Herr Müller, wie ist diese Omega-Story Ihrer Meinung nach einzuordnen – als Skandal, Pech oder Anekdote?
Es ist nicht einfach eine Anekdote und auch kein Einzelfall. Es steckt viel kriminelle Energie drin, mehrheitlich von Leuten, die zwar nicht bei Omega arbeiten. Denen ist es aber gelungen, Leute bei Omega für ihr Vorhaben zu ködern.
Womit?
Erstens mit der Aussicht, dass Omega mit so einer Auktion auch endlich zu einem siebenstelligen Rekordergebnis für eine Uhr aus der Vergangenheit kommt, wie Rolex und Patek Philippe.
Das hat man ja dann prompt mit einem Pressecommuniqué stolz gefeiert.
Das nennt man in der Branche «Auction Marketing». Es zielt darauf ab, Aufmerksamkeit zu bekommen und weiteres Begehren zu befeuern. Das machen alle. Das Problem in dem Fall: Omega wollte glauben machen, dass irgendein mysteriöser Uhrensammler irgendwo auf der Welt bereit gewesen ist, 3,115 Millionen für diese Uhr zu zahlen. Wir wissen ja inzwischen, dass dieser Jemand der Museumsdirektor war.
Peinlich, aber nicht kriminell.
Genau. Kriminell an der Geschichte ist, dass in Bezug auf die Uhr gelogen wurde. Inzwischen ist eine polizeiliche Untersuchung im Gang, um herauszufinden, wer was getan hat. Es gibt zwei Verdächtige von ausserhalb Omega und drei von innerhalb. Wer was getan hat, wird nun untersucht.
Erstens Ruhm. Zweitens?
Geld. Umso mehr, je höher der Preis bei der Auktion getrieben wird. 3,115 Millionen Franken – eine schöne Summe zum Verteilen.
Sie sagten eingangs, was nun hier aufgerollt wird, sei kein Einzelfall.
Kein Einzelfall und nicht verwunderlich. Bei den allermeisten Vintage-Uhren, die in den Verkauf kommen, ist nicht mehr alles zu 100 Prozent original, das liegt quasi in der Natur der Sache. Eine mechanische Uhr muss in gewissen Abständen in die Revision, Komponenten werden ersetzt. Im konkreten Fall aber handelt es sich um einen Frankenstein: Da wurden Teile von zwei Uhren vermischt und einzelne auch noch extra hergestellt, um sie noch echter zu machen. Dazu braucht es jemanden, der genau weiss, wie das Original ausgesehen hat, sprich jemanden, der Zugang zu den entsprechenden Archiven hat. Im Fall der Speedmaster spielt zudem auch der Direktor des Omega-Museums eine Schlüsselrolle: Er hat die Frankenstein-Uhr begutachtet und durchgewinkt. Sein Wort hatte immer sehr viel Gewicht. Er gilt bei sämtlichen Auktionshäusern und unter Uhrensammlern als der Mensch mit dem absolut grössten Omega-Wissen. Wenn er sagte, eine Uhr sei authentisch, war sie es auch. Punkt.
Was bisher geschah:
1. Im November 2021 kam die Omega Speedmaster 2915-1 «Tropical Broad Arrow» mit gealtertem Zifferblatt bei einer Auktion, die Phillips durchführte, für 3,115 Millionen Franken unter den Hammer. Das war der absolute Rekordpreis, der je für eine Omega bezahlt worden ist, und zig Mal mehr, als Phillips die Uhr eingeschätzt hatte: Das Preisband für Los 53 im Auktionskatalog: 80’000 bis 120’000 Franken.
2. Am 1. Juni 2023 macht die «NZZ» publik, dass Omega reingelegt worden ist, und rekonstruierte den Prozess. Es war Jose Pereztroika von Perezcope.com, der im April 2023 zahlreiche Unstimmigkeiten an der Uhr publik gemacht und die Rekord-Uhr als Frankenstein entlarvt hat, eine Speedmaster, zusammengesetzt aus verschiedenen Exemplaren der berühmten Moonwatch. Er zeigt, dass von der Seriennummer über die Lünette bis zum Uhrwerk die Bestandteile nicht zusammenpassen. Der Hintergrund: Gebrauchte Uhren erzielen Höchstpreise, wenn sie möglichst im Ursprungszustand erhalten sind.
3. Am 2. Juni kommt via «NZZ» zudem heraus, dass Omega selbst die Uhr gekauft hat – fürs Omega-Museum. Omega-CEO Raynald Aeschlimann äusserte sich dazu folgendermassen: «Die ersten Ergebnisse [dieser Untersuchung] haben eindeutige Beweise dafür erbracht, dass drei ehemalige Mitarbeiter mit klaren kriminellen Absichten an dieser Operation beteiligt waren, und dies zu massivem Schaden für Omega. Nachdem wir sie mit den Fakten konfrontiert hatten, haben sie gestanden, betrügerisch und kriminell gehandelt zu haben. Wir sind jetzt daran, alles bis ins letzte Detail zu rekonstruieren und auch (wahrscheinliche) externe Komplizen dingfest zu machen.»
4. Der Museumsdirektor sowie zwei weitere involvierte Mitarbeiter sind entlassen worden, ein Strafverfahren gegen sie ist eingeleitet.
Wie mag der Betrug abgelaufen sein?
Da ruft einer den Spezialisten von Omega an und sagt, wir haben da eine alte Speedmaster, die nicht hundertprozentig ist. Kannst du uns helfen? Und der Spezialist hilft, findet, was fehlt und was sonst noch geändert werden muss, denn er hat Zugang zum Archiv. Als die Speedmaster fertig ist, wird sie dem mächtigen Museumsdirektor vorgelegt. Dieser geht schliesslich zum CEO von Omega und sagt, diese eine Uhr habe einen hohen historischen Wert, es gebe keine zweite wie sie, man müsse sie haben – à tout prix.
Der CEO vertraut dem absoluten Experten natürlich …
… und empfiehlt dem CEO des Konzerns den Kauf. Dieser bewilligt ihn, weil er seinerseits dem CEO von Omega voll vertraut.
Und das Auktionshaus übernimmt einfach, was vorgesetzt wird?
Das ist eine der grossen Fragen, die es zu klären gibt: Warum hat bei Phillips keiner nach einem Echtheitszertifikat gefragt. Ein solches existiert in dem Fall nämlich nicht, sondern nur ein Extrakt aus dem Omega-Archiv, das besagt, dass diese Uhr mit dieser Seriennummer 1957 verkauft worden ist.
Wer müsste sich darum kümmern, ob die Uhr hundertprozentig ist?
Nach Genfer Recht muss jede Uhr, die an eine öffentliche Versteigerung geht, durch einen Notar überprüft werden. Natürlich kann dieser Notar die Echtheit einer Uhr nicht selber statuieren. Deshalb stellt man ihm Spezialisten zur Seite, von Vorteil solche, die nicht mit der Marke verbandelt sind. Wenn sie die Uhr als echt qualifizieren, wird das eidesstattlich erklärt. Das wurde anscheinend nicht gemacht, was mich persönlich nicht überrascht, das kommt immer wieder vor. Ich bin stets erstaunt, mit welcher Leichtigkeit Auktionshäuser Uhren in den Verkaufskatalog aufnehmen, ohne hundertprozentige Gewissheit, dass diese auch echt sind.
Mich erstaunt mehr, dass sie sie ohne verkaufen können.
Würde ich nie machen. Aber offensichtlich ticken genügend Uhrenfans da anders.
Warum kommt das mit der Speedmaster erst jetzt aus? Warum kommt es überhaupt aus?
Der Mann, der dies publik gemacht hat, war früher selbst aktiv in diesem Geschäft und weiss, wie das Ganze funktioniert. Er hat das Auktionshaus vor der Auktion darauf hingewiesen, dass mit dieser Speedmaster etwas nicht koscher ist. Darauf ist man nicht eingegangen. Warum? Da könnte ich nur spekulieren, und das will ich nicht. Er selbst hat sich daraufhin mit einer Akribie dieser Speedmaster angenommen, die sonst kaum ein Experte aufbringen würde. Warum? Ich weiss es nicht.
Wie geht es weiter?
Gewisse Leute bei anderen Marken freuen sich, dass Omega so reingelegt werden konnte. Darüber wird in zwei Wochen aber niemand mehr reden. Wenn die Beteiligten sich eines Tages dann vor Gericht verantworten müssen, wird es interessant, und es wird einiges ans Tageslicht kommen.
Wie was?
Etwa, dass der aktuelle Fall nicht der erste ist. Dass immer wieder dubiose Uhren in Umlauf gebracht worden sind und dass das Ganze System hat. Das ist mein Hauptpunkt, und das ist das Kriminelle an der Sache.
Was ist denn jetzt mit der Uhr?
Da darf man gespannt sein. Es ist ja nicht so, dass sie nichts wert wäre, im Gegenteil. Es gibt Uhrensammler, die bewusst Uhren kaufen, die nicht ganz hundertprozentig sind, weil sie sagen, es sei fast unmöglich, eine zu 100 Prozent authentische Speedmaster aus dem Jahr 1957 zu finden. Aber das Problem ist natürlich, dass so eine Speedmaster nicht 3,1 Millionen Franken wert ist, sondern vielleicht maximal ein Zehntel davon.
Und was macht es mit dem Business mit CPO- und Vintage-Uhren an sich?
Das sind zwei verschiedene Disziplinen. Rolex zertifiziert nur Secondhand-Uhren, die zwischen 3 und 20 Jahre alt sind, was sehr schlau ist, denn so werden sie nicht in den ganzen – ich sage es mal so – Vintage-Sumpf reingezogen. Vintage-Uhren als authentisch zu zertifizieren, ist nämlich reinste Sisyphusarbeit, und wohin das führen kann, erleben wir gerade im Fall dieser Omega. Das wollen die bei Rolex nicht. Einige andere Uhrenhersteller wie zum Beispiel Zenith halten das Heft in der Hand bei ihren Icons, Jaeger-LeCoultre bei ihren Collectibles und bringen sich selbst als Marke in diesen Markt ein.
Ihr Rat an Vintage-Uhrenfans?
Wer eine Vintage-Uhr kaufen will, soll das nur bei der jeweiligen Marke selbst tun oder über einen wirklich vertrauenswürdigen Vintage-Händler.
Wirklich vertrauenswürdig – wer ist das schon?
Gegenfrage: Was gibt es aus dem Fall zu lernen? Dass Vertrauen gut, Kontrolle besser ist. Es kann nicht sein, dass ein Mensch sagt, diese Uhr sei echt, und dann ist sie echt. Es braucht immer mindestens eine Gegenkontrolle. Wenn ich CEO von Omega wäre, würde ich sofort einführen, dass jeweils mindestens ein Dreiergremium aus Spezialisten Uhren begutachtet, die ihnen zur Beurteilung der Authentizität aus aller Welt eingeschickt werden.
Ihr vorläufiges Fazit?
Stoff für eine Netflix-Serie.