ChemChina kauft Syngenta für 44 Milliarden Franken. Selbst für chinesische Verhältnisse ist das ein Mega-Deal. Der Preis, für den der Schweizer Saatguthersteller über den Tisch geht, ist riesig. Er entspricht über zwei Drittel der gesamten Summe, die chinesische Firmen pro Jahr für M&A-Transaktionen (Fusionen und Übernahmen) im Ausland ausgeben.

Wie stark diese Summen in den letzten zehn Jahren angestiegen sind, zeigt eine Grafik, die einem Bericht der Consultingfirma Rhodium Group entnommen ist. Wir haben darin zusätzlich den Syngenta-Deal eingezeichnet. Deutlich wird: China hat sein Engagement im Ausland kontinuierlich erhöht.

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Industriefirmen statt Rohstoffe

Die chinesischen Prioritäten haben sich über die letzten Jahre verändert. Bis vor kurzem machten Rohstoff- und Energiefirmen noch den Löwenanteil der Übernahmeziele aus. Inzwischen ist die Strategie breiter diversifiziert: China kauft Banken, Industriefirmen, High-Tech-Unternehmen sowie Firmen aus dem Unterhaltungs- und Gastrobereich. Die Akquisition eines Agrochemieunternehmens passt also ins Bild.

Wer genau sind die Käufer? Bei ChemChina handelt es sich um eine staatseigene Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Peking, die 2004 gegründet wurde und zahlreiche Tochterfirmen in China besitzt. Zuletzt hatte die Gruppe bereits Übernahmen in Deutschland (KraussMaffei) und Italien (Pirelli) getätigt.

Auch in dieser Hinsicht ist der Syngenta-Verkauf typisch für die Tendenz der letzten Jahre. Dies zeigt ein Bericht zu den chinesischen Direktinvestitionen in Europa und Deutschland, der ebenfalls von der Rhodium Group in Zusammenarbeit mit dem Mercator Institute for China Studies geschrieben wurde.

Eine Grafik daraus zeigt, dass weitaus der grösste Anteil der chinesischen Auslandsinvestitionen von staatsnahen Betrieben getätigt wird. Private, grenzüberschreitende Käufe sind nicht inexistent, aber in der Minderheit. Die Angaben sind in Millionen Euro und beziehen sich auf das Total der Direktinvestitionen zwischen 2008 und 2014 in Europa (der EU-28).

China und das ausländische Kapital

Kaufen die Chinesen jetzt die Welt auf? Nicht ganz. Die chinesischen Firmenübernahmen im Ausland haben zuletzt zwar zugenommen, wie eine Grafik aus demselben Bericht von Rhodium und Mercator zeigt, der auch eine weitere Zunahme solcher Investments bis 2020 prognostiziert. Doch die ausländischen Investitionen in China selbst sind nach wie vor deutlich grösser.

Die Angaben in dieser Grafik sind in Milliarden US-Dollar und beziehen sich auf den Bestand der Vermögenswerte. Oberhalb der Nulllinie steht der chinesische Besitz im Ausland – unterhalb der Nulllinie steht der ausländische Besitz in China. Dass die Chinesen netto mehr Kapital im Ausland besitzen als umgekehrt, liegt vor allem an den Fremdwährungsreserven (in grau). Sie übersteigen die Portfolioinvestitionen (blau) und die Direktinvestitionen (rot) zurzeit noch deutlich.

Chinesische Investoren in der Schweiz

In den oben zitierten Quellen finden sich keine Daten zur Schweiz. Einen Hinweis darauf, wie stark China in der Schweiz exponiert ist, gibt die Statistik der SNB. Sie schlüsselt auf ihrem Datenportal die Direktinvestitionen aus dem Ausland nach Regionen auf. Chinesische Käufer werden allerdings nicht separat ausgewiesen, sondern in einen Topf mit Gesamt-Asien, -Ozeanien und -Afrika geworfen.

Die Grafik dieser Zeitreihe zeigt: Der Syngenta-Deal stellt alle bisherigen Investitionen in den Schatten. Bis zuletzt belief sich der Bestand der Engagements aus Asien, Ozeanien und Afrika (ohne Japan und Israel) auf rund 10 Milliarden Franken. Der Kaufpreis von Syngenta übersteigt diese Summe um den Faktor vier.

Die alte Welt dominiert

Um die Dimension dieser Übernahme einzuschätzen, lohnt sich ein weiterer Vergleich. Welche Nationen besitzen am meisten Firmenkapital in der Schweiz? Auch hier gibt die Nationalbank einen Anhaltspunkt. Ihre Statistik der Direktinvestitionen zeigt: Europa und die USA haben in der Schweiz weitaus am meisten investiert – nämlich 340 resp. 336 Milliarden Franken.

Allerdings zeigt sich auch in dieser Aufstellung, wie bedeutsam der Syngenta-Deal ist. Er entspricht über 5 Prozent des totalen Bestands ausländischer Direktinvestitionen im Jahr 2014 (von einer Direktinvestition spricht man dann, wenn ein Akteur grenzüberschreitend eine Firma aufbaut oder eine Firma aufkauft, Käufe über die Börse werden als Portfolioinvestitionen bezeichnet. ChemChina plant nach der Übernahme, Syngenta von der Börse zu nehmen).

Herausforderung für die Demokratie

«China wird Europa und den USA nicht den Schneid abkaufen», sagt der ehemalige Chefökonom der UBS-Investmentbank, George Magnus, in einem Interview, das am Donnerstag in der «Handelszeitung» erschienen ist. Wenn China westliche Firmen aufkaufe und dies einen Technologietransfer nach Fernost auslöst, so sei das grundsätzlich nichts schlechtes. Angst vor negativen Effekten scheint also fehl am Platz.

Ähnlich argumentiert das Mercator Institute im erwähnten Bericht. Die bisherige Evidenz lege nicht nahe, dass China über Unternehmenskäufe versuche, Technologie aus dem Westen zu stehlen. «Das Gegenteil ist der Fall», heisst es in der Studie. «Die meisten chinesischen Firmen legen noch zu und vergrössern in Europa ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten

Trotzdem spricht dieselbe Studie aber eine Warnung aus. Denn die grössten Auslandsinvestoren in Europa waren bislang alles Demokratien. Obenaus schwingen die USA, wie die folgende Grafik zeigt (die Grösse der Blasen entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Fluss der Direktinvestitionen zwischen 2008 und 2013). China wird aber nicht als Demokratie, sondern als Autokratie klassifiziert (die vertikalen Position entspricht dem BIP des jeweiligen Landes im Jahr 2014).

Ein neues Phänomen

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Übernahme von Syngenta ist eine riesige Sache – für Schweizer Verhältnisse, aber auch hinsichtlich der bisherigen chinesischen Direktinvestitionen. China hat im Vergleich zu anderen Industrieländern noch wenig im Ausland investiert, somit hat der Deal eine gewisse Logik. Inwiefern es der demokratische Westen zulassen will, dass sich ein Einparteienstaat wie China in die Weltwirtschaft integriert, ist eine politische Frage. Wirtschaftlich spricht jedenfalls wenig dagegen.