Am Anfang arbeitete er an einem umgebauten Ikea-Pult. Für mehr hatte Pierre Salanitro, Jahrgang 1966, schlicht kein Geld. Also fuhr er zum schwedischen Möbelhaus, holte sich so ein Billigteil und bastelte daraus sein eigenes Etabli, wie Uhrmacher und Goldschmiede ihre Werkbank nennen. Das war vor 32 Jahren. Und es war – Salanitro konnte das aber noch nicht ahnen – der erste Schritt zu einer verrückten Tellerwäscher-Karriere. Sie fand diese Woche mit dem Einstieg von Patek Philippe bei Salanitros Firma ihre Adelung.

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Heute ist Salanitros Manufaktur die mit Abstand wichtigste Schweizer Adresse, wenn es um das Fassen von wertvollen Steinen auf wertvolle Uhren geht – alle Marken von Rang und Namen lassen Diamanten, Saphire, Rubine oder was auch immer bei ihm auf die Gehäuse, Zifferblätter oder Armbänder setzen.

Von zur Schau gestelltem Protz hält Salanitro gar nichts

Typisch für den Mann: Auf seiner Visitenkarte steht schlicht «Administrateur», was auf Deutsch Verwalter heisst. In Tat und Wahrheit ist Pierre Salanitro Chef und Besitzer des vielleicht glamourträchtigsten Unternehmens der Branche. Typisch ist auch das Domizil des Unternehmens, ein schmuckloser Bau aus den 1980er Jahren, irgendwo im Genfer Nirgendwo, gelegen zwischen anonymen grauen Betonbauten, Zollfreilager, Banque Pictet, Autohändlern und ein paar Restaurants.

Den bescheidenen Eingang muss man nachgerade suchen. Man hat zwar mit teuersten Preziosen zu tun, aber von zur Schau gestelltem Protz hält man hier gar nichts.

Fachkraft an der Arbeit bei Salanitro

Nur für höchst Erfahrene: In der Abteilung «Tradition» gibt es keine Maschinen, nur 100 Prozent Handarbeit.

Quelle: David Wagnières für BILANZ

Begonnen hatte alles aus Zufall: Pierre Salanitro, eher lustlos im Banking tätig, hatte mit einem ehemaligen Schulkollegen zum Mittagessen abgemacht. Aus irgendwelchen Gründen mussten die zwei noch rasch beim Vater des Kollegen vorbei, der ein kleines Atelier für Sertissage, also Steinfassung, betrieb. Salanitro sah die Arbeit mit den funkelnden Steinen – und hatte so etwas wie ein Erweckungserlebnis; es traf ihn wie ein Blitz. «Engagieren Sie mich?», fragte er sogleich. «Da müssten Sie zunächst mal ein bisschen üben», antwortete der Mann.

Tagsüber bei der Bank, morgens und abends in der Sertissage

Also übte Salanitro. Zehn Monate lang. Tagsüber arbeitete er bei der Bank, von 5 bis 8 Uhr morgens und von 17 bis 21 Uhr aber sass er im Atelier beim Vater des Kollegen. Bis dieser endlich die erlösenden Worte sprach: «Jetzt kannst du es.» Und ihn engagierte. Es sollte nur eine erste Etappe sein. Denn neben dem Gespür für die Steine hat Salanitro auch unternehmerisches Geschick.

Als sein Arbeitgeber im Nachgang der Immobilienkrise Ende der 1980er Jahre ins Schlingern kam, machte er sich selbstständig und wuchs bald langsam und stetig zur Nummer 1 heran. Heute beschäftigt er gegen 100 Steinfasser, 230 Personen stehen total auf seiner Lohnliste, darunter zehn Ingenieure. Es gibt eine Entwicklungsabteilung, eine Abteilung für Prototypen, Abteilungen für die Produktion von Komponenten, fürs Polieren, Rhodinieren sowie Montieren. Und natürlich für das Setzen der Steine. Etabli an Etabli steht zum Beispiel im dritten Stock, 1500 Quadratmeter gross, gegen 70 Leute sind hier in endlos langen Werkbankreihen mit dem Fassen von runden Steinen beschäftigt. Die Abteilung für längliche und eckige Baguettes – schwieriger einzusetzen – liegt gleich nebenan, zehn Leute sind in der Nähe am Polieren.

Hier wird alles von Miguel de Oliveira beaufsichtigt, seit 27 Jahren dabei, damals war rund ein Dutzend Leute beschäftigt. Ausgebildet wird übrigens intern, man lernt zuerst das vergleichsweise Einfachste, das mechanische Setzen von Steinen, maschinell voll unterstützt. Wer das kann, steigt einen Level zur «Semi-Tradition» auf, das halbmaschinelle Setzen. Krönung ist die «Tradition», 100 Prozent Handarbeit. Manche schaffen das schnell, manche gar nie.

Rolex, Patek, AP, Hublot, Vacheron, Chanel: Alle sind Salanitros Kunden

Generell bietet das Unternehmen einen Rundum-Service an, beherrscht werden – mit Ausnahme des Baus von Uhrwerken – alle Prozesse von A bis Z, die Herstellung von Gehäusen, Armbändern und Zifferblättern zum Beispiel, vom Entwurf bis zur Lieferung des fertigen Produktes. Das Angebot reicht von der gewöhnlichen Lünette mit runden Diamanten bis zu einzigartigen Meisterwerken, mit den schwierigsten Fassungstechniken geschaffen. Viele Kunden bestehen auf Anonymität und wollen nicht genannt sein.

Aber so viel ist bekannt: Von Rolex über Cartier, Patek Philippe, Audemars Piguet, Hublot, Piaget, Vacheron Constantin zu Chanel – fast alle Grossen haben schon bei ihm fertigen lassen oder sind nach wie vor regelmässige Kunden, gegen 40 Marken, oft die Crème de la Crème. Details dürfen, wie erwähnt, aus Diskretionsgründen nicht genannt werden. Aber bei einem Spaziergang durch die Ateliers trifft man immer wieder auf Komponenten, die man von renommierten Uhren her kennt.

Einfach so hat sich das nicht ergeben. Nachdem sich Pierre Salanitro selbstständig gemacht hatte, tröpfelten zwar bald erste kleine Aufträge herein – aber der junge Mann wollte höher hinaus. Einmal pro Monat schrieb er deshalb eine grosse Genfer Uhrenmarke an und warb für seine Dienste. Bis ihm der zuständige Abteilungsleiter beschied, es reiche nun, man habe seine Koordinaten ja. Er könne sich wieder mal telefonisch melden, wenn es unbedingt sein müsse. Also rief Salanitro an. Wöchentlich. Man wurde sich sympathisch, sprach auch mal über Fussball, und irgendeinmal war es so weit: «Kommen Sie morgen um acht vorbei. Wir wollen Sie kennenlernen.»

Kein Geld für den Rolls-Royce unter den CNC-Maschinen

Wachstum war nie das Ziel, aber Salanitro wuchs munter. Der Zukauf eines ersten Ateliers 1990 brachte als Beigabe auch zwei computergesteuerte CNC-Maschinen, sie genügten jedoch bald nicht mehr. Pierre Salanitro pilgerte zu Willemin-Macodel nach Delémont, wo der «Rolls-Royce unter den CNC-Maschinen» gebaut wird. «Ich brauche zwei weitere CNC-Maschinen, aber ich habe kein Geld», sagte er dem Besitzer und versprach, künftig nur Willemin-Macodel-Maschinen zu kaufen, falls ihm geholfen werde. Salanitro erhielt zwei Maschinen – und einen Kredit über vier Jahre. Heute stehen um die CNC-Maschinen bei ihm – bis auf ein Spezialmodell alle von Willemin-Macodel.

Nebenbei: Dezentral über die verschiedenen Räume sind auch 35 Panzerschränke verteilt – die Sicherheitsschleusen und -Vorrichtungen sind überall präsent. Die CNC-Maschinen brauchte Salanitro, weil bei ihm ja auch Gehäuse, Zifferblätter oder Armbänder gefertigt werden. Sein Unternehmen ist eine veritable Manufaktur. Oft muss ein Gehäuse verändert oder neu gebaut werden, weil die Brillanten oder anderen edlen Steine sonst nicht eingebaut werden könnten oder die Uhr nicht mehr wasserdicht wäre. Kommt hinzu, dass immer häufiger auch Stahluhren mit Steinen verziert werden. Und beim harten Werkstoff Stahl ginge ohne Vorbereitungsarbeiten auf CNC-Maschinen nur wenig. Salanitro gilt hierfür als einer der Pioniere.

Salanitro hat ein Lehrstück geschrieben

Das 30-Jahr-Jubiläum des Unternehmens beging der Patron auf seine eigene Weise. Einmal monatlich, jeweils am dreissigsten, gab es einen Anlass für das Personal. Das konnte zum Beispiel eine Party sein, ein Fondue-Event oder ein Match auf dem Eisfeld. Manchmal fand die Veranstaltung über Mittag statt, manchmal am Nachmittag, manchmal am Abend oder am Wochenende. Eines ist für Salanitro dabei Ehrensache: Die Präsenz am Anlass galt als bezahlte Arbeitszeit. «Man muss auch geben können», sagt er.

Pierre Salanitros Erfolgssaga kann als Lehrstück gelesen werden. Als Lehrstück dafür, wie man mit wenig Startgeld, aber viel Beharrlichkeit, guter Arbeit und Gespür für die Bedürfnisse des Marktes sehr weit kommen kann. Den Trend zu diamantgefassten Stahluhren beispielsweise hat Salanitro früh erkannt und das industrielle Werkzeug bereitgestellt.

Und vor den meisten anderen begriff er, dass Ethik und Nachhaltigkeit im Luxusgeschäft immer wichtiger werden. So gehörte er weltweit zu den Ersten, die sich beim Responsible Jewellery Council zertifizieren liessen und das Label «Code of Practice» (CoP) erhielten. Dieses steht für das Verbot von Kinderarbeit, für die Einhaltung der Menschenrechte, für Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt. Dazu hat das Unternehmen seit drei Jahren das Chain-of-Custody-Zertifikat, das ethisch korrektes Gold und Platin garantiert.

Kunden wollen Uhren mit gutem Gewissen tragen

Er sei in der Schweiz der Erste der Branche gewesen, sagt Salanitro, und zwar «aus tiefster Überzeugung». Denn: «Kunden wollen Uhren tragen, die unter ethisch korrekten und umweltfreundlichen Bedingungen produziert worden sind.» Transparenz ist sein Gebot der Stunde.

Pierre Salanitro sitzt im Sitzungsraum, an der Wand hängen Bilder von allerlei tickenden Preziosen, die in seiner Manufaktur veredelt wurden. Sein Erfolg ist ihm nicht anzusehen. Er trägt schwarze Jeans, ein T-Shirt und einen schwarzen Pulli und sieht aus, als müsse er demnächst irgendwo selber Hand anlegen.

Und genau so ist es auch. Ob er mit seinem Unternehmen noch weiterwachsen wolle, steht als Frage im Raum, und Salanitro überlegt nur kurz: Wachstum per se sei nicht sein Ziel, das heisse aber nicht, dass die Sättigung bereits erreicht sei. «Ich habe noch viele Ideen im Kopf. Und viele Projekte in der Pipeline.»