Die Welt schwimmt im Geld. Die Jahre 2003 und 2004 haben den global agierenden Konzernen riesige Gewinne und damit Cash-Positionen eingebracht, die jetzt vielerorts brach in den Firmenschatullen liegen. Der Welthandel wächst mit fünf Prozent pro Jahr, in den USA und in Asien boomt die Wirtschaft und beschert den Multis eine satte zweistellige Profitrate. «Das Gewinnwachstum in den USA ist hoch, die Firmen sitzen auf viel Geld», sagt Rainer Männle, Aktienstratege der Bank Sarasin. Männles Befund gilt auch für die Schweiz. Allein die im Börsenindex SMI registrierten Firmen dürften in diesem Jahr gemäss Schätzungen der Bank Vontobel rund zehn Prozent höhere Gewinne einfahren.

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Wie weiland Dagobert Duck könnten die Firmenchefs in den angehäuften Golddukaten baden. Doch der heutige Reichtum ist diskreter als in Entenhausen, er verbirgt sich in den Tresoren der Grossbanken und den Portefeuilles der Vermögensverwalter. Und er ist umso gigantischer. Microsoft hat 60 Milliarden Dollar flüssige Mittel in der Kasse, von denen Bill Gates in den nächsten vier Jahren 30 Milliarden an die Aktionäre ausschütten will. Intel hat ein Polster von 41 Milliarden bereits an die Aktionäre zurückgegeben, und IBM verfügte über 51 Milliarden Cash, mit dem die Firma eigene Titel zurücknahm. Im April gab sie zudem bekannt, nochmals für sechs Milliarden Franken Aktien zurückzukaufen, das grösste Programm ihrer Geschichte.

Unvorstellbare Summen an Aktienkapital sind in den vergangenen Jahren an die Anteilseigner zurückgeflossen. Und es geht im selben Stil weiter. Denn nach dem Zusammenbruch der New Economy, den diversen Bilanzskandalen in den USA und anderswo kamen die Multis zur Vernunft. Sie besannen sich auf ihre Kernkompetenzen, stiessen unrentable Bereiche ab, bereinigten die Bilanzen und begannen die Fremdkapitalbelastung abzubauen. Und plötzlich sprudelten die Gewinne. Im vierten Quartal 2004 verfügten die US-Firmen über 619 Milliarden Dollar Bargeld, die im Börsenindex Euro Stoxx enthaltenen Firmen wiesen für das vergangene Jahr liquide Mittel von 260 Milliarden Euro aus.

Nicht ganz so spektakulär fallen die Zahlen in der Schweiz aus. Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé hortet 15 Milliarden Franken Liquidität. Mit einem Aktienrückkaufprogramm (ARP) will er nun eine Milliarde an die Anleger ausschütten. Novartis verfügt über zehn Millarden Franken, mit denen Daniel Vasella offenbar nichts anzufangen weiss. Der Pharmamulti hat schon drei ARP abgeschlossen und ein viertes aufgegleist. Die Grossbank UBS hat so viel Bares zur Disposition, dass sie im März ein weiteres ARP gestartet hat, das den Anlegern nochmals fünf Milliarden Franken eintragen wird. Seit dem Jahr 2000 hat die UBS ihren Investoren unter verschiedenen Titeln 32,1 Milliarden Franken ausbezahlt.

Im Horten von Bargeld sind die Schweizer Weltmeister. Vergleicht man nämlich die freien Cashflows (FCF) der Schweizer Firmen mit den Dividenden, so ergibt sich durchschnittlich ein Faktor von drei. Das heisst: Nur ein Drittel der bestehenden freien Mittel wird als Gewinn an die Aktionäre ausgeschüttet. Clariant beispielsweise erwirtschaftet einen FCF von 452 Millionen Franken, zahlt aber gerade mal 45 Millionen an Dividende aus, ein Faktor von zehn. Phonak und Vetropak kommen auf acht, Schindler und Geberit auf sieben. «Im weltweiten Vergleich kann ein Faktor von drei als hoch bezeichnet werden», schreibt die Bank Vontobel in einer Studie vom Januar 2005 über den Schweizer Durchschnittsfaktor. Global komme man auf Faktor zwei. Viele Schweizer Firmen, so der Schluss, hätten das Potenzial für Aktienrückkäufe.

Kein Wunder, wird die Forderung nach einer Auszahlung der freien Mittel immer dreister. Ein grosser Eigenkapitalanteil, so argumentieren die Hedge-Fund-Manager und andere Investoren, bedeutet zu hohe Finanzierungskosten. Eigenkapital ist in der Regel teurer als Fremdkapital, zumindest bei den derzeit tiefen Zinsen. Der Abbau von Eigenkapital kann zu einer Reduktion der Gesamtkapitalkosten führen, den Firmenwert mithin kräftig steigern. «Die Shareholder», sagt Sarasin-Ökonom Rainer Männle, «machen Druck, dass die Firmen ihre hohen Cash-Positionen abbauen.»

Anders als gewisse US-Unternehmen wie Microsoft, die auf ihrem Baren sitzen bleiben wollte, liessen sich zumindest die grossen Schweizer Blue Chips nicht zweimal bitten. Helvetia ist zur Goldmarie geworden. Die hiesigen Börsenkotierten haben in den letzten Jahren Bargeld an die Titeleigner ausbezahlt, was das Zeug hält, durch Aktienrückkäufe, Nennwertreduktionen und Dividendenzahlungen (siehe Nebenartikel «Drei Möglichkeiten der Rückzahlung: Zurück an den Aktionär»). Logitech, Novartis, Swisscom, UBS und andere liessen einen Milliardensegen auf ihre Titelhalter niederregnen. Seit 1998 flossen allein durch Aktienrückkäufe 72,8 Milliarden Franken in die Taschen der Shareholder. Seit 1991 haben sich die Bargeldzahlungen von 5 auf 30 Milliarden pro Jahr erhöht, Tendenz steigend.

Viele Firmen haben auch den Nennwert ihrer Aktien drastisch reduziert; im letzten Jahr waren es 22 Unternehmen, die auf diese Weise 1,6 Milliarden Franken auszahlten. Darunter die CS Group mit knapp 600 Millionen, Zurich Financial Services mit 360 Millionen Franken oder Ciba SC und Syngenta mit je rund 200 Millionen. Aber auch Dividenden flossen reichlicher. Seit 1991 haben sie sich verdreifacht, sie stiegen auf rund 15 Milliarden Franken.

«Aktienrückkäufe bleiben auch im Jahr 2005 en vogue», notiert Vontobel in ihrer Broschüre. Das Volumen nehme nochmals deutlich zu. Derzeit haben gemäss einer Aufstellung der «Finanz und Wirtschaft» 19 Firmen – gegenüber 14 im verflossenen Jahr – Rückkaufprogramme am Laufen (siehe Grafik unten «Die aktuellen Rückkaufangebote»). Die grössten Rückkaufprogramme haben Nestlé, Novartis, Serono und UBS in einem Gesamtumfang von zehn Milliarden Franken aufgelegt.

«Aktienrückkäufe sind nicht a priori gut», sagt Rudolf Volkart, Direktor des Swiss Banking Institute in Zürich. Es sei zwar richtig, dass damit der Gewinn pro Aktie – oder auf Neudeutsch: die Earnings per Share (EPS) – steige. Aber damit erhöhe sich auch das Risiko, was sofort die Frage nach einer angemessenen Risikoprämie aufs Tapet bringe.

«Gewinnverdichtung» heisst die Zauberformel, mit der den Anlegern die Aktienrückkäufe schmackhaft gemacht werden sollen. Diese Gewinnverdichtung findet auf verschiedenen Ebenen statt:

Der Aktienkurs steigt: Aktien, für die Firmen ein Rückkaufprogramm aufgelegt
haben, bringen es binnen zwölf Monaten auf eine Outperformance von 13 Prozent gegenüber ihren Konkurrenten ohne ARP, hat die US-Investment-Bank Morgan Stanley evaluiert. Man sollte, so rät die Bank, nicht gleich zu Beginn verkaufen, sondern ein paar Monate zuwarten. Der Kurs zieht nicht schon in den ersten Wochen an. «Rückkäufe stützen den Kurs», bestätigt Dieter Winet, Senior Portfolio Manager bei Swisscanto. Gemäss anderen Untersuchungen beträgt der Kursgewinn am Tag nach der Ankündigung im Durchschnitt nur 2,2 Prozent. Nachher geschieht nichts mehr. Kritiker wenden deshalb ein, dass es keinen Zusammenhang zwischen Rückkäufen und Aktienkurs gebe. So waren weder bei Novartis noch bei der UBS die Rückkäufe Kurstreiber. Im Gegenteil: Trotz Milliardeneinsatz dümpeln die Kurse unter ihren Höchstständen, bei Novartis ging er 2004 gar um 1,5 Prozent zurück.

Die Eigenkapitalrendite nimmt zu: Dieser Effekt ist banal. Sinkt das Eigenkapital (EK) bei gleich bleibendem Gewinn, steigt die EK-Rendite – was nach grösserer Finanzkraft aussieht. Dies ist nicht wirklich der Fall. Es ist nicht mehr, sondern weniger Eigenkapital vorhanden. Auch die operative Leistung nimmt nicht zu, der Gewinn ist nicht direkt von der Höhe des EK abhängig. Indirekt schon, indem die Firma vielleicht teureres Fremdkapital aufnehmen muss, da bei bei geringerer EK-Decke die Risikoprämien für Fremdkapital steigen.

Die Abwehr gegen feindliche Übernahmen wird erleichtert: «Der Rückkauf von Aktien kann auch zur Prävention gegen feindliche Übernahmeangebote oder als Abwehrmassnahme bei konkret vorliegenden Übernahmeofferten dienen», schreibt Philipp Lütolf in seiner Dissertation «Aktienrückkäufe in der Schweiz». Die Firma reduziere dadurch die für den Raider am Markt verfügbaren Titel. Zudem verliere das Übernahmeobjekt an Attraktivität. Bisher waren indes nicht der Free Float oder die EK-Unterlegung entscheidend für feindliche Übernahmen. Das beweist der Fall Unaxis: Fehler des Managements haben den Technologiekonzern übernahmereif gemacht.

Der Signaleffekt: Aktienrückkäufe senden verschiede Signale aus, je nachdem, an wen sie sich richten. Das Management will den Aktionären Finanzkraft signalisieren. Oder es betrachtet die Aktie als unterbewertet und will mit den Rückkäufen den Kurs hochtreiben, was – wie oben gezeigt – oft gar nicht gelingt. Es kann auch sein, dass das Management Schwächen der Firma überdecken will, so etwa fehlende Ideen für lohnende Investitionen oder für sinnvolle Übernahmen. «Es kann nicht immer von Managements ausgegangen werden, die im Sinne der Aktionäre handeln», schreibt Autor Lütolf in seiner Dissertation. Es ist verführerisch, mit Aktienrückkäufen etwas Bilanzkosmetik zu betreiben.

Dass nicht alles eitel Wonne ist, zeigt der Fall des Biotechkonzerns Serono. Die Firma des «Alinghi»-Besitzers Ernesto Bertarelli musste für das erste Quartal einen Verlust von 670 Millionen Franken ausweisen. Analysten hatten einen Gewinn von 120 Millionen erwartet, etwa gleich wie im Vorjahresquartal. Serono musste 725 Millionen Dollar Sonderrückstellungen bilanzieren, weil in den USA ein Verfahren über Verkaufs- und Marketingpraktiken um das Aids-Medikament Serostim eingeleitet wurde. Der unvermittelt auftretende Finanzengpass passt wenig zu der Ankündigung von Serono, Aktien im Wert von über 750 Millionen Franken zurückzukaufen.

Serono zeigt, dass Firmen von heute auf morgen in finanzielle Schwierigkeiten geraten können. Sie sind umso verwundbarer, je geringer die EK-Decke und die Reserven sind. Gerade in der Pharmaindustrie ist das Produktrisiko enorm. Aber auch für andere Gesellschaften kann es existenziell werden, wie der Fall ABB zeigte. 2001 kaufte der Elektrotechnikkonzern für 1,2 Milliarden Franken eigene Aktien zurück. Bei einer äusserst schmalen Eigenkapitaldecke von 15 Prozent konnte dieser Cash-Drain nicht gut gehen. «Das war ein völliger Unsinn», sagt Thomas Pfyhl, Chef von Vontobel Equity Research. Um einen Kollaps zu vermeiden, war der Elektroriese zwei Jahre später gezwungen, 3,3 Milliarden Franken Fremdkapital aufzunehmen. «Aber», so fragt Pfyhl mit Recht, «wieso soll beispielsweise die Swatch mit 70 Prozent EK und freien Mitteln von 700 Millionen keine Aktienrückkäufe tätigen?»