Aktien sind derzeit etwa so beliebt wie das Atomkraftwerk in Fukushima. Bill Gross, Chef von Pimco und Manager des weltgrössten Obligationenfonds, verkündete jedenfalls jüngst in einem Schreiben an seine Kunden: «Der Aktienkult stirbt.» In seiner Begründung prophezeit er unter anderem stark steigende Inflationsraten, und sein Schreiben endet so: «Der Aktienkult dürfte sterben, aber der Inflationskult hat wohl erst gerade begonnen.»

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Starke Worte. Aber schauen wir einmal an die Börse. Was sich dort in den vergangenen zwölf Monaten zugetragen hat, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Stell dir vor, es ist Hausse, und keiner geht hin. Die Aktienkurse jagen hoch und höher, trotzdem mag kaum ein Anleger investieren. Viele haben die Hausse nicht einmal bemerkt. Hier die Fakten: Der Schweizer Aktienindex SMI gewann in den vergangenen zwölf Monaten über 22 Prozent, der US-Leitindex Dow Jones Industrial Average 23 und der deutsche DAX gar 40 Prozent.

Trotz dem Kursrally sinken die Handelsvolumen an der Schweizer Börse: Ende 2008 wurden noch drei Milliarden Titel pro Monat gehandelt, die im Aktienindex SMI vertreten sind. Im vergangenen Monat waren es nur noch 800 Millionen Titel – Tendenz sinkend (siehe Grafik «Abnehmende Handelsvolumen» unter 'Downloads: Die Grafiken').

Die Aktie wird regelrecht fallen gelassen: Im Jahr 2000 war noch fast jeder dritte Schweizer Aktionär, zehn Jahre später zählte nicht mal mehr jeder sechste dazu (siehe «Flucht aus der Aktie» unter 'Downloads').

Der Rückzug der Aktionäre ist verständlich, denn über die vergangenen 14 Jahre hat das Auf und Ab an den Märkten ihre Nerven arg strapaziert, aber kaum Rendite gebracht. Ein erster Schlag gegen die Dividendenpapiere war das Platzen der Internetblase, von dem sie sich in der Beliebtheitsskala der Investoren nie richtig erholen konnten. Verschlimmert haben den Zustand dann die Immobilienkrise in den USA und die daraus resultierende Finanzkrise. Die derzeitige Krise um die Staatsschulden tut ihr Übriges und führt dazu, dass die Investoren der Aktie nicht mehr trauen und immer weniger an steigende Kurse glauben (siehe «Der Glaube fehlt» unter 'Downloads: Kein Risiko').

Das Misstrauen führte dazu, dass sich der Anteil der Aktienanlagen an den Vermögen der Privathaushalte seit dem Jahr 2000 etwa halbiert hat (siehe «Aktien werden ausgemistet» unter 'Downloads: Die Grafiken'). Im selben Zug hat sich der Anteil an Immobilien, Bargeld und Bankeinlagen erhöht. Die Statistik der Schweizerischen Nationalbank reicht zwar nur bis ins Jahr 2010, aber seither dürfte sich die Lage noch akzentuiert haben, die Aktienquote noch tiefer liegen.

Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit sind die Anteile der Bankeinlagen am Bruttovermögen seit dem Jahr 2000 insgesamt gestiegen, während der Anteil der Wertpapiere gefallen ist, wie die Statistiken der Zentralbanken zeigen (siehe «Weltweit weniger Wertpapiere» unter 'Downloads: Die Grafiken').

Rückzug aus Aktienfonds. Vor allem Aktien sind dabei ausgemistet worden: Seit April 2011 ziehen die Anleger jeden Monat netto Geld aus amerikanischen Aktienfonds ab. Das ist laut dem Verband der Investmentgesellschaften ICI die längste Liquidationsphase seit Beginn der Messungen 1984. Alleine im August 2012 sind netto über 30 Milliarden Dollar aus US-Aktienfonds abgeflossen – so viel wie seit drei Jahren nicht mehr.

Die Scheu der Investoren vor dem Anlageprodukt Aktie zeigt sich auch in den Kundenportfolios bei den Banken, wie Andreas Russenberger bestätigt, der schon seit 16 Jahren für die Credit Suisse arbeitet und dort das weltweite Portfoliomanagement leitet. «Heute sind die Kunden häufiger in risikoärmeren Anlageprofilen mit Aktienquoten von 20 bis 40 Prozent investiert», sagt Russenberger. In den neunziger Jahren hätten sie noch eher risikoreichere Anlageprofile gewählt. Zudem ist die Aktienquote in den Anlageprofilen gesenkt worden. «Das Anlageprofil Balanced wurde in den neunziger Jahren noch mit einer Aktienquote von 50 Prozent geführt – heute liegt die Quote noch bei 40 Prozent.»

Es sind nicht nur die unbedarften Anleger, die Aktien sehr kritisch gegenüberstehen, sondern auch ausgewiesene Profis. Die Rohstoffhandelslegende Marc Rich sagte jüngst im BILANZ-Interview: «Die Entwicklung an den Finanzmärkten hat gezeigt, dass man sich auf diese Einkommensquelle nicht mehr verlassen kann, weil sie extremen Schwankungen unterworfen ist.» Auch im Portfolio von Pierin Vincenz, dem Chef der Raiffeisen-Gruppe, spielt die Aktie nur noch eine untergeordnete Rolle. Der 56-jährige Chef einer der grössten Schweizer Banken lässt durchblicken, dass er in der Finanzkrise selber viel Geld an der Börse verloren hat. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er nicht daran glaubt, dass Aktien bald wieder beliebter werden.

Magere Performance. Anlegen wird nicht mehr als Chance, sondern als Risiko gesehen, wie eine Umfrage des Research Center for Financial Services der Steinbeis-Hochschule Berlin ergab. Und Risiken will heute kaum mehr jemand eingehen. Sicherheit ist das dominierende Thema bei Anlageentscheiden (siehe «Kein Risiko» unter 'Downloads'). Da ist es kein Wunder, dass unter den Anlageprodukten Spar-, Sicht- und Termineinlagen auf dem Vormarsch sind.

«Anleger sind adaptive Lerner», sagte Thorsten Hens, Direktor des Instituts für Banking und Finance an der Universität Zürich, an einer Tagung zum Thema «Bankkundenberatung in turbulenten Märkten». Sie tun wieder das, was gut gegangen ist, und lassen sein, was nicht funktioniert hat. In den vergangenen 14 Jahren hat mit Aktien wenig funktioniert.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten Privatanleger noch schlechtere Renditen als der Markt erwirtschaftet haben dürften. Das zeigt eine Untersuchung der US-Firma Dalbar, die auf quantitative Untersuchungen des Verhaltens von Investoren spezialisiert ist. Sie misst Rückzüge aus Aktienfonds und Einlagen. Daraus werden die resultierenden Renditen der Privatanleger berechnet. Das Ergebnis ist ernüchternd: US-Privatinvestoren erreichen nur etwa die Hälfte der Marktrendite.

Privatanleger sind also in doppeltem Sinn gebrannte Kinder. Nicht nur hat der Aktienmarkt in den vergangenen 14 Jahren kaum Gewinne gebracht – sie haben meist auch noch im falschen Moment gekauft und verkauft.

Thorsten Hens ist deshalb der Meinung, dass Anlageberater vermehrt auch psychologisch geschult werden müssten. Kenntnisse der Finanzmärkte alleine reichten nicht mehr aus. Ein Anlageberater müsse seine Kunden auch durch schwierige Börsenzeiten führen können, also dafür sorgen, dass die Kunden auch in Börsenturbulenzen an einer definierten Strategie festhielten und nicht im Tief aus Aktien flüchteten und im Hoch investierten.

Das Gespenst Inflation. An einer Strategie festzuhalten, eine definierte Aktienquote relativ konstant zu halten, führt automatisch dazu, dass zugekauft wird, wenn die Kurse gefallen, und verkauft, wenn sie gestiegen sind. Aber zuzukaufen, wenn die meisten anderen verkaufen, ist nervenaufreibend. Vor allem, weil sich dann die Welt in den Nachrichten auf einem schmalen Grat zu befinden und der Totalabsturz jederzeit möglich scheint.

Auch heute präsentiert sich die Welt angesichts von Schuldenkrise, Eurokrise, Währungskriegen und Geldentwertung fragil. Gerade die Inflation ist eines der Hauptargumente von Pimco-Chef Bill Gross, der den Tod des Aktienkults ausruft.

Irgendwie erinnert das an die Titelgeschichte «Der Tod der Aktie», die am 13. August 1979 im US-Wirtschaftsmagazin «Businessweek» veröffentlicht wurde. Aktien waren damals seit 1966, also 13 Jahre lang, kaum vom Fleck gekommen. Im Artikel wurde unter anderem argumentiert, dass die Inflation den Aktienmarkt töten würde. Tatsächlich waren die Zinsen damals unglaublich hoch: US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 20 Jahren warfen 15 Prozent ab – heute sind es rund zwei Prozent. Der Dow Jones schloss am Erscheinungstag des Artikels 1979 bei 875 Punkten, heute steht er weit über 13 000 Punkten. Rückblickend war das Jahr 1979 also ein guter Einstiegszeitpunkt, auch wenn es noch knapp drei Jahre dauern sollte, bis die Kursrakete wirklich losging.

Es gibt auch Optimisten. Dass Aktien seit 1982 stark gestiegen sind, hat damit zu tun, dass neue Technologien – die Computer- und Internetrevolution, die digitale Dienstleistungsgesellschaft – starke Produktivitätsgewinne zuliessen. Wer könnte die Frage heute verneinen, dass es auch in Zukunft technologische Revolutionen geben wird?

Larry Fink, Chef des weltgrössten Vermögensverwalters BlackRock, ist jedenfalls zuversichtlich und empfahl schon im Februar, voll auf Aktien zu setzen. Aktien seien so günstig wie seit 20 Jahren nicht mehr, so Fink. Die Lage der Weltwirtschaft werde viel elender eingeschätzt, als sie tatsächlich sei. Er sehe keinen Grund für diesen übertriebenen Pessimismus.

Tatsächlich steht die Weltwirtschaft insgesamt gar nicht so schlecht da. Das zeigt auch die Entwicklung der weltweiten Staatschulden (siehe «Auf dem richtigen Weg» unter 'Downloads: Die Grafiken').

Auch die Strategen von J.P. Morgan Asset Management sind langfristig zuversichtlich für Aktien: Für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre erwarten sie eine reale Rendite von fünf Prozent pro Jahr. Das scheint auf den ersten Blick viel zu sein, ist aber weniger, als Aktien über die vergangenen 100 Jahre bescherten: 6,6 Prozent. Und dies trotz zwei Weltkriegen, Weltwirtschafts-, Öl-, Immobilien- und Finanzkrise.

Dies sollte Anleger im Grundsatz zu Optimisten machen. Viele sind es auch. Bei einer Umfrage unter den anwesenden Pensionskassenmanagern und deren Beratern an der Swiss Pensions Conference vergangene Woche in Rüschlikon gab die grosse Mehrheit an, dass die derzeitige Krise ohne Katastrophe gemeistert werde. Aus regulatorischen Gründen und weil ihnen das Eigenkapital fehlt, können die meisten Pensionskassen derzeit allerdings nicht in Aktien investieren. Um auf sicher zu gehen, müssen die Pensionskassenmanager Staatsanleihen kaufen, die real gerechnet oft Verlust bringen.

Als Privatanleger können sie klüger investieren.