In den letzten Jahren haben Medien ein scheinbar neues Thema entdeckt: Ungleichheit. Man berichtet über auseinandergehende Löhne und rätselt über die Ursachen. Doch eigentlich ist das Phänomen gar nicht so neu. Bereits um die Jahrtausendwende haben Wissenschaftler die Gründe der sich öffnenden Lohnschere ziemlich treffend analysiert.

Zum Beispiel in einer Studie der Ökonomen Per Krusell, Lee E. Ohanian, José-Víctor Ríos-Rull und Giovanni L. Violante aus dem Jahr 2000: «Capital-Skill Complementarity and Inequality: A Macroeconomic Analysis». Die Forscher weisen darin nach, welch grossen Einfluss die IT-Revolution in den letzten Jahrzehnten auf das Lohngefüge ausgeübt hat.

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Dies war ein Novum. Studien der neunziger Jahre konnten nicht erklären, wieso die so genannte Bildungsprämie also das Lohnplus von qualifizierten gegenüber weniger qualifizierten Arbeitskräften – im Zeitalter der Computerisierung gestiegen war. Die Zunahme von höheren Bildungsabschlüssen hätte eigentlich zu einer relativen Verknappung von unqualifizierter Arbeit und somit zu einer geringeren Lohnspreizung führen sollen.

Man folgerte damals, dass eine nicht direkt beobachtbare Änderung in der Art der Güter- und Dienstleistungsproduktion die Ursache für höhere Bildungsprämien sein müsse. Diese Änderung wurde als «skill-biased technological change» – also als bildungsintensiver oder wissensintensiver technischer Wandel – beschrieben, weil sie den Einsatz von hochqualifizierten Arbeitskräften verlangte und gleichzeitig weniger gut ausgebildete Arbeitskräfte teilweise ersetzte.

Wenn die Praxis der Theorie widerspricht

Wie bedeutsam waren wissensintensive Technologien für den Wandel am Arbeitsmarkt? Krusell und seine Co-Autoren haben diese Frage systematisch untersucht und analysiert, ob der scheinbar paradoxe Anstieg der Bildungsprämie durch beobachtbare Variablen erklärt werden kann. Die Eckpunkte der Arbeit:

  • Ihre Studie beschreibt ein Modell mit Haushalten und Firmen. Es nimmt an, dass Kapital und Bildung komplementär sind: Das bedeutet, dass die Firmen bei steigendem Einsatz von wissensintensivem Kapital (komplexe Maschinen, Lizenzen, oder Patente) auch relativ mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte einsetzen. So steigt der Lohn von hochqualifizierten gegenüber weniger qualifizierten Arbeitskräften.
  • Die Forscher benutzen Daten zum Einsatz von Kapital und Arbeitskräften in den USA zwischen 1963 und 1992, um ihr Modell zu schätzen.Dabei berechnen sie die Vorhersagen des Modells einmal mit der und einmal ohne die Annahme, wonach Kapital und Bildung komplementär seien – in letzterem Fall wird angenommen, dass die Bildungsprämie einzig vom Angebot an qualifizierter Arbeit abhängig sei.
  • Dieser Effekt alleine müsste laut den Autoren theoretisch zu einem Rückgang der Bildungsprämie im Umfang von etwa 40 Prozent geführt haben. In der Realität hat die Bildungsprämie aber nicht ab-, sondern zugnommen, und zwar um 18 Prozent. Aus der Differenz dieser beiden Zahlen ergibt sich der Effekt des technologischen Wandels auf die Bildungsprämie: Es handelt sich um einen Anstieg von beinahe 60 Prozent.

Warum die Bildungsprämie nicht gesunken ist

Hochqualifizierte Arbeitskräfte wurden in den letzten Jahrzehnten begünstigt. Ein Umstand, der ihnen zu Gute kam, ist das raschere Wachstum des Kapitalstocks in den siebziger Jahren. Wäre dieser ab 1975 so langsam gewachsen wie zuvor, so wäre die Bildungsprämie laut den Forschern nicht um 18, sondern nur um 8 Prozent gewachsen. Dies legt nahe, dass der Anstieg des Kapitaleinsatzes bis in die neunziger Jahre den gut Ausgebildeten überproportional geholfen hat. Vermutlich greift der Effekt nach wie vor.

Die Studie bleibt auch fünfzehn Jahre später nach ihrem Erscheinen relevant. Denn sie stellt die Effektivität der aktuell diskutierten Handelsbarrieren zum Schutz von einheimischen Arbeitnehmern in Frage: Geringverdiener im Inland konkurrieren nicht primär mit ausländischen Niedriglohnarbeitern, sondern vor allem mit immer effizienteren und billigeren Technologien.

Die Ergebnisse von Krusell und seinen Kollegen deuten darauf hin, dass eine bessere Ausbildung die einzige nachhaltige Möglichkeit ist, zu verhindern, dass wenig qualifizierte Arbeitskräfte mehr und mehr von Maschinen und Computern ersetzt werden. Eine fundierte Ausbildung ist im Zeitalter der Robotik wichtiger denn je, um in einem sich wandelnden Arbeitsmarkt nicht als Verlierer dazustehen.

Marko Mlikota ist Masterstudent an der Universität St. Gallen. Mit der Initiative Next Generation ermutigt das Wirtschaftspolitische Zentrum der Universität St. Gallen ihre Nachwuchstalente, die Öffentlichkeit über Erkenntnisse der Wissenschaft zu informieren. Die besten Studierenden fassen wichtige Ergebnisse ausgewählter Publikationen in Fachzeitschriften zusammen.