Eine tintenblaue Bluse mit angedeuteten Rüschen für 58 Dollar, ein grellgelbes T-Shirt mit langen Ärmeln und Brusttasche für 24, ein hellgraues Herrenshirt mit dem aufgedruckten Logo des Musiksenders MTV für 28 Dollar – chic ist anders. Die Klamotten sehen alle so aus, als hätte jemand das Sortiment von H&M mit den Angeboten eines Ausstatters für Camping- und Wanderfreunde gekreuzt. Genau das ist die Erfolgsmasche der Ladenkette Urban Outfitters. Das Unternehmen trifft mit seiner schludrigen Linie den Geschmack amerikanischer Kunden verblüffend gut. Es setzt inzwischen mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr um, bei einer Nettomarge, die mit rund zehn Prozent in der Handelsbranche ihresgleichen sucht. Gerade eröffneten die ersten Filialen in Europa. Den Aktionären soll es recht sein: Sie verdienten mit Urban Outfitters seit 2001 rund 92 Prozent – und zwar Jahr für Jahr: Der Kurs der Aktie explodierte binnen fünf Jahren von weniger als einem auf zeitweise mehr als 30 Dollar. Damit war die US-Handelskette in diesem Zeitraum die erfolgreichste unter den 2000 grössten Aktien der Welt. Nach Problemen, das Wachstum im ersten Halbjahr 2006 durchzuhalten, ging der Kurs um die Hälfte zurück und ist laut Einschätzung der Analysten jetzt wieder attraktiv für einen Einstieg.

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Immer wieder schaffen es Aktien wie Urban Outfitters, den Rest der Börse abzuhängen – nicht nur für kurze Zeit, sondern über mehrere Jahre. Gibt es über alle Unterschiede in Branchen, Standorten und Firmenphilosophie hinweg Gemeinsamkeiten zwischen den besonders lukrativen Aktien? Was macht ein Unternehmen im Urteil der Börse zum Siegertyp? Das wollte die Boston Consulting Group (BCG) genau wissen. Die Experten analysierten die Zahlen aus den Bilanzen, überprüften die Bewertungen der Aktien und schrieben die Kennzahlen nach plausiblen Kriterien in die Zukunft fort (Siehe «Wie die Berater den Wert der Unternehmen ermitteln»). Das Unternehmensberater-Team zergliederte auf diese Weise den Börsenerfolg in dessen Bestandteile. Welche Aspekte honorieren Anleger besonders, welche sind ihnen weniger wichtig? Denn nicht in allen Branchen goutiert die Börse Erfolgsmeldungen auf gleiche Weise. Das Ergebnis dieser weltweit einmaligen Tiefenanalyse hilft Anlegern herauszufinden, welche Aktien an der Börse mit einem Misstrauensvorschuss bestraft werden und daher die Chance auf einen Nachholeffekt haben. Und es ermöglicht den Vergleich, welche Aktien aus welchen Branchen und Ländern die attraktivsten Chance-Risiko-Profile aufweisen.

Eine gute Nachricht vorab: Die Unternehmen haben die schwierigen Jahre nach dem Zusammenbruch der Interneteuphorie sinnvoll genutzt – die Sparwellen und Konzernumbauten kamen einer Fitnesskur ungekannten Ausmasses gleich: «Die Finanzkraft der grossen Unternehmen ist weltweit auf einem Höchststand», sagt Daniel Stelter, Studienleiter und Geschäftsführer von BCG in Deutschland.

Nie zuvor seien die Wachstumsaussichten besser gewesen für die Grossen quer durch alle Branchen. Kleinere Rivalen an die Wand drücken oder übernehmen, in neue Märkte vorstossen, den überschüssigen Cashflow den Anteilseignern auszahlen – viele Konzernchefs stehen vor Wahlalternativen, die allesamt den Aktionären den Mund wässrig machen. Eine gute Basis für weitere Börsengewinne. Wer sich mit den erfolgreichsten Aktien der Welt beschäftigt, lernt zwangsläufig neue Namen kennen. Obwohl die Berater in der Analyse ausschliesslich Unternehmen mit einem Marktwert (Börsenkapitalisierung plus Schulden) von mindestens einer Milliarde Dollar berücksichtigten, Kursausreisser aus obskuren Märkten mit wenig Aktienumsatz also gar nicht erst in die Bewertung rückten, finden sich die sattsam bekannten Konzerne nur selten in den Siegerlisten.

Sicher, Unternehmen wie Apple Computer, Lowe’s und Caterpillar aus den USA oder Puma und Continental aus Deutschland haben es ans Ziel geschafft; aber das Gros der Wertschöpfer stammt aus der zweiten Reihe und aus neuen Wirtschaftswunderländern. In der Schweiz sind es nur 14 Firmen, die mehr als eine Milliarde auf die Waage bringen und genauer analysiert wurden, sieben schafften es auf die Liste (siehe «Bodenständige Eidgenossen» auf Seite 177). Klar ist: Ganz grosse Sprünge waren in den vergangenen zehn Jahren mit den eher defensiven SMI-Schwergewichten nicht zu erwarten, in einigen Branchen wie Pharma, Handel, Technologie sowie Konsumgüter geben die USA noch immer den Ton an, anderseits wurde das klassische Autoland bei den Autopapieren punkto Performance längst von Koreanern, Indern und indonesischen Herstellern überholt.

Insgesamt fällt die langfristige Performance der US-Börse nicht gerade berauschend aus. Mit einem jährlichen Plus von 9,1 Prozent liegen die USA in der Länderrangliste sogar hinter Deutschland und der Schweiz (siehe nebenstehende Tabelle «Russland ganz oben»), klar an der Spitze liegt ausgerechnet die russische Börse, mit leichtem Vorsprung vor Brasilien. Während der Leitindex Dow Jones, aber auch der Schweizer SMI die alten Rekordstände aus dem Jahr 2000 in den vergangenen Wochen übertrumpften, liegt beispielsweise der deutsche DAX noch immer mehr als 20 Prozent hinter seinem Höchst zurück. Da bleibt die Hoffnung auf weitere Kursavancen bei unseren Nachbarn gross. Firmen wie BMW notieren 11 Prozent unter ihrem rechnerischen Wert, die Lufthansa 20, RWE 17, ThyssenKrupp 22, Volkswagen 17 – und das Sorgenkind der Aktionäre, die Deutsche Telekom, gar 28 Prozent unter dem theoretischen Wert.

Das erinnert daran, dass «ein Blick ausschliesslich auf den Bewertungsabschlag für die Aktienauswahl eines Anlegers nicht ausreicht», wie Berater Stelter betont. Denn die Rechnung mit dem Discount auf den Fundamentalwert geht nur dann auf, wenn das Unternehmen nicht schlappmacht und in Zukunft schlechtere Werte als der Branchendurchschnitt abliefert. Boston Consulting hat 14 Branchen untersucht, im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre lieferte der Technologiesektor den Anlegern die zweithöchsten Verluste. Noch schlechter fuhren die Investoren nur mit Aktien aus der Branche Medien und Unterhaltung (sechs Prozent jährlicher Verlust). Die höchsten Erträge brachten im Schnitt Rohstoff- (19 Prozent) und Logistikaktien (12 Prozent). Mit Auto, Bau und Chemie lagen immerhin neun Prozent drin, mit Energieversorgern acht.

Nun könnte man meinen, die Technikliebe der Aktionäre liesse sich mit ihrer Risikoneigung begründen. Tenor: «Mag sein, dass andere Branchen höhere Durchschnittsgewinne brachten, aber dafür waren mit Technologie die höchsten Spitzengewinne zu holen.» Doch selbst das stimmt nicht. Richtig ist zwar, dass der grösste Wertvernichter in der BCG-Studie mit 41 Prozent Verlust pro Jahr aus der Technikbranche kam – aber der Spitzen-Technologiewert Apple wurde von den Nummer-1-Vertretern aus gleich sieben anderen Branchen überflügelt. Das Chance-Risiko-Profil der Technologieaktien ist also für Anleger alles andere als optimal.

Ist damit die alte Streitfrage entschieden, ob Investoren bei der Auswahl ihrer Aktien lieber auf Wachstum oder auf Substanzstärke achten sollten (Value oder Growth, wie es an der Wall Street heisst)? Als die BCG-Berater die Ertragsquellen für die Aktionäre in ihre Bestandteile zergliederten, fanden sie heraus: 60 Prozent stammen aus dem Umsatzwachstum des Unternehmens. Die Höhe der Marge, die Dividende oder der Abbau der Schulden schlagen alle zusammen weniger ins Gewicht. Aber, und das ist ein zentrales Aber: «Bei diesen Wachstumsaktien sind im Kurs meist schon hohe Erwartungen berücksichtigt, die schwer zu schlagen sind. Besser ist es, in Aktien zu investieren, deren Bewertung noch nicht so viele Vorschusslorbeeren enthält», sagt Unternehmensberater Stelter.

Wobei auch moderat bewertete und substanzstarke Papiere unter die Räder geraten dürften, sobald die weltweite Konjunktur empfindlich abkühlt. «Ich sehe keine Gefahr einer Rezession in den USA 2007, wohl aber eine deutliche Verlangsamung des Wachstums», meint Torsten Slok, Konjunkturexperte der Deutschen Bank. Kritischer würde die Lage nur, wenn die Probleme am Immobilienmarkt grösser würden als derzeit vermutet.

Derzeit herrscht an den Börsen eine für Aussenstehende schwer zu verstehende Stimmung, in der schlechte Konjunkturdaten von den Märkten mit Kursgewinnen gefeiert werden.

Die seltsame Logik dahinter: Wenn es mit dem Wirtschaftswachstum nicht mehr so recht klappt, wird die amerikanische Zentralbank sich nicht trauen, die Zinsen weiter zu erhöhen. Und da hohe Zinsen der Börse schaden, sei das wichtiger als der negative Effekt einer schwachen Konjunktur auf die Unternehmensgewinne und damit auf die substanzielle Unterfütterung der Aktienkurse.

Zumal momentan das Sinken des Ölpreises der Wall Street und damit auch den anderen grossen Börsen hilft. Erstens, weil die Energiekosten dann nicht so schwer auf den Unternehmensgewinnen lasten. Zweitens, weil auch das der amerikanischen Zentralbank die Entscheidung erleichtert, die Leitzinsen nicht weiter anzuheben.

Gefahr für die Wall Street lässt sich auch aus der BCG-Analyse herauslesen. Die Berater rechneten neben den aktuellen Daten auch die Fundamentalwerte der Unternehmen bis 1926 zurück und verglichen sie mit den Börsenbewertungen. Dabei stellten sie fest: «Die Bewertung der Unternehmen nähert sich immer wieder dem Fundamentalwert an», so BCG-Berater Frank Plaschke. Allerdings kann diese Annäherung ganz schön lange dauern. In der längsten Phase blieb die Börse 16 Jahre bei einer rechnerischen Übertreibung: von 1958 bis 1973, ehe die erste Ölkrise die Feierlaune verdarb.

Seit 16 Jahren, beginnend 1991, hält inzwischen auch die derzeitige Phase an, in der die Börsianer den Unternehmen in jedem Jahr ein stärkeres Wachstum zutrauen, die Gesamtbewertung also über dem rechnerischen Fundamentalwert liegt. Dabei haben die US-Analysten ihre Gewinnprognosen für die nächsten vier Quartale bereits spürbar gesenkt. Statt mit 16,3 Prozent Gewinnwachstum wie noch im zweiten Quartal 2006 kalkulieren sie fürs Frühjahrsquartal 2007 nur noch mit 8,2 Prozent Zuwachs. Damit wird die Luft an der Wall Street dünner.