Rein wirtschaftlich wird das Jahr 2023 herausfordernd. In den westlichen Ländern wird sich eine Rezession kaum vermeiden lassen. Zwar sind die Ursachen unterschiedlich. Während das Wachstum in den USA durch die sehr schnelle und scharfe Straffung der Geldpolitik nachgeben dürfte, ist der Abschwung in Europa das Ergebnis der Energiekrise und der hohen Inflation. Beide grossen westlichen Wirtschaftsregionen werden in der Jahresrate schrumpfen – die USA um 0,2 Prozent, der Euro-Raum sogar um 1,0 Prozent.  

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Besonders hart trifft es Deutschland, der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Auge des Sturms. Hohe Energiekosten belasten die Unternehmen im produzierenden Gewerbe. Gleichzeitig dürften sich die Verbraucher angesichts weiter hartnäckiger Inflation und wachsender Arbeitsplatzunsicherheit eher zurückhalten.

Auch der Aussenhandel fällt als Treiber aus. Neben den USA wächst auch China aufgrund seiner Null-Covid-Strategie sehr schwach. Das wird nicht reichen, um in Deutschland das Wachstum über die Nulllinie zu hieven, auch wenn die Fiskalpolitik unterstützend wirkt. Im Ergebnis erwarten wir in Deutschland einen BIP-Rückgang um 1,4 Prozent.  

Inflation bleibt hoch, sinkt aber  

Für die Kapitalmärkte ist es wichtig, dass keine schwere Rezession zu befürchten ist. Diese eher positive Perspektive dürfte im Jahresverlauf 2023 stärker die Sicht der Investorinnen und Investoren prägen, sodass mit verhaltenem Konjunktur- und Inflationsoptimismus zu rechnen ist. Die Inflation wird zwar strukturell höher bleiben, als wir es in den vergangenen zehn Jahren gewohnt waren. Aber von den aktuell hohen Niveaus werden wir im Jahresverlauf 2023 herunterkommen.

Über den Autor

Dr. Frank Engels ist seit Juli 2022 Mitglied des Vorstands der Union Asset Management Holding AG. Als Chief Investment Officer verantwortet er das Portfoliomanagement für Wertpapiere. Davor war Engels sechs Monate lang Global Head of Fixed Income bei der DWS. Von 2012 bis 2021 war Engels bereits für Union Investment tätig, zunächst als Leiter des Anleihenfondsmanagements. 2014 wurde er in die Geschäftsführung der Union Investment Privatfonds GmbH berufen und übernahm Anfang 2017 zudem die Leitung des Bereichs Multi Asset. Ende 2017 wurde er Leiter Portfoliomanagement und Vorsitzender des Union Investment Committee.  

In den Jahren 2010 und 2011 arbeitete Engels als Global Head für die Asset-Allokations-Strategie und als Co-Head für den Bereich Research European Economics bei Barclays Capital. Als Head of Emerging Market Debt war Engels erstmals von 2008 bis 2010 im Portfoliomanagement von Union Investment tätig. Vorherige berufliche Stationen führten ihn ab 2004 als Investmentmanager und Head of Strategy zu Thames River Capital LLP. Von 1999 bis 2004 arbeitete er als Senior Ökonom bei der Europäischen Zentralbank und als Ökonom beim Internationalen Währungsfonds, nachdem er seine berufliche Laufbahn 1998 als Ökonom bei Swiss Re begonnen hatte. Engels studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz und promovierte an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar und der Georgetown University in Washington, D.C.   

Gründe sind die sich verlangsamende Wirtschaft, Bremseffekte durch die weltweit gestraffte Geldpolitik und die aufgrund stabilerer Lieferketten wieder gesunkenen Preise für Vor- und Zwischenprodukte. Auch bei den Energiepreisen ist mit einer Beruhigung zu rechnen. Im Ergebnis dürfte die Teuerung nach unseren Prognosen in den USA im kommenden Jahr noch um 4,1 Prozent zulegen, während sie im Euro-Raum und in Deutschland bei 6,4 Prozent liegen dürfte.  

Sinkende Inflationsraten, aber Liquiditätsverknappung

Den Notenbanken wird die sinkende Inflation die Arbeit erleichtern. Deren Schwerpunkt liegt aktuell ganz klar auf der Inflationsbekämpfung. Je weniger schnell aber die Preise weiter steigen, desto eher können die Zentralbanken ihren Straffungskurs verlangsamen oder gar anhalten. Wir werden von der Europäischen Zentralbank (EZB) 2022 nochmal einen Zinsschritt um 75 Basispunkte und im ersten Quartal 2023 Anhebungen um weitere 50 Basispunkte sehen – dann dürfte Schluss sein.  

Danach rückt der Abbau der Notenbankbilanz auf die Tagesordnung, mit dem die EZB 2023 beginnen dürfte. Wir rechnen daher insgesamt mit einer Liquiditätsverknappung durch die Zentralbanken im kommenden Jahr. Das gilt auch für die US-Notenbank Federal Reserve (Fed), die schon näher am Ende ihres Zinserhöhungszyklus steht.

Für die Fed-Sitzung im Dezember 2022 ist mit einer weiteren Anhebung um 50 Basispunkte zu rechnen. Im nächsten Jahr dürfte die Fed dann vielleicht nochmals nachlegen, aber viel wird sie nicht mehr an der Zinsschraube drehen.  

Anleihenmarkt bietet wieder Chancen  

Chancen sind vor allem bei ausgewählten Anleihen zu finden: Nach langer Durststrecke werden Obligationen wieder zunehmend attraktiv. Der Zinsmarkt hat die Entwicklungen bei den Schlüsselfaktoren Wachstum, Inflation und Geldpolitik bereits weitgehend verarbeitet.

Der Höhepunkt bei der Inflation und der Wendepunkt bei der Geldpolitik dürften bald erreicht sein, das Potenzial für weitere Renditeanstiege ist also begrenzt. Gleichzeitig befinden wir uns wieder auf Renditeniveaus, die für viele Investoren eine Anlage in sicheren Anleihen attraktiv machen – anders als in den vergangenen Jahren.  

Börsen-Tiefpunkt ist wohl erst im Jahr 2023 erreicht

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Besonders attraktiv dürfte im Verlauf des Börsenjahres ein selektives Exposure zu Unternehmensanleihen und strukturierten Anleihen sein, vor allem von relativ bonitätsstarken Emittenten (Investment Grade). Der Gegenwind über steigende Renditen bei sicheren Anleihen sollte nachlassen, gleichzeitig sind die Fundamentalrisiken bei qualitativ hochwertigen Schuldnern auch in einem rezessiven Umfeld begrenzt.

Hinzu kommt ein zyklisches Argument: Trübt sich das Umfeld ein, verlieren Unternehmensanleihen üblicherweise als eine der ersten Anlageklassen. Aber sie profitieren auch mit als erste, wenn es wieder aufwärts geht.        

Aktien vor leichter Erholung

Ratsam erscheint daher eine besonders sorgfältige Titelauswahl, insbesondere bei hochverzinslichen Papieren. Dort gibt es interessante Namen und attraktive Renditen, aber wenn die Konjunktur sich abschwächt, trifft es hier viele Unternehmen mit voller Wucht.

In den Schwellenländern teilt sich das Anlageuniversum durch steigende Rohstoffpreise auf der einen Seite und anziehende Zinsen in den Industrieländern auf der anderen Seite sehr scharf in Gewinner und Verlierer. Auch bei Anleihen aus der europäischen Peripherie ist eine genaue Unterscheidung notwendig. In Italien herrscht grosse politische Unsicherheit, sodass steigende Risikoaufschläge wahrscheinlich sind. Andere Länder haben dagegen ihre Hausaufgaben gemacht, sind politisch relativ stabil und dürften recht gut durch das weiterhin schwierige Kapitalmarktumfeld kommen.    

Nach dem schwachen Börsenjahr 2022 dürften die Aktienmärkte vor einer leichten Erholung stehen. Auch hier gilt, dass sich diese Erholung vermutlich erst in der zweiten Jahreshälfte zeigen wird. Die Rezession wird zwar dazu führen, dass die Unternehmensgewinne global um rund 10 Prozent schrumpfen. Aber gleichzeitig wird der Druck auf die Bewertungen deutlich nachlassen, da grössere Zinsanstiege nicht mehr zu erwarten sind.  

Wie bei Unternehmensanleihen empfiehlt sich auch bei Aktien, auf Selektion zu setzen und dabei die Trends der Vergangenheit auf den Prüfstand zu stellen. Über viele Jahre hinweg haben Wachstumswerte besser abgeschnitten als der breite Markt. Warum? Weil Wachstum knapp und die Zinsen historisch niedrig waren.

Das ändert sich gerade, und damit wird die Dominanz dieses Stils abnehmen. Substanz- oder Value-Werte werden strukturell attraktiver. Auch bei Aktien mit hohem Nachhaltigkeitsanteil, die 2022 starke Einbussen verzeichneten, zeichnet sich eine Trendumkehr ab. Zwar verschwinden nicht alle Belastungsfaktoren für ESG-Aktien im Jahr 2023 einfach. Aber es hilft, dass sich der Umbau hin zu nachhaltigeren Volkswirtschaften beschleunigt, und das nicht zuletzt in den USA.

Bei Aktien aus den Schwellenländern ist hingegen mehr Zurückhaltung angezeigt, insbesondere mit Verweis auf die grosse Bedeutung chinesischer Aktien. Denn: Rund 40 Prozent der Schwellenländer-Aktien stammen aus China.

Das ist nicht nur schwierig in Bezug auf die starke Konzentration, sondern auch mit Blick auf die zunehmende Politisierung der chinesischen Finanzmärkte. Diese Faktoren fallen umso mehr ins Gewicht, als wir mittelfristig von einer Verschärfung der Rivalität zwischen China und dem Westen ausgehen. Daher sind Schwellenländer-Aktien in Bezug auf die risikoadjustierte Renditeerwartung derzeit vergleichsweise wenig attraktiv, auch wenn die Bewertungen vergleichsweise günstig sind.  

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