen Vorzeichen. Zusammen mit CEO Adrian Keller empfängt er BILANZ auf dem Firmencampus in Basel, um über die Zukunft von Herzog & de Meuron und die Nachfolgeregelung des Unternehmens zu sprechen. Kürzlich wurde mit den 15 Partnerinnen und Partnern der Firma (siehe «Der innerste Kreis») ein Aktionärsbindungsvertrag abgeschlossen. Dieser regelt, wie das Unternehmen Schritt für Schritt von den zwei Gründern an die Schlüsselmitarbeitenden verkauft wird. «Dieser konkrete und bindende Plan gibt allen anderen Mitarbeitenden und unseren Kunden eine klare Perspektive und Verbindlichkeit», sagt de Meuron. Vier Optionen, eine Lösung Ihr Architekturbüro, 1978 als einfache Gesellschaft gegründet und 1997 in eine AG umgewandelt, ist längst zu einer für diese Branche beachtlich grossen Firma herangewachsen: Die Gruppe mit 15 Gesellschaften beschäftigt rund 600 Mitarbeitende und hat ausser dem Hauptsitz in Basel Standorte etwa in Hongkong, Berlin, München, London, New York und San Francisco. Die Gründer sind längst internationale Architekturstars, die Bauten wie etwa Tate Modern in London oder die Elbphilharmonie in Hamburg geschaffen haben – Ikonen moderner Baukunst. Die Projekte werden von Partnerinnen und Partnern gemeinsam mit Herzog und de Meuron konzipiert. Auch die Firma wird schon seit geraumer Zeit gemeinsam mit jüngeren Kolleginnen und Kollegen im Team geführt. Seit 2005 hätten er und Jacques Herzog Szenarien für das Weiterbestehen von Herzog & de Meuron ausgelegt, so de Meuron. Vier Optionen seien damals im Raum gestanden. Erstens: Die Firma stirbt mit den Gründern. Zweitens: Die Familie übernimmt. Drittens: Sie wird an einen Investor verkauft. Viertens: Die Mitarbeitenden übernehmen. Für diese vierte Lösung hat man sich mit Unterstützung von externen Beratern entschieden. De Meuron ist sehr froh, dass sie in Zusammenarbeit mit den Partnerinnen und Partnern weiterentwickelt und umgesetzt werden konnte. Was ist das Besondere an dem Generationenmodell? Die beiden Gründer geben die Aktien an die Partnerinnen und Partner zu einem vergleichsweise günstigen Preis weiter, um sicherzustellen, dass die Partnerschaft bei Herzog & de Meuron keine Frage der finanziellen Möglichkeiten ist. «Das garantiert, dass die talentiertesten und qualifiziertesten Architektinnen und Architekten bei uns ihre Zukunft sehen und das Unternehmen mitgestalten», so de Meuron. Branchenkenner schätzen den Marktwert des Unternehmens auf deutlich über 100 Millionen Franken. Jedoch ist diese Summe im Fall von Herzog & de Meuron nicht massgebend, da die Firma weder börsenkotiert ist noch auf dem Markt an einen Investor verkauft wird. Zum wesentlich tieferen Verkaufspreis, der im gewählten Generationenmodell bestimmt wurde, wollen die Gründer keine Angaben machen. Das Beteiligungsmodell besteht schon seit 2009. Der Anteil von Jacques Herzog und Pierre de Meuron liegt heute bei rund 60 Prozent, jährlich werden weitere Aktienpakete von den Partnerinnen und Partnern erworben. Gleichzeitig wurden spezielle Stimmrechtsaktien geschaffen, die den beiden Gründern auch mit kleinerem Kapitalanteil die Stimmenmehrheit sichern, solange sie aktiv sind. Der Firmenname Herzog & de Meuron werde unter der neuen Organisationsform beibehalten, bekräftigt de Meuron. Kein Wunder: Das Label ist stark. Auch wenn Herzog & de Meuron regelmässig Anfragen für Direktmandate erhalten, beteiligt sich die Firma lokal, national und international aktiv an Wettbewerben. Es sei entscheidend, sich immer wieder zu messen, denn Wettbewerbe erforderten höchste konzeptionelle Präzision. Zudem würden grosse öffentliche Bauten wie Stadien, Museen oder Spitäler immer durch Wettbewerbe vergeben, und diese gesellschaftlich relevanten Projekte seien zentral im Portfolio. Die Frage, wer von den 15 Partnerinnen und Partnern das Potenzial habe, zu den neuen Galionsfiguren zu werden, will und kann de Meuron nicht beantworten: «Ich will niemanden hervorheben», sagt er. Die Partnergruppe sei sehr international und spiegle unterschiedliche Talente, Spezialgebiete und Generationen wider: «Deshalb ist das Modell nachhaltig», sagt er. Man werde in Zukunft mehr Persönlichkeiten von Herzog & de Meuron öffentlich wahrnehmen. Der Prozess hat schon begonnen, immer wieder tauchen Partner und andere Mitarbeitende in den Medien auf, etwa Christine Binswanger, die als Spezialistin für Spitalbauten gilt, oder Ascan Mergenthaler, auf den man etwa bei der Elbphilharmonie aufmerksam wurde. An der operativen Führung des Geschäfts soll sich nichts ändern. Seit 2017 hat das Unternehmen mit Adrian Keller einen CEO, der vorher unter anderem bei SBB Cargo war. Er verantwortet mit der Geschäftsleitung das operative Geschäft. Davor hatte Pierre de Meuron selbst die Geschäftsführung. Die Zusammenarbeit laufe sehr gut, betonen beide. Keller soll auch unter veränderter Eigentümerschaft seine bisherige zentrale Rolle als CEO beibehalten. «Die Professionalität im operativen Geschäft ist fundamental für den Erfolg», so de Meuron. Die konsequente Trennung von Eigentümern und strategischer Führung einerseits sowie operativer Leitung durch den CEO andererseits sei massgebend für eine gute Governance. Wichtig wird sein, dass der innovative, suchende Spirit, der Herzog & de Meuron ausmacht und zu massgeschneiderten Lösungen führt, in die Zukunft getragen wird. Einige der Partnerinnen und Partner sind schon seit den neunziger Jahren dabei. Die Idee von Zusammenarbeit, die in der engen Beziehung von Herzog und de Meuron ihren Anfang nahm, hat sich schon lange als Methodik bewährt. Die beiden Gründer gelten als sehr enges Gespann und kennen sich, seit sie sieben Jahre alt waren. Sie gingen in der Primarschule in die gleiche Klasse und waren schon damals enge Freunde. Bauprojekt in eigener Sache Das Unternehmen sei bis heute ein starker Magnet für junge Talente, so CEO Keller. Das erleichtere es, das hohe Niveau zu halten. Was macht denn einen typischen Mitarbeitenden aus, was ist der gemeinsame Nenner? «Offenheit, Neugier und die Frage: Wie gehe ich damit um, was in der Welt passiert? Welche Auswirkung haben unsere Bauten, unsere Arbeit auf die Gesellschaft?», sagt de Meuron. Die Mitarbeiter kommen aus über 40 Nationen, das Durchschnittsalter liegt bei rund 35 Jahren. Die Firma ist so stark gewachsen, dass der Platz in Basel knapp geworden ist. Nächstes Jahr sollen daher die Bauarbeiten für einen zweiten grossen Standort in Basel beginnen: Auf dem Dreispitzareal entsteht ein neues Bauwerk mit sieben Stockwerken. Laut Keller soll die Mitarbeiterzahl in Basel stabil bleiben mit rund 500 Personen, die etwa zu gleichen Teilen auf die beiden Standorte verteilt werden sollen.