Nach jahrelang boomenden Geschäften steht der weithin unbekannte Finanztechnologie- und Bankkonzern Wirecard vor dem Aufstieg in Deutschlands erste Börsenliga. Der Betriebsgewinn des Online-Zahlungsabwicklers aus dem Münchner Vorort Aschheim legt jährlich um ein Drittel zu, Vorstandschef Markus Braun steckt sich fortwährend höhere Umsatz- und Gewinnziele und der Aktienkurs hat sich allein seit Jahresbeginn verdoppelt.

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Mittlerweile stellt das Unternehmen mit einem Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Euro sogar die Deutsche Bank in den Schatten und macht der Commerzbank ihren Platz im Dax streitig. Sollte Wirecard am 24. September in die Königsklasse aufsteigen, wäre die erst 19 Jahre alte Fintech-Firma das jüngste Mitglieder in dem von Traditionskonzernen beherrschten Leitindex.

Doch anders als die beiden Grossbanken mit ihren Zehntausenden Mitabeitern beschäftigt das TecDax-Unternehmen weltweit lediglich 5000 Menschen. Der Jahresumsatz lag zuletzt erst bei 1,5 Milliarden Euro, soll sich aber binnen zwei Jahren verdoppeln. Vorstandschef Braun, der seine eigenen Geschäftsprognosen gewöhnlich als «konservativ» bezeichnet und in der Vergangenheit wiederholt übertraf, hält Bescheidenheit für unangebracht, wenn er über die Zukunft von Wirecard spricht: «Alles, was wir bis jetzt erreicht haben, ist meines Erachtens nur ein müder Abklatsch dessen, was wir in den nächsten zehn Jahren erreichen können», sagte er im April auf der Bilanzpressekonferenz.

Online-Boom beflügelt Geschäft

Wie nur wenige andere Firmen der Finanzbranche profitiert Wirecard von der weltweiten Verlagerung der Geldströme ins Internet. Der Dienstleister wickelt mit Online-Technologie für andere Firmen den Zahlungsverkehr ab und kassiert dafür Provisionen. Egal ob Verbraucher auf Internetseiten oder per Smartphone-App Bücher kaufen oder Reisen buchen, kostenpflichtige Software herunterladen oder Online-Spiele bezahlen: Oft ist Wirecard im Hintergrund der zentrale Vermittler zwischen Käufer, Verkäufer und deren Banken.

Das Unternehmen sorgt dafür, dass die Geldbeträge beim Empfänger verbucht werden, und übernimmt auch das Risikomanagement. Zu den Partnern zählen Finanzinstitute wie die Commerzbank, Mastercard und Visa, Technologiekonzerne wie Microsoft und Apple, Verkehrsunternehmen wie die Österreichischen Bundesbahnen sowie Handelsketten wie Aldi und Lidl. Aus Europa expandierte Wirecard zunächst vor allem nach Asien, wo der chinesische Internetkonzern Alibaba zu den wichtigsten Partnern gehört, und vor zwei Jahren auch nach Nordamerika.

Online-Zahlung an der Ladenkasse

Zunehmend drängt Wirecard auch in den traditionellen Einzelhandel: Nach dem Willen von Vorstandschef Braun sollen Smartphones mit Bezahl-Apps der Bayern und ihrer Partner wie Apple und Google nicht nur das Bargeld, sondern auch Kredit- und Girokarten aus Plastik an der Ladenkasse überflüssig machen. Möglich macht es die Funktechnologie NFC, mit der neuere Handys ausgestattet sind. Während weltweit noch immer das Bargeld dominiere, würden erst 15 bis 20 Prozent der Zahlungen elektronisch abgewickelt, etwa mit Karte, rechnet der Wirtschaftsinformatiker vor. Davon wiederum laufe erst maximal ein Zehntel voll digital. «Das eröffnet ein enormes Marktpotenzial», sagt Braun.

Der 48-jährige Österreicher hat das Unternehmen massgeblich aufgebaut. Vor 16 Jahren, drei Jahre nach der Gründung, kam Braun von der Unternehmensberatung KPMG zu Wirecard und übernahm den Vorstandsvorsitz. Der technikverliebte Manager, der auf den ersten Eindruck spröde wirken kann, redet sich auf Fachkonferenzen in Fahrt, wenn er IT-Experten oder Finanzanalysten seine Expansionspläne erläutert. Mit einem Aktienpaket von sieben Prozent ist der Vorstandschef zugleich größter Anteilseigner von Wirecard.

Zweifel wurden wiederholt laut

Der Erfolg des Konzerns nährte an der Börse wiederholt Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugeht: Geldwäsche, Unterstützung illegaler Glücksspielanbieter, krumme Geschäfte in Grossbritannien oder Indien, so lauteten Anschuldigungen aus anonymen Quellen im Internet oder in Medienberichten, regelmässig verbunden mit einem Einbruch des Aktienkurses. Die Gerüchte erinnerten bisweilen an die Anfänge des Unternehmens, als Glücksspiel- und Pornoanbieter zu den wichtigsten Kunden zählten. Erhärtet hat sich keiner der Vorwürfe.

Stattdessen nahmen die Finanzaufsicht Bafin und die Staatsanwaltschaft Investoren wegen möglicher Marktmanipulation ins Visier. Der Verdacht: Anleger, die mit so genannten Leerverkäufen von einem Kursrückgang profitieren, könnten hinter den Gerüchten stecken. Dauerhaft geschadet hat es der Aktie nicht. Am Freitag erreichte das Papier ein Rekordhoch von 188,50 Euro.

(reuters/ccr)