Herr Gehrig, ist es Ihnen etwa bei der Swiss Life bereits langweilig geworden?

Bruno Gehrig: Warum?

Weil Sie sich Anfang April in den Verwaltungsrat des Pharmakonzerns Roche haben wählen lassen. Das ist ein Amt, das sich nicht einfach so nebenbei bewältigen lässt.

Mein Mandat bei Swiss Life ist strikt nicht exekutiv. Das ist die Vereinbarung mit dem Verwaltungsrat, aber auch mit Swiss-Life-Konzernchef Rolf Dörig. Nun, da der Courant normal hier wieder einkehrt, wird mich das Präsidium noch zu etwa 60 Prozent auslasten. Dies war von Anfang an so geplant, und es war für mich klar, dass ich noch eine zusätzliche Aufgabe haben möchte, und zwar vorzugsweise ausserhalb der Finanzindustrie. Da hat mich Franz Humer angerufen und mir das Mandat bei Roche angeboten.

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Und Sie haben sofort zugegriffen?

Nein, ich habe mir das sehr gut überlegt und mit vielen Leuten gesprochen. Ich wollte nicht zu etwas Ja sagen, was mich dann überfordert.

Warum haben Sie, als Branchenfremder, das Roche-Mandat angenommen?

Ich hatte bisher zur Industrie tatsächlich keine Beziehungen, ausser dass ich hie und da selber eine Tablette schlucke. Franz Humer habe ich von Anlässen her gekannt. Es ist die Industrie an sich, die ich sehr interessant finde.

Und Sie beginnen wieder bei null. Haben Sie sich schon eingearbeitet?

Nein. Interessant erscheint mir, dass die Pharmaindustrie nur auf den ersten Blick etwas total anderes ist als die Versicherungsbranche. Es gibt aber einige Gemeinsamkeiten: Beide Branchen sind sehr stark abhängig von regulatorischen Bestimmungen. Und beide sind sehr langfristig ausgerichtet: Bei der Swiss Life laufen Verträge zehn, zwanzig Jahre oder sogar noch länger, und auch in der Pharmaindustrie liegt zwischen der Idee für ein Produkt und dem Verkauf eine kleine Ewigkeit. Ich habe angefangen, mich sukzessive in die Dossiers einzuarbeiten – nicht in die technischen, das erwartet zum Glück keiner von mir, sondern in Dossiers wie Corporate Governance.

Sie äussern sich noch sehr vorsichtig zu Roche, haben sich aber sehr klar gegen eine Fusion von Novartis und Roche ausgesprochen. Haben Sie diese Akte denn schon so genau studiert?

Ich habe mit verschiedenen Leuten gesprochen, viel gelesen und auch mit Finanzanalysten diskutiert. Ich kenne viele von ihnen noch aus meiner Börsenzeit. Ich sah bei der Abwägung von Vor- und Nachteilen, dass der eingeschlagene Kurs richtig ist und ich vorbehaltlos dahinterstehen kann. Wenn ich nicht dieser Auffassung wäre, hätte ich das Verwaltungsratsmandat nicht angenommen.

Zur Person
Bruno Gehrig


Der 57-jährige Bruno Gehrig, Verwaltungsratspräsident von Swiss Life und Roche-Verwaltungsrat, beschäftigt sich schon zeit seines Lebens mit Geld: Er hat zum Thema an der Universität Bern studiert, dissertiert und sich habilitiert. Als Dr. rer. pol. stieg er 1981 bei der SBG ein, wurde 1988 deren Börsenchef und leitete danach die SBG-Privatbank Cantrade. 1992 kehrte er als Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und als Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen in die Wissenschaft zurück. Bevor er 2003 Präsident der Swiss Life wurde, war er während sieben Jahren Mitglied des Direktoriums der Nationalbank, am Ende deren Vizepräsident. Gehrig hat drei Kinder und lebt in Winterthur.

Auffassungen ändern aber manchmal schnell.

Wenn neue Konstellationen kommen oder auch neue Überzeugungen, dann muss man situativ neu entscheiden.

Das haben Sie vor kurzem eindrücklich vorgeführt: Die Banca del Gottardo galt als Klotz am Bein der Swiss Life. Nun, nach gescheiterten Verkaufsverhandlungen, stellen Sie die Bank als Glücksfall dar und wollen sie behalten. Wie kam es zu diesem Umschwung?

Sie lernen über eine Geschäftseinheit nie mehr, als wenn Sie diese verkaufen wollen. Ich bin nicht unglücklich, dass es so gelaufen ist. Wir hätten verkaufen können, aber wir hätten dann Konzessionen gemacht, die unserer Ansicht nach nicht im Interesse der Bank und von Swiss Life gewesen wären.

Nun machen Sie halt aus der Not eine Tugend.

Es herrscht eben keine Not mehr. Es gab eine Situation, in welcher der Verkauf der Bank im breiteren Kontext eines soliden finanziellen Unternehmens gestanden hätte: Was man nicht braucht, wird verkauft, um das Kerngeschäft zu stärken. Heute ist unser Handlungsspielraum wieder grösser. Wir haben jetzt die Möglichkeit, aus der Bank mehr zu machen und sie innerhalb des Konzerns aufzuwerten.

Welche Rolle soll die Bank denn künftig spielen?

Der neu zusammengesetzte Verwaltungsrat der Bank wird sich der Beantwortung dieser Frage in Zusammenarbeit mit dem Management von Swiss Life annehmen. Aber es ist klar: Aus unserer Kernaufgabe heraus entspringt ein riesiger Strom von Bankdienstleistungen, die wir benötigen. Da gibt es genügend Möglichkeiten, wie wir eine Bank in unserer Gruppe schon mit eigenen Geschäften sinnvoll nutzen können.

Sie ändern demnach die Strategie Ihrer Vorgänger?

Nein, es ist keine Rede davon, dass wir zur Allfinanz-Idee zurückkehren. Wir sehen die Bank einfach als sinnvolle Ergänzung im Risikoprofil der Swiss-Life-Gruppe. Zudem rentiert die Bank: Wir erzielten 2003 eine Eigenkapitalrendite von zehn Prozent. Dies, obwohl die Situation für die Bank mit den Verkaufsverhandlungen und den zwei Steueramnestien in Italien in den letzten beiden Jahren alles andere als optimal war. 15 Prozent Rendite liegen sicher drin. Der neue Verwaltungsrat wird in nächster Zeit ein entsprechendes strategisches Konzept vorlegen.

Mit welcher Stossrichtung?

Darüber will ich derzeit nichts sagen.

Was halten die Angestellten der Banca del Gottardo davon?

Sie hatten natürlich von der unsicheren Situation die Nase voll. Sie standen zwei Jahre lang im Schaufenster und mussten neun Due-Diligence-Übungen über sich ergehen lassen. Ich war zweimal im Tessin. Am Anfang waren die Mitarbeiter skeptisch, ob wir den Entscheid, die Bank zu behalten, auch ernst meinten. Heute wissen alle: Die Bank wird aufgewertet, und wir werden sie in unsere Prozesse besser integrieren.

Sie verlagern die Bank zudem aus der Versicherung heraus unters Holdingdach. Wieso?

Die Holding wurde erst vor eineinhalb Jahren gegründet. Die Gruppe hatte vorher keine Holdingstruktur, da war einfach alles in der Versicherung drin. Jetzt können wir die Struktur der Gruppe bereinigen sowie das Versicherungs- und das Bankgeschäft trennen. Das stärkt beide Teile, erhöht die Transparenz, die Effizienz und macht uns strategisch flexibler. Die Holding hat aber nicht genügend freie Mittel, um die Bank der Versicherung abzukaufen. Daher machen wir eine Kapitalerhöhung.

Diesmal auffälligerweise nicht mehr mit der Credit Suisse First Boston, sondern mit UBS und Goldman Sachs. Die CS hat vor eineinhalb Jahren sehr viel riskiert, indem sie eine schwierige Kapitalerhöhung durchgezogen hat, als die Swiss Life tief in der Krise steckte. Jetzt wechseln Sie die Bank. Ist das nicht undankbar?

Der Grundsatz heisst Diversifikation. Es ist sinnvoll, dass wir mehrere Investment-Banken haben, die uns kennen. Goldman Sachs und UBS haben einen sehr guten Vorschlag gemacht. Und beide kennen Swiss Life bereits aus anderen Projekten.

Bei der CSFB war man sehr pikiert.

Sie hätten es natürlich gern gehabt, wenn wir diese Kapitalerhöhung mit ihnen gemacht hätten. Wir werden jedoch wieder einmal einen Deal machen, und dann ist das Rennen erneut offen.

Seit vergangenem Juni sind Sie Präsident der Swiss Life, und das Unternehmen ist wieder in den schwarzen Zahlen. Wie gross ist Ihr Anteil daran?

Die Strategie war bereits beschlossen, als ich kam, und die Weichen waren bereits gestellt. Meine Aufgabe bestand vor allem darin, das Management bei der Umsetzung zu unterstützen. Zweitens hatte ich dafür zu sorgen, dass ein neu zusammengestelltes Verwaltungsratsgremium operativ werden konnte.

Das hat Sie ein ganzes Jahr lang ausgefüllt und beschäftigt?

Ich bin ein Quereinsteiger und habe anfangs Zeit gebraucht, um mich in die Branche einzuarbeiten. Als vollamtlicher Präsident bin ich auch sehr darum bemüht, für die Leute verfügbar zu sein. Meine Türe ist immer offen, und dieses Angebot wird vom Management auch genutzt. Ich bin wie ein Coach.

Nicht nur fürs Management. Es heisst, Sie seien auch mit Aussendienstmitarbeitern regelmässig auf Tuchfühlung – für einen Verwaltungsratspräsidenten ist das eher ungewöhnlich. Warum tun Sie das?

Die Mitarbeiter im Aussendienst brauchen Unterstützung. In der jüngeren Geschichte des Unternehmens ist niemand so unter die Räder gekommen wie sie. Als Swiss Life in den Schlagzeilen war, konnten sich die Mitarbeiter hier am Hauptsitz in Deckung begeben, jene im Aussendienst mussten hinstehen und waren mit Fragen, Zweifeln und verärgerten Kommentaren konfrontiert …

… und auch mit der Tatsache, dass sie kaum mehr Geld verdienten.

Der Umsatzeinbruch kam dann noch zu allem anderen dazu. Um die Spitze etwas zu brechen, haben wir zeitweise das Fixum erhöht. Aber obwohl das Vergütungssystem per Anfang dieses Jahres angepasst wurde und heute die Kundenbeziehung stärker gewichtet wird, ist der Aussendienst nach wie vor stark umsatzabhängig, und in den letzten zwei Jahren hat sich sein Einkommen sehr unbefriedigend entwickelt. Nun sieht es so aus, als ob sich die Lage an der Front endlich entspannen könnte.

Nicht aber an der politischen Front.

Nein, dort stehen nach wie vor Dinge auf der Traktandenliste wie Gesetzesrevisionen, Verordnungen, Mindestzins- und Umwandlungssätze. Insofern ist die Politisierung immer noch viel höher, als man sich das im Courant normal wünschen würde.

Wer pflegt den Kontakt zu den relevanten Politikern?

Neben dem Versicherungsverband sind es bei uns in erster Linie die Mitglieder der Konzernleitung. Ich stehe selbstverständlich auch zur Verfügung, wenn man mich anfragt.

Wie lautet Ihre Strategie für die Zukunft von Swiss Life?

Nun, die Krise ist überwunden. Jetzt wollen wir wieder profitabel wachsen.

Das wollen alle. Aber wie lautet die Strategie?

Swiss Life ist in ihren Kernmärkten nach Prämien die Nummer fünf und das einzige wirklich international tätige Unternehmen, das sich auf den Vorsorgebereich spezialisiert. Wir wollen der Spezialist für die Vorsorge sein und konzentrieren uns auf klassische Versicherungsprodukte mit Risikoschutz. Die Nachfrage nach solchen Produkten wird weiter steigen, das sehen wir jetzt vor allem in Deutschland. Zudem verfügen wir in jedem Markt über spezifische Vorteile. In Deutschland sind wir der bevorzugte Partner der Makler. In Holland verfügen wir über die beste Marke und in Frankreich über einen sehr leistungsfähigen Vertrieb, der jetzt neu und straffer organisiert ist.

Über 40 Prozent der Prämien Ihres Kerngeschäfts Lebensversicherungen kommen dennoch aus der Schweiz. Ein Risiko?

Sicher sind wir daran interessiert, in anderen Märkten zu wachsen. Wir sehen gute Perspektiven in Deutschland, Frankreich und Holland – dort sind wir bereits auf Wachstumskurs. In der Schweiz ist die Wachstumsperspektive begrenzt, weil wir schon einen hohen Marktanteil haben. Aber wir haben in der Vergangenheit Marktanteile verloren und möchten sie wieder zurückgewinnen.

Wie soll die Struktur des Swiss-Life-Umsatzes am Ende aussehen?

Ich würde uns nie in ein solches Korsett zwängen. Wir bewegen uns so, wie es eben geht. In einer unsicheren Welt muss man flexibel sein und darf sich nicht selber einschränken. Ich bin sowieso skeptisch in Bezug auf die langfristigen Planungszahlen.

Und kein Freund von Visionen?

Kein Freund von Langfristplänen. Als ich in den Achtzigerjahren anfing, hiess das Gebot der Stunde, für Unternehmen möglichst detaillierte Langfristpläne zu machen. Keiner davon ist je in Erfüllung gegangen. Wichtig ist, die Marschrichtung zu kennen und eine Systematik zu haben, die es ermöglicht, jederzeit über die relevanten Zahlen zu verfügen und auch flexibel, situativ und pragmatisch handeln zu können. Wir haben den Grundsatz, dass wir lieber kein Wachstum wollen als unprofitables. Darüber herrscht hier im Haus absoluter Konsens.

Das sind wohl die Lehren aus der Geschichte …

Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Heute haben wir aber ein Konzept für das Asset-and-Liability-Management, das Fehlentwicklungen, wie wir sie in der Vergangenheit hatten, sehr unwahrscheinlich macht.

Wie lautet das Rezept?

Wir sind viel risikobewusster, viel vorsichtiger im Eingehen von langfristigen Verpflichtungen. Wir haben das Langlebigkeitsrisiko, da sollten wir nicht zusätzlich noch gewaltige Marktrisiken tragen.

Wie stellen Sie als Präsident der Swiss Life und als Independent Lead Director von Roche die Kontrolle sicher?

Corporate Governance heisst nicht einfach Kontrolle. Ich verstehe darunter die Optimierung von zwei Beziehungsdrei-ecken, einem inneren und einem äusseren. Das innere besteht aus Konzernleitung, Verwaltungsrat und Revision. Ins äussere gehören das Unternehmen als Ganzes, der Kapitalmarkt und der Rest der Welt. Für beide Dreiecke braucht es Spielregeln, die festlegen, wie entschieden und wie miteinander umgegangen wird.

Was ist der Schlüssel zu einer guten Corporate Governance?

Dass sich das Verwaltungsratsgremium darüber im Klaren ist, als was es sich versteht, welche Rolle es im Unternehmen einnehmen will und ehrlicherweise auch einnehmen kann.

Was meinen Sie konkret?

Man könnte sagen, alles gehe den Verwaltungsrat etwas an. Dann teilt man dem Gremium allerdings eine Rolle zu, die es faktisch nicht erfüllen kann. Denn die Informationsasymmetrie zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ist immer da. Die Frage lautet daher: In welchen Gebieten kann ich den Verwaltungsrat effizient einsetzen, dass er eine relevante Rolle spielen kann?

Die Frage steht. Jetzt würde uns auch die Antwort interessieren.

Das heisst vor allem, dass man den Verwaltungsrat thematisch fokussieren muss. Abgesehen von den nicht delegierbaren Aufgaben – die sind im Gesetz, da gibt es nichts zu diskutieren – gilt bei Swiss Life, dass alles, was unter den Aspekt Risiko gehört, ein Thema für den Verwaltungsrat ist. Also beispielsweise auch die Risiken von IT-Strukturen.

Und die Festlegung der Managerlöhne: Was sagt deren Höhe über die Corporate Governance eines Unternehmens aus?

Sie meinen, man könnte hohe Gehälter als Indikator nehmen für ungenügende Corporate Goverance?

Ja.

Das glaube ich nicht. Managerlöhne müssen in einem glaubhaften und offen gelegten Bezug zur unternehmerischen Leistung stehen. Das finde ich wichtig. Aber a priori sagen, 20 Millionen seien zu viel, nein, das würde ich nie.

Wie viel verdienen Sie?

450 000 Franken. Ein wenig mehr, als ich bei der Nationalbank verdient habe.

Jemand anders hätte für das Präsidium bei der angeschlagenen Swiss Life sicher mehr herausgeholt.

Andere sind für mich nicht das Mass der Dinge. Ich bin zufrieden mit dem, was ich bekomme. Für mich ist die Hauptsache, dass Job und Aufgabe stimmen – und die menschliche Umgebung.

Sie haben sich Ihr Leben lang mit Geld beschäftigt, und doch interessiert es Sie persönlich nicht?

Geld war für mich immer in erster Linie von wissenschaftlichem Interesse. Ich habe in Geldtheorie meine Dissertation geschrieben, ich habe in Geldpolitik die Habilitation gemacht, und die Mehrzahl meiner Publikationen haben mit Geld zu tun.

Was fasziniert Sie am Geld?

Geld ist vergleichbar mit dem Rad: eine geniale Erfindung. Es fasziniert mich, dass sich die Menschen darauf haben einigen können, ein Stück Papier als 100 reale Franken anzuschauen und auch zu brauchen. Das Leben ist dadurch viel einfacher geworden – und die Arbeitsteilung erst möglich. Diese Seite des Geldes hat mich immer interessiert. Aber im Übrigen habe ich ein unerotisches Verhältnis zu Geld. Es ist nicht so, dass ich mit Banknoten in der Hand ein bisschen high werde.

Was machen Sie mit Ihrem Geld?

Alles, was ich spare, stecke ich in Anlagefonds.

Warum?

Ich war mal Börsenchef und habe auch spekuliert. Damals war ich nahe am Markt und kam jeden Morgen zur Arbeit mit der Frage: «Was machen wir heute?» Das habe ich bald abgelegt. Als ich dann in die Bankenkommission kam, habe ich mit Börsengeschäften ganz aufgehört. Ich vermisse sie nicht.

Sie waren Vizepräsident der Nationalbank. Nun sind Sie in der Privatwirtschaft tätig. Hat sich Ihr Blick auf die Notenbank verändert?

Die Nationalbank ist ein Monopolbetrieb und kann sich auch als solcher gebärden. Bei Swiss Life ist die Kundschaft zentral, alles dreht sich um sie. Dies stellt ganz andere Anforderungen.

Haben Sie Erwartungen ins Verhalten der Nationalbank?

Für mich ist wichtig, dass es keine Deflation gibt. Das wäre das Schlimmste, was einer Versicherung passieren könnte. Deflation killt das Lebensversicherungsgeschäft, es wäre verheerend. Unter dem Aspekt der Systemstabilität sind die Zusammenhänge zwischen der Nationalbank und den Versicherungen aber nicht so eng wie zwischen der Nationalbank und den Banken. Wenn eine Bank das Vertrauen des Marktes verliert, kann sie nicht mehr refinanzieren und ist in null Komma nichts illiquid. Wir haben mal ausgerechnet: In einer Krise ist bei einer Bank innerhalb von zwei Wochen mehr als die halbe Passivseite weg. Uns hingegen rennt die Passivseite nicht davon. Deshalb ist für einen Versicherer die Funktion der Nationalbank als «lender of last resort» nicht wichtig.

Das Schweizer Bankgeheimnis steht unter Beschuss der EU und hat in seiner heutigen Form sogar in unserer eigenen Finanzbranche nicht mehr nur Befürworter. Welches ist Ihre Einstellung?

Ich betrachte das Bankgeheimnis primär unter kommerziellen Gesichtspunkten. Es ist wichtig für einen Teil der Wertschöpfung dieser Volkswirtschaft. Daher würde ich es nicht mittels irgendwelcher moralisierender Schnellschüsse opfern.

Die Swiss Life heisst nicht mehr Rentenanstalt, sondern nur noch Swiss Life und hat auch ein neues Logo. Stecken Sie dahinter?

Ich stehe dahinter, aber meine Idee war es nicht. Marketing, Image, Markenauftritt und all das – da habe ich ein Defizit. Aber mir gefällt, was herausgekommen ist. Mit einem räsonablen Budget, notabene.

Neu wird Swiss Life die Schweizer Fussballnationalmannschaft sponsern. Rolf Dörig ist immer noch auf Geldsuche für die Grasshoppers.

Ein Sponsoring der Grasshoppers kam für uns nicht in Frage. Aber als sich die Möglichkeit fürs Sponsoring der Nationalmannschaft ergab, haben wir zugeschlagen. Man darf nicht vergessen: Wir haben in der Schweiz eine sehr breite Kundschaft. Da müssen Sie nicht Golf sponsern. Das Engagement beim Fussballnationalteam war übrigens ein Entscheid der Konzernleitung, nicht des Verwaltungsrates – obschon mich Fussball sehr interessiert.

Rolf Dörig auch. Beide gelten Sie auch als sehr bescheiden im Auftritt. Was haben Sie sonst noch gemeinsam?

Wir kommen beide aus der Bankenwelt und kennen uns auch von dort. Und wir haben beide ein Sensorium für politische Prozesse, auch eine gewisse Freude daran und ein gewisses Engagement für die Öffentlichkeit. Das lassen wir uns beide auch zeitlich etwas kosten. Das verbindet uns.

Sie sind Mitglied der CVP. Fühlen Sie sich gut repräsentiert?

Ich fühle mich politisch als Mittelfeldfigur. Ich bin gegenüber den politischen Extremen schon immer skeptisch gewesen. Polarisierung, wie wir sie nun im neuen Nationalrat haben, finde ich hinderlich, weil sie vieles blockiert und die Entscheidungsfähigkeit dieses Landes geringer macht. Beispiel Steuerpaket: Damit man den Familien steuerlich entgegenkommen kann, muss man den Hauseigentümern ein Riesengeschenk machen. Kombipakete führen zu Kombientscheiden, und das finde ich schlecht. Gute Lösungen liegen immer in der Mitte. Dort ist es allerdings unspektakulär. Die Mitte ist nicht «Arena»-fähig, das weiss ich schon. Insofern haben wir ein Dilemma. Aber ich glaube, die Lösung liegt in der Mitte.

Aber eben: Fühlen Sie sich gut repräsentiert von der CVP?

Nicht von allen Gruppen, die zu dieser Partei gehören, aber eben von einer mittleren politischen Orientierung, die bereit ist, konsensfähige Lösungen ernsthaft zu erarbeiten und die nicht mit Schlagworten und Killervoten am Anfang schon alles flach macht.

Möchten Sie später politisch stärker aktiv werden?

Nein, das ist nicht in meinem Lebensentwurf.

Sondern?

Ich bin nicht mehr der Jüngste. Ich habe ja nur noch Mandate, ich bin nicht mehr Arbeitnehmer. Ich kann einfach irgendwann aufhören, wenn ich nicht mehr will. Im Moment bin ich sehr zufrieden, und ich hoffe, die beiden Mandate bleiben reichhaltig.

Sie kommen mit der S-Bahn zur Arbeit und nicht mit dem Chauffeur.

Die S-Bahn ist schneller als das Auto.

Und das ist der Grund, warum Sie im Zug pendeln?

Mir sagt das andere nicht zu. Ich habe wenig Sinn für Wohlstandssymbolik. «Ich habs geschafft»-Zeichen sind mir nicht wichtig, sie interessieren mich nicht. Ich versuche überall zu enthierarchisieren. Die Vertikalität ist kontraproduktiv, kostspielig und ineffizient.

Aber ein Auto haben Sie?

Ja, einen Audi 100 Turbo, 1990, ohne Rost.

Ihre Art kommt an: Sie gelten als neues Ideal in der Wirtschaftswelt.

Ich bin vielleicht ein bisschen Kontrafigur zu gewissen Typen, die man eine Zeit lang hochgejubelt hat. Aber ich habe mich nie zur Kontrafigur gemacht. Ich bin so. Sicher haben mich die vielen Jahre im universitären Milieu geprägt. Da verdienen Sie gar nicht genug, um so gewaltig dreinzuschlagen. Zudem komme ich selbst aus einfachen Verhältnissen und habe mich immer wohl gefühlt, sodass ich nie nach etwas anderem gestrebt habe.

Und Ihre Frau und Ihre drei Kinder?

Die sind auch zufrieden. Wir wohnen seit je am gleichen Ort. Die ältere Tochter studiert Sozialpädagogik an der Uni Zürich, die jüngere ist an der Hochschule für Sozialarbeit in Bern, und der Sohn als Jüngster steht vor der Matura. Das ist wahrscheinlich auch ein Reflex einer gewissen Familienkultur, die jetzt prädominant geworden ist. Ich habe nie etwas dagegen gehabt, habe es aber auch nie bewusst gefördert. Im Leben handle ich viel weniger bewusst, als es die Leute glauben. Ich bin, wie ich bin, und dann kommt es so, wie es kommen muss.

Wie pflegen Sie Kontakte zu andern Verwaltungsräten und CEOs?

Ich habe das Modell, dass ich praktisch jeden Mittag einen berufsbezogenen Lunch abhalte. Ich war ja in verschiedenen Milieus tätig: in der alten SBG, an der Börse, an der Universität Bern, in der Bankenkommission, in der Nationalbank, an der HSG. Und jetzt bin ich hier.

Sind Sie mit der Wissenschaft noch verbunden?

Schon, aber ich merke, dass ich abgehängt werde. Mir geht der quantitative Schnauf aus.

Tut das weh?

Ich war nie ein begabter Forscher. Mein Talent war eher das Umsetzen und Anwenden. Wenn ich sehe, wie andere mit Virtuosität analytisch spielen, einen Artikel designen, da bin ich im besten Fall ein Durchschnittshandwerker gewesen. Drum tut es mir nicht so weh.

Was können Sie überdurchschnittlich?

Leute davon überzeugen, dass man etwas so und nicht anders machen sollte. Und kommunizieren: Ich habe schon von den Studenten immer gute Noten bekommen.

Haben Sie ein Leitmotiv?

Die Sache ist wichtiger als die Person. Die Lust an der Sache muss mich treiben. Dann kann ich auch die Leistung bringen. Und ich bin überzeugt, dass jeder Mensch etwas besser kann als ich.