Nach seinen Hobbys gefragt, flüchtete sich Martin Ebner gewöhnlich in einen Kalauer. Leider fehle ihm meistens die Zeit, seinem einzigen Hobby – Arbeit – nachgehen zu können, kokettierte der Finanzjongleur mit der Fliege zu Zeiten, als es ihm geschäftlich noch wesentlich besser ging. Nachdem er mit seinen Börsenhebeleien Schiffbruch erlitten hat und nun endlich die Musse hätte, seiner liebsten Freizeitbeschäftigung zu frönen, mangelt es dem Innerschweizer Aktienmaniac heute fatalerweise an Arbeit.
Seit die Gläubigerbanken Anfang August Ebner das Heft aus der Hand genommen haben, wirkt die Kommandozentrale der BZ Gruppe Holding (BZGH) in Wilen hoch über dem Zürichsee seltsam unwirklich und verlassen. Mit einer Hand voll Mitstreiter, die ihm auch in der tiefsten Krise bedingungslos die Stange halten, hält sich der zum Bittsteller degradierte Investor in den Räumlichkeiten der BZGH, die direkt an seinen Privatwohnsitz grenzen, verschanzt. Nach dem Publikwerden seines Scheiterns sei der Prediger des grenzenlosen Aktienmehrwerts wochenlang «wie vom Erdboden verschluckt» gewesen, berichtet ein Nachbar: «Er wagte sich offenbar nicht mehr unter die Leute.» Immerhin begebe sich Ebner jetzt wieder zum Joggen an die frische Luft, weiss der Anrainer. Auf dem nahe gelegenen Etzel dreht der angeschlagene Aktienguru – begleitet von Bodyguards – demnach neuerdings seine Runden.
Da der Terminplan des Bankers momentan etwelche Lücken aufweist, kehrt der vormals Vielbeschäftigte, zumindest was die Informationspolitik betrifft, gleichsam zu seinen Wurzeln zurück. Um sich die Warterei zwischen den seltener gewordenen Kundenkontakten zu verkürzen, greift Ebner heute schon wieder einmal spontan zum Telefon, um ausgewählte Medienvertreter proaktiv vom Stand der Dinge in seiner Finanzboutique zu unterrichten. Auf der Redaktion des «Wall Street Journal» rief der BZ-Stratege unlängst persönlich an, um eine angebliche Falschmeldung des renommierten Börsenfachblatts zu dementieren. Auch den Chefredaktor der Schweizer Wirtschaftszeitung «Cash» nahm der BZ-Chef fernmündlich ins Gebet und beklagte sich bitter über den allwöchentlich an prominenter Stelle publizierten «Wasserstandsbericht», der die Überschuldung von Ebners Privatholding auf plakative Weise wiedergibt. Der Verschuldungspegel liege wesentlich tiefer, ereiferte sich der Banker auch hier, ohne jedoch verraten zu wollen, mit welchem Betrag seine Finanzgruppe bei ihren Gläubigern per saldo denn nun tatsächlich in der Kreide steht.
Ob Ebner das Wasser – wie von «Cash» insinuiert – bereits bis über das Kinn reicht oder nicht: Die Lage, in welcher der BZ-Kapitän mit seiner leckgeschlagenen Finanzgruppe steckt, ist mit Sicherheit alles andere als gemütlich.
Durch die Veräusserung von weiteren Titeln aus den Restbeständen der BZGH vermochte sich Ebner in den letzten Wochen zwar vorübergehend wieder etwas Luft zu verschaffen. Allein der Ende Oktober über die Bühne gebrachte Notverkauf seiner Lonza-Beteiligung (19,8 Prozent) an institutionelle Investoren liess den Schuldenberg um 820 Millionen Franken schmelzen. Ein weit bescheideneres Handgeld dürfte die zwei Wochen später erfolgte Übertragung der 19 000 «BZ-Aktienkonti» an die amerikanische AIG Privat Bank eingebracht haben. Im gleichen Umfang wie der Liquidationserlös haben sich allerdings auch die verbleibenden Aktiven reduziert, womit die zwischen Soll und Haben klaffende Lücke keineswegs kleiner geworden ist. Nach wie vor fehlen der BZGH Hunderte von Millionen Franken, um ihre Verbindlichkeiten vollumfänglich zu decken (siehe «Ausverkauf in Raten»).
Der dieser Tage besiegelte Verkauf einer Landparzelle aus der eisernen Immobilienreserve des Ex-Milliardärs scheint nahezulegen, dass die unternehmerische Zukunft des 57-jährigen Finanzjongleurs mehr denn je an einem seidenen Faden hängt. Bei dem von Ebner liquidierten Areal handelt es sich um ein 10 000-Quadratmeter-Grundstück in unmittelbarer Nachbarschaft zum Jachthafen von Bäch (Gemeinde Freienbach), also in allerbester Uferlage. Gemäss unbestätigten Berichten soll eine auf die Errichtung von Luxusappartements spezialisierte Immobiliengesellschaft aus der Region bereit gewesen sein, für die entwicklungsfähige Parzelle mehr als 3000 Franken pro Quadratmeter hinzublättern.
Die Zeit arbeite gegen Ebner, glauben die Skeptiker und rechnen fest mit seinem Bankrott. Optimisten, die auf absehbare Zeit mit deutlich höheren Börsenkursen rechnen, attestieren ihm derweil zumindest noch eine theoretische Chance. Retten kann sich der in die Bredouille geratene Aktienhändler jedenfalls nur, wenn es ihm gelingt, die kommenden Monate auszusitzen, um das, was von seinen wertmässig eingedampften Kernbeteiligungen Credit Suisse und ABB dann noch übrig sein wird, bei markant höheren Notierungen in die Waagschale zu werfen. In der Zwischenzeit jedoch fallen exorbitante Zinskosten an: Angenommen, die BZGH hat Lombardkredite in Höhe von vier Milliarden Franken zu bedienen und muss diesen Betrag mit durchschnittlich drei Prozent verzinsen, was, gemessen an ihrer Bonitätslage, deutlich zu tief gegriffen erscheint. Bei 240 Arbeitstagen im Jahr fallen für die BZGH unter diesen vorteilhaften Annahmen Tag für Tag Zinskosten von einer halben Million Franken an, ohne dass sich der Schuldenberg als solcher dadurch um einen Franken reduziert hätte.
Wie die Hängepartie auch immer ausgeht, eines steht unverrückbar fest: Der fahrlässig herbeigeführte Kollaps des BZ-Imperiums lässt Heerscharen von Geschädigten am Wegrand zurück. Zu den Verlierern des von Ebner jahrelang angeheizten Aktienrouletts zählen fast alle Schweizerinnen und Schweizer – oder differenzierter ausgedrückt: all diejenigen Gross- und Kleinanleger, die mit dem direkten oder indirekten Besitz (etwa über die Vermögensanlagen ihrer Pensionskasse) von vermeintlich wertstabilen und von Ebner mit aller Macht gepushten Schweizer Blue-Chip-Aktien massivste Verluste haben einstecken müssen.
Von den materiellen Einbussen, die Ebners Shareholder-Eskapaden landesweit verursacht haben, sind einzelne Regionen besonders betroffen. «Die ‹Winterthur› wurde für einen Pappenstiel an die CS verramscht. Inzwischen ist die Gesellschaft fast ein Krüppel», befand Niklaus Senn, Expräsident der Bankgesellschaft und langjähriger Gegenspieler Ebners, nach dessen Kniefall vor den Banken in einem Zeitungsinterview. Vor allem für die Region Winterthur sei diese Entwicklung «tragisch», glaubt Senn, «weil die halbe Stadt Winterthur Aktien der traditionsreichen Versicherung besessen hat und die eingetauschten CS-Papiere kaum mehr die Hälfte davon wert sind».
Zu überproportionalen Flurschäden dürfte es auch am linken oberen Zürichseeufer, der so genannten Diamantküste, gekommen sein. Jeder sechste Haushalt in Ebners Wohnsitzgemeinde Freienbach habe bei der BZ Bank ein Konto eröffnet, brüstete sich der Wanderprediger in Sachen Aktiensparen noch im vorigen Jahr anlässlich eines Promotionsauftritts. Entsprechend zahlreich sind heute in der Ausserschwyzer Kommune die Gelackmeierten, auch wenn kaum einer öffentlich dazu stehen will. «Ich bin nur sieben Jahre zur Schule gegangen. Darum komme ich in Geldsachen nicht so gut draus», wiegelt Walter Christen ab, der nicht weit von Ebner entfernt wohnt, diesem gutgläubig eine grössere Geldsumme anvertraut und auf seinem Investment bis dato mehrere Hunderttausend Franken eingebüsst hat. «Man darf die Hoffnung nicht aufgeben», meint der Geschädigte, «dass es an der Börse wieder aufwärts geht.» Seine Schwester Claire hat dem BZ-Chef vor drei Jahren ein Grundstück verkauft («Er wollte, dass kein Fremder draufkommt») und einen Teil des damaligen Handelserlöses auf Ebners Anraten hin in «Visions»-Aktien gesteckt. «Irgendwann geht es wieder rauf», tröstet auch sie sich. «Wenn ich das Geld nicht mehr sehe, dann bestimmt meine Tochter.»
Bezüglich geplatzter Börsenträume herrsche in der Gemeinde «eine Art Omertà», diagnostiziert der Schwyzer SP-Kantonsrat Otto Kümin. «Während im Boom noch ab und an mit Gewinnen plagiert wurde, wird in der Crashphase eisern geschwiegen.» Mit Ebner-kritischen Äusserungen hat sich Kümin in der Freienbacher Fiskaloase verschiedentlich in die Nesseln gesetzt. «Neuerdings grüssen mich auch wieder Leute, die mich bei steigenden Aktienkursen noch als Nestbeschmutzer behandelt haben», freut er sich. Die Phase unreflektierter Heldenverehrung, als dem wichtigsten Steuerzahler in der Region niemand Paroli zu bieten wagte, scheint mit dem spektakulären Schwund von dessen Finanzkraft der Vergangenheit anzugehören. So wird von unabhängig denkenden Bürgern neuerdings etwa auch die Rolle von Ebners wendigem Multiverwaltungsrat und operativem Geschäftsführer der BZ Bank, Walter «Walo» Frischknecht, kritisch hinterfragt.
Nicht nur innerhalb von Ebners Finanzholding hält Frischknecht wichtige Fäden in der Hand. Als langjähriger Gemeindepräsident von Freienbach verfügt er im Gemeinwesen der Kommune über allerbeste Beziehungen. Und nebenbei führt «Walo», der Tausendsassa, in der Stadt Zürich auch noch ein mit der Ebner-Gruppe verbandeltes Treuhandbüro, dessen Jahresabschluss der umtriebige Buchhalter bis vor kurzem eigenhändig revidiert hat.
Mulmige Gefühle beschleichen Aussenstehende auch in Bezug auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit in der Region. Für arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen innerhalb der BZ-Gruppe ist das Bezirksgericht Höfe in Wollerau zuständig. Laut Auskunft eines mit der Institution vertrauten Lokalpolitikers ist das betreffende Bezirksgericht «personell chronisch unterdotiert, mit dem Effekt, dass sich insbesondere im Wirtschaftsbereich die Verfahren oft während Jahren dahinschleppen». Vom Börsengeschäft, verrät der gut vernetzte Informant, habe kein einziger der in Wollerau tätigen Gerichtsfunktionäre und fallweise beigezogenen Laienrichter mehr als bloss eine oberflächliche Ahnung. Vom Tatbestand eines so genannten Insidervergehens im Börsengeschäft oder vom Unterschied zwischen Optionen europäischer und amerikanischer Prägung ganz zu schweigen.
An ebendiesem Bezirksgericht reichte der vormalige Research-Leiter der BZ Bank, Roger Jenny, im Mai 1999 eine Zivilklage gegen seinen früheren Arbeitgeber ein. Jenny forderte die Auszahlung von diversen mit Ebner abgeschlossenen Optionsplänen in Millionenhöhe, die vertragsgemäss wertlos verfallen, falls ein BZ-Mitarbeiter seine Stelle vor Ablauf der vereinbarten Optionsfrist quittiert. Weil sich der Kläger in Zusammenhang mit der Umstrukturierung des italienischen Pirelli-Konzerns jedoch mit Martin Ebner zerstritten hatte und sich deshalb laut eigenen Angaben «aus berufsethischen Gründen» gezwungen sah, die BZ Bank vorzeitig zu verlassen, wollte er den kompensationslosen Verfall seiner Optionen nicht hinnehmen. Das Bezirksgericht Höfe wies das finanzielle Begehren in geforderter Höhe zwar ab, kam in seinem Urteil vom August 2001 aber zum interessanten Schluss, dass die von Ebner vertraglich verlangte, mindestens fünfjährige Betriebszugehörigkeit gegen das Schweizer Arbeitsrecht verstosse. «Ich mute mir zu, zu verstehen, was ich unterschreibe», sagt der für den Fall zuständige Gerichtspräsident Karl Kümin und müht sich, Zweifel an seiner Sachkompetenz gar nicht erst aufkommen zu lassen. Den im Umfeld des Klägers aufgetauchten Vorwurf, Ebners Anwälte hätten ihm massgebliche Teile des Urteils in die Feder diktiert, weist Kümin entrüstet von sich: «Ich kenne Herrn Ebner nicht und habe mir von ihm auch noch nie eine Wurst offerieren lassen.»
Seit Juli 2002 ruht die Zivilklage «Jenny gegen Ebner» jetzt beim Kantonsgericht in Schwyz, das in zweiter Instanz über den Fall zu befinden hat. Ein genauer Verhandlungstermin sei noch nicht bestimmt, heisst es dort auf Anfrage. «Im Moment sieht es nicht danach aus, als werde das Verfahren öffentlich sein», dämpft Vize-Gerichtspräsidentin Alice Reichmuth verfrühte Hoffnungen auf mehr Transparenz. Gegen Ende Jahr sehe man weiter, vertröstet sie. «Rufen Sie doch wieder an.»
Über den strafrechtlich relevanten Teil des komplexen Dossiers – dem angeblichen Insidervergehen Ebners im Fall von Pirelli – beugt sich seit letztem Herbst der für Wirtschaftsdelikte zuständige Zürcher Bezirksanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel. Auch er will sich in Bezug auf den weiteren Verfahrensverlauf nicht festlegen: «Sobald die Untersuchung abgeschlossen ist, werde ich die Öffentlichkeit informieren», verspricht er. Dem Anzeigeerstatter, der den Insidervorwurf gegen Ebner erhoben und die Ermittlungen in Sachen Pirelli damit ins Rollen gebracht hat, verweigert der kantonale Untersuchungsbeamte strikte die Akteneinsicht: «Ich habe entschieden, dass Jenny im technischen Sinn kein Geschädigter ist», dekretiert Jean-Richard-dit-Bressel und bestätigt im gleichen Atemzug, dass der angeschuldigte BZ-Chef, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Hafter, über den Gang der Untersuchungen selbstredend voll im Bild sei.
Hafter, einem überaus erfahrenen und in der Branche gefürchteten Anwalt, der seinerzeit schon Bundesrätin Elisabeth Kopp verteidigt hat, zollt der Zürcher Bezirksanwalt offenbar grossen Respekt. Auf gar keinen Fall möchte er in der Causa Ebner einen Formfehler begehen und seine hoffnungsvolle Karriere dadurch aufs Spiel setzen: «Ich will wegen Verletzung meiner Amtspflicht kein Verfahren am Hals.» Jenny erinnert sich mit Schrecken daran, wie er im vergangenen Herbst von Jean-Richard-dit-Bressel – in Beisein von Rechtsanwalt Hafter – während vier Stunden intensiv in die Mangel genommen wurde. «Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher», beschreibt der Hauptzeuge für den inkriminierten Pirelli-Deal das peinliche Quasiverhör.
Nur wenige haben es bisher gewagt, sich so konsequent wie Jenny gegen den BZ-Gründer zur Wehr zu setzen. Als Opfer eines Mitläufertums, das zumindest phasenweise sektenartige Züge trug, ist der frühere Research-Leiter aber gleichwohl kein Einzelfall. «Früher hatten alle Angst vor Ebner», bestätigt ein anderer ehemals leitender BZ-Angestellter, der es bis heute vorzieht, namentlich nicht in Erscheinung zu treten. Nicht selten habe Martin Ebner verlangt, dass sich BZ-Mitarbeiter persönlich hoch verschuldeten, um in angemessener Form am Geschäftsrisiko beteiligt zu sein, erinnert sich dieser: «Wer bei diesem Spiel nicht mitmachen wollte, wurde intern gemobbt», behauptet er. «Als ich mich deswegen beschwerte, liess Ebner sofort einen seiner Hausjuristen auf mich los.»
Während Jahren umgab Ebner die Aura eines genialen Geldvermehrers. Selbstverständlich hegten viele, die damals in seine Nähe kamen, die Erwartung, nicht zu knapp von dieser Fähigkeit zu profitieren. Wie sich im Rückblick zeigt, erwiesen sich derartige Hoffnungen für die meisten von Ebners profithungrigen Mitläufern als Illusion.
«Beim Aushandeln der Arbeits- und Optionsverträge trat man ausgebufften Profis, allesamt ausgebildete Juristen, gegenüber. Da musste man sich warm anziehen, sonst sass man am Ende garantiert am kürzeren Hebel», weiss Hans Lutz, von 1988 bis 1991 Leiter der BZ-Informatik. Mit Optionsgeschäften hat Lutz in dieser Zeit «rund ein halbes Jahressalär» verloren und ist damit, verglichen mit anderen, wie er versichert, noch «vergleichsweise glimpflich» davongekommen. «Psychologisch fühlte man sich anfänglich wie unter Freunden», beschreibt der Informatikexperte das Arbeitsklima im Umfeld des missionarisch auftretenden Wirtschaftsjuristen. «In Tat und Wahrheit geriet man jedoch unter ein Rudel von Wölfen.»
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