Manju, der Schlagzeuger aus Indien, und Oliver, der Keyboarder aus Wien, kommen gerade ins Aufnahmestudio der Villa Pastega und packen ihre Instrumente aus. Am Abend zuvor haben die beiden noch in Istanbul mit einer Jamsession die Benetton-Ausstellung «Extraordinary Objects» eröffnet. Ganz Istanbul war mit Postern der Ausstellung plakatiert, in den Shops des italienischen Modekonzerns waren an die bunten Hemden und Hosen Etiketten mit dem Ausstellungslogo geheftet, das Publikum der Vernissage bekam am Eingang als Welcome-Geschenk ein rotes Stoffknäuel überreicht, das sich hinterher als Shirt im Knitterlook entpuppte.

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Gastgeschenke, Werbeaktionen, Musikbegleitung – geplant, vorbereitet und realisiert wurde die Veranstaltung von Schülern der Fabrica im Hinterland von Venedig. Die Fabrica in der Nähe von Treviso ist ein Unikum. Als Luciano Benetton 1994 die Talentschmiede gründete, wollte er laut Firmenwerbung nichts Geringeres als ein «Laboratorium zur Entwicklung der Kommunikation der Zukunft» schaffen, keinen «sterilen Ort der Meditation», keine «traditionelle Lehranstalt». Heute ist das Institut ausgestattet mit modernster Einrichtung und sechs Fachrichtungen: Fotografie, Video und Film, Grafikdesign, Neue Medien, Musik und Industriedesign.

Der Lern- und Arbeitsort ist ebenso kontrastreich wie luxuriös: Vom japanischen Stararchitekten Tadao Ando liess Benetton eine extravagante Beton- und Glasbauanlage um den alten Gutshof aus dem 17. Jahrhundert errichten. Wer hierher kommt, hat meist schon eine Ausbildung in einem Kreativberuf oder ein Studium absolviert oder zumindest einige Praxiserfahrungen in einem der sechs Fabrica-Fachbereiche gesammelt. Muss er allerdings nicht: Die Werkstatt steht zunächst jedem Bewerber offen. Über 1000 sind das jedes Jahr.

Denn der kreative Ausstoss der Werkstatt ist international beachtet: Erst im vergangenen Jahr erhielt der in Koproduktion mit der Fabrica entstandene Film «No Man’s Land» des Bosniers Danis Tanovic den Oscar für den besten ausländischen Film; die Werbekampagnen, die Fabrica für zahlreiche internationale Organisationen entwickelt, ernten immer wieder Auszeichnungen, die Fabrica-Zeitschrift «Colors» hat sich vom einfältigen Konzernorgan inzwischen zu einem gut verkauften Magazin mit einer Auflage von 300000 Exemplaren gemausert, in dem bemerkenswerterweise auch Wettbewerber wie Diesel, Camper oder Swatch doppelseitige Anzeigen schalten. Dieses Renommee macht sich Benetton zu Nutze. Seit dem Bruch mit Oliviero Toscani, dem PR-Chef, Hausfotografen und Urheber der umstrittenen Schockwerbung, vor drei Jahren verantwortet die Fabrica den Kommunikationsauftritt der United Colors of Benetton.

Was die Kreativschmiede von anderen unterscheidet, ist vor allem ihr einmaliges Ausbildungs- und Finanzierungskonzept: Fabrica-Schüler zahlen praktisch nichts. Aus den zahlreichen Bewerbern jedes Jahr pickt sich die Schule die 40 Besten heraus. Sie erhalten anschliessend ein Vollstipendium: Die Fabrica zahlt ihnen die Flugtickets, ein Taschengeld von rund 450 Euro im Monat, eine Wohnung und das Mittagessen. Studiengebühren gibt es ohnehin keine.

Reale Aufträge statt Sandkastenspiele

Benetton fördert, fordert aber auch. Der Konzern gibt den Stipendiaten zwar die Gelegenheit, eigene Projekte zu verwirklichen. Daneben werden die Jungkreativen allerdings regelmässig in die Arbeit ihres Fachbereichs im Dienste des Modehauses eingespannt. Neben Benetton bedient die Kommunikationswerkstatt allerdings auch externe Auftraggeber mit Werbekampagnen, TV-Spots, Ausstellungen und Broschüren.

«Alles, was hier entsteht, ist für den Markt bestimmt», betont Werbechef Paolo Landi. Egal, ob Festivalbeitrag oder Fernsehdokumentation, ob Bildband, Ausstellung oder Motiv für eine neue Werbekampagne – die Fabrica-Stipendiaten setzen ihre Projekte direkt in die Praxis um. Der Vorteil dieses Systems: «Hier lernt man, Ideen zu realisieren», betont Renzo di Renzo, einer der Kreativchefs der Fabrica. «Wir sind von allem etwas: ein bisschen Bauhaus, ein bisschen Werkstatt und ein bisschen Schule.»

Der internationale Austausch wird gross geschrieben. Eine der wichtigsten Maximen der Schule lautet: Je vielfältiger die Herkunft der Stipendiaten, desto interessanter und fruchtbarer ist der kreative Prozess. Entsprechend kommen die Schüler aus allen Teilen der Welt, die Campussprache ist Englisch.

Kein Platz für Einzelkämpfer
Wer an der Fabrica aufgenommen werden will, muss originell sein und unkonventionelle Ideen einbringen.


Der Slogan, mit dem die Benetton-Werkstatt regelmässig um Nachwuchs wirbt, sagt alles: Wanted Creativity – hier beeindrucken Ideen. Wer an der Fabrica landen will, muss entsprechend das Aufnahmegremium mit originellen Bewerbungsmappen oder neuen Marketingideen überzeugen können, Fachwissen steht erst an zweiter Stelle.


Dafür können sich die jungen Kreativen aus aller Welt das ganze Jahr an der Fabrica bewerben. Die Adresse: Fabrica, Via Ferrarezza, 31050 Catena di Villorba (TV), Italien, E-Mail: fabrica@fabrica.it, Internet: www.fabrica.it.


Das Anschreiben muss sich direkt an eine der sechs Fachrichtungen richten und kann in Englisch, Italienisch oder Französisch abgefasst sein. Verlangt werden überdies Arbeitsproben, ein Lebenslauf und ein Begleitschreiben, in dem der Kandidat sein Interesse an der Ideenschmiede begründet. Das Höchstalter liegt bei 25 Jahren. «Wer gern allein vor sich hin brütet, bleibt besser zu Hause», stellt Kreativchef Renzo di Renzo klar. Flexibilität – und vor allem Multikulti ist angesagt. Die Auslese ist hart: Von den durchschnittlich fünf Test-Fabricanten, die hier ständig gastieren, wird am Ende im Schnitt nur einer aufgenommen.

Nicht nur die Schüler kommen von überall her: Mehrmals im Monat reisen renommierte Profis aus der globalen Kreativ- und Kommunikationsszene zu Workshops und Vorträgen in die abgeschiedene Idylle des Örtchens Treviso. Der britische Komponist und Filmmusiker Michael Nyman war da, der japanische Modedesigner Issey Miyake oder der iranische Regisseur Abbas Kiarostami, der Schweizer Architekt Mario Botta und der italienische Industriedesigner Michele de Lucchi. «Wenn man die sonst treffen wollte, müsste man quer durch die ganze Welt reisen», sagt di Renzo stolz.

Trotz den Besuchen gehört Reisen zum Konzept der einjährigen Ausbildung. Carlos zum Beispiel kehrte vor zwei Tagen aus Rocinha, einer der grössten Favelas von Rio de Janeiro, zurück. Der Spanier filmte dort einen Monat lang den Slumalltag. Aus seinen Aufnahmen wird der studierte Designer in der Fabrica einen Dokumentarfilm montieren, der dann den Fernsehanstalten in aller Welt angeboten wird.

Pieter aus Südafrika sichtet ein Stockwerk darüber das Fotomaterial für eine Reportage, die er über die Albinos in seiner Heimat gemacht hat. Die Pigmentkrankheit bei Farbigen ist für ihn eine faszinierende Metapher, um im einstigen Apartheidland der Frage nachzugehen: Was macht dich zu einem Schwarzen? «Man hat hier die Chance, frei von Druck zu arbeiten», sagt der 26-Jährige, der vor seinem Fabrica-Aufenthalt als freier Fotograf in Kapstadt lebte.

Dem in Kenya geborenen Engländer James Mollison gelang es, sich während seines Stipendiums mit zwei Fotoreportagebänden einen Namen zu machen. Inzwischen ist der heute 29-Jährige zum neuen Hausfotografen Benettons aufgestiegen. Für die aktuelle Kampagne in Zusammenarbeit mit der UN-Hungerhilfe «Food for life», die im Februar in mehr als 30 Ländern gestartet wurde, fotografierte er weltweit Menschen, die auf die Hilfe des UN-World-Food-Programms angewiesen sind.

Solche Blitzkarrieren sind zwar die Ausnahme. Trotzdem ist die italienische Kreativschmiede für viele Stipendiaten ein Sprungbrett zu höheren Weihen. Wer an der Fabrica ein Jahr lang erfunden und umgesetzt hat, bekommt kein Abschlusszeugnis, doch die Station im Lebenslauf ist in der Branche viel wert. Zahlreiche Ex-Fabricanten sitzen in den Kreativabteilungen von New Yorker Zeitschriften, bei internationalen Fernsehsendern oder in grossen Werbeagenturen. Jobofferten bekommen sie auf jeden Fall. So wie Silvie aus Frankreich. Ihr Jahr an der Fabrica endet erst im Winter, doch «zwei interessante Angebote» hat sie schon.

Ulrike Sauer – ein Artikel der «WirtschaftsWoche»