BILANZ: Gibt es derzeit Finanzgeschichten, die heisser sind als Sex?

Burton Malkiel: Wie?

In einem Ihrer Bücher schrieben Sie, dass es ein Zeichen für überbewertete Märkte sei, dass sie Geschichten erzählten, die heisser seien als Sex.

Wenn ich einen überbewerteten Markt bestimmen müsste, dann am ehesten den der Schweizer Staatsanleihen, die auf lange Sicht negative Renditen abwerfen werden, ebenso wie deutsche oder dänische Staatsanleihen.

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Sicherer als viele andere Staatsanleihen sind sie ja wahrscheinlich.

Möglicherweise sind sie ein guter Kauf, wenn man Händler ist. Denn auch wenn die Zinsen auf Tiefständen sind, können sie natürlich noch weiter fallen. Für langfristig orientierte Investoren sind Schweizer Staatsanleihen allerdings ein sicheres Verlustgeschäft.

Auch weil die Zinsen wieder steigen werden?

Gegenwärtig haben wir ein Deflationsproblem in der Schweiz und in der Welt. Wir dürften allerdings Inflationsprobleme bekommen, weil die Zentralbanken wohl noch viel mehr Geld in die Wirtschaft pumpen werden, insbesondere in Europa. Das Hauptproblem ist, die langfristige Verschuldung in den Griff zu kriegen. Ich weiss nicht, wie es zum Beispiel in einer Volkswirtschaft wie Spanien weitergehen soll, wenn jeder Vierte ohne Arbeit ist.

Obligationen würden Sie also nicht kaufen. Wie steht es mit Aktien?

Aktien sind derzeit eher günstig, sehr günstig im Vergleich mit Obligationen und erst recht im Vergleich mit Cash.

Die Shiller Price/Earnings Ratio sagt etwas anderes aus. Dabei werden die durchschnittlichen Gewinne der Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren ins Verhältnis zu den Aktienkursen gesetzt.

Die vergangenen zehn Jahre sind keine gute Referenzgrösse, denn die Gewinne der US-Firmen in dieser Zeit waren im Vergleich zur langjährigen Entwicklung aufgrund von mehreren Krisen zu tief.

Es sieht nicht so aus, als ob es in Zukunft weniger Krisen geben würde.

Trotzdem: Verglichen mit den langjährigen durchschnittlichen Unternehmensgewinnen, sind Aktien gegenwärtig eher günstig.

In Ihrem berühmten Buch «A Random Walk Down Wall Street» schreiben Sie, dass es praktisch unmöglich sei, Kurse vorherzusagen. Wie können Sie dann wissen, dass Aktien eher günstig und Obligationen eher teuer seien?

Es geht bei diesen Aussagen nicht darum zu beurteilen, welche Aktien günstig sind, sondern darum, die Verteilung eines Portfolios auf Obligationen und Aktien zu bestimmen. Und zurzeit sind Aktien attraktiver als Obligationen.

Und diese Verteilung können Sie definieren?

Wissen, und zwar mit hundertprozentiger Sicherheit, kann ich nur eines: Je weniger Gebühren ich als Anleger bezahle, desto mehr bleibt am Schluss für mich.

Deshalb sollen Anleger Indexfonds oder ETF kaufen.

Ja, so mache ich das auch für meinen Enkel.

Was für ein Portfolio haben Sie ihm zusammengestellt?

Ein ETF von Vanguard mit dem Börsenkürzel VT, der den Weltaktienindex abbildet, den FTSE Global All Cap Index.

Ein wahrlich einfaches Portfolio. Aber Sie sind doch ziemlich überzeugt von Schwellenländer-Aktien, insbesondere aus China. Das würde doch dafür sprechen, dem Enkel zumindest noch einen Schwellenländer-Fonds ins Depot zu legen?

Den hat er auch. Der Grund ist einfach: Chinas Wirtschaftskraft macht neun Prozent der gesamten Weltwirtschaft aus. Im Weltaktienindex ist China aber nur mit zwei Prozent Gewicht vertreten.

Weil in viele chinesische Firmen gar nicht investiert werden kann, da sie zu grossen Teilen dem Staat gehören. Deshalb entspricht das Gewicht von China an der Börse nicht der Wirtschaftskraft des Riesenreichs.

Ja, deshalb braucht es noch einen Extra-Baustein, der das Gewicht von China erhöht. Ich würde sogar die Schwellenländer-Aktien insgesamt übergewichten. Sie erscheinen eher günstig: Vor der Finanzkrise notierten Papiere aus Emerging Markets im Vergleich zu Aktien der entwickelten Länder mit einer Prämie von 10 bis 15 Prozent, heute mit einem Abschlag von 10 bis 15 Prozent.

Sie haben Ihrem Enkel also noch einen Indexfonds für Schwellenländer gekauft.

Klar, einen Indexfonds.

Ihr Buch ist erstmals 1973 erschienen. Darin schreiben Sie relativ direkt, dass aktive Fondsverwaltung kaum die höheren Gebühren wert sein könne. Sind Sie enttäuscht, dass immer noch so viele Anleger aktiv verwaltete Fonds kaufen?

Im Gegenteil, ich bin sehr zufrieden mit dem Erfolg des Buches: Jeder dritte Dollar in den USA wird heute indexiert – also passiv – angelegt. Der Anteil dürfte noch steigen. Auch in Europa wird in Zukunft immer mehr passiv investiert, weil immer mehr Transparenz gefordert wird über die Gebühren, die verrechnet werden. Für eine Theorie, die den Anfang in der akademischen Welt hatte, ist das ein aussergewöhnlicher Erfolg. Ich bin fast überwältigt davon.

Überwältigt davon, dass bisher nur jeder Dritte Ihrem Ratschlag folgt?

Das ist ein Erfolg, wenn man bedenkt, wie diametral mein Buch gegen alles in der Finanzindustrie gerichtet ist, gegen die ganze Marketingkraft der Finanzindustrie.

Sie übertreiben.

Gar nicht. Bei der Ersterscheinung im Jahr 1973 wurde das Buch von einem Anlagefachmann im Magazin «Businessweek» besprochen. Es war die schlimmste Beurteilung, die ich jemals in meinem Leben bekommen habe. Er schrieb, das Buch sei der grösste Müll der Welt.

Harte Worte.

Aber nicht verwunderlich. Der Weg, um in der Finanzindustrie mehr Geld zu verdienen, geht über höhere Gebühren. Es gibt Verkäufer, die mit Kunden essen und Wein trinken gehen, damit sie hohe Gebühren verlangen können.

Die Kunden lassen sich doch nicht so einfach mit Essen und Wein über den Tisch ziehen.

Die Verkäufer in der Finanzindustrie bekommen sehr viel Geld dafür, um Kunden davon zu überzeugen, dass sie besser seien als der Durchschnitt, dass sie Informationen hätten, die andere nicht besitzen. Meist wissen die Verkäufer selber, dass das nicht stimmt.

Sie sagen also, Verkäufer von Finanzprodukten seien überzeugende Lügner?

Die Finanzleute sind auf jeden Fall die am meisten überbezahlte Berufsgruppe. Vielleicht glauben sie selber, dass sie besser seien als der Durchschnitt. Die meisten Autofahrer denken auch, dass sie überdurchschnittlich gut Auto fahren. Obwohl es statistisch nicht möglich ist, dass die Mehrheit besser ist als der Durchschnitt.

Das gilt auch für Finanzanalysten. In einer späteren Ausgabe Ihres Buches haben Sie diese als «Cheerleader der Internetbubble» bezeichnet.

Es sollte viel weniger Analysten geben, ganz werden wir sie aber nie los. Es gibt da ein Paradox: Wenn ein Markt effizient sein soll, dann braucht es einige Leute, welche ihn analysieren, welche die Informationen verarbeiten, damit diese in den Preisen der Finanzinstrumente reflektiert werden.

Eben: Es braucht doch Analysten.

Wir brauchen nicht annähernd so viele, wie wir haben. Ein winziger Teil davon würde genügen.

Was ist mit Hedge-Fund-Managern?

Oh, die machen fabelhafte Präsentationen (lacht).

Es gibt auch einige, die über Jahre hinweg hohe Renditen erreicht haben.

Hohe Renditen sind nicht ausgeschlossen, auch nicht über mehrere Jahre. Ob das jedoch etwas mit Können zu tun hat, ist eine andere Frage. Wenn ich eine Münze werfe, dann ist eventuell auch fünfmal nacheinander die Kopfseite oben. Deswegen bin ich noch lange kein Experte oder habe spezielle Fähigkeiten im Münzwurf. Es ist einfach nur Zufall.

Aber ist nicht Warren Buffett mit seiner Anlageperformance über Jahrzehnte der lebende Beweis, dass es Menschen mit speziellen Anlagefähigkeiten gibt?

Zuerst Folgendes: Buffett selber empfiehlt Anlegern, Indexfonds zu kaufen.

Und seine Performance? Alles Zufall?

Wahrscheinlich nicht. Warren Buffett kauft aber auch nicht einfach unterbewertete Aktien. Das ist es nicht, womit er solch hohe Renditen erwirtschaftet hat. Buffett übernimmt Firmen, die er als herausragender Unternehmer kontrolliert, neu ausrichtet und auf den Erfolgspfad führt. Es sagt niemand, dass es nicht Unternehmerpersönlichkeiten gebe, die besser sind als andere.

Was ist mit George Soros, der sich auch schon als prominenter Gegner Ihrer Theorien geäussert hat?

Er kann keinen konsistenten Erfolgsausweis vorweisen. Er hat mit einer wunderbaren Wette gegen das britische Pfund ein gewaltiges Vermögen verdient.

Sie waren in den siebziger Jahren Berater von US-Präsidenten. Bald sind Wahlen in den USA. Barack Obama hat wohl schlechte Karten, wiedergewählt zu werden – bei den hohen Arbeitslosigkeitsraten des Landes.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Präsident bei einer Arbeitslosenrate von über acht Prozent wiedergewählt wird. Aber das wird wahrscheinlich passieren.

Wieso?

Die Kampagne der Demokraten wird so laufen, dass sie den Republikanern und deren Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney vorwerfen werden, nur für ihre reichen Freunde zu politisieren. Ich denke, das wird funktionieren.

So einfach ist das?

Comedy-Sendungen im Fernsehen in den USA lassen immer interessante Schlussfolgerungen darüber zu, wie es um einen Politiker steht. Mitt Romney kommt dort nicht als Mensch mit Gefühlen vor, sondern als harter Sanierer, also eher als Bösewicht.

Evangelist der Indexfonds
Weil Burton Malkiel (79) schon über Indexfonds schrieb, als es diese noch gar nicht gab, bezeichnet er sich selber als Evangelisten der Indexfonds. In seinem berühmten Buch «A Random Walk Down Wall Street» zeigt er auf, dass einzelne Kursbewegungen auf Finanzmärkten kaum prognostizierbar sind. Malkiel war Dekan der Yale School of Management und ökonomischer Berater von US-Präsidenten. Heute lehrt er unter anderem in Princeton und sitzt im VR der in Irland domizilierten Fonds des US-Vermögensverwalters Vanguard.