Plötzlich stand er als Weichling da. Als die Finma kurz vor Weihnachten ihr Verfahren gegen den einstigen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz einstellte, galt der sonst so gefürchtete Chefaufseher Mark Branson auf einmal als kraftlos. Erst ging er unter grosser Fanfare auf den Star-Banker los, dann, so schien es zumindest, liess er ihn abrupt vom Haken. Harte Kante geht anders.

Doch der Angriff war nur aufgeschoben – am 14. Juni schlug Finma-Chef Branson umso heftiger zu. «Raiffeisen mit schwerwiegenden Mängeln bei der Corporate Governance», lautete der Titel der wohl schärfsten Medienmitteilung der Finma-Geschichte: Kollektives Versagen des Verwaltungsrates, weitreichende Kontrollmängel, heftigste Grenzüberschreitungen des allmächtigen Vincenz.

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Und auch bei der Frage, wer denn überhaupt das Strafverfahren gegen den Bankgranden ins Rollen gebracht hat, schafft Branson Klarheit. Im Dezember, als die Finma das Enforcement-Verfahren gegen Vincenz einstellte, wusste Branson längst, dass die Strafbehörden ermittelten – schliesslich hatte er sie selbst mit seinen Erkenntnissen beliefert. «Wir haben die Strafbehörden frühzeitig über den Fall Vincenz informiert», betont Branson gegenüber BILANZ. «Das ist unsere Pflicht.»

Thomas Bauer

Thomas Bauer: Der Finma-VR-Präsident hält den Kontakt zu den Politikern - und diese heizen ihn besonders ein.

Quelle: Marco Zanoni/Lunax

Nur offen kommunizieren konnte er dieses Vorgehen nicht, denn das Strafverfahren war noch nicht offiziell eröffnet. Dass der Zahlungsanbieter Aduno eine eigene Strafanzeige erstattete, war da kaum mehr als Begleitmusik. Die entscheidenden Hinweise für die Staatsanwaltschaft kamen von der Finma. Auch Pierin Vincenz, der sich nach Eröffnung des Verfahrens noch über fehlende Akteneinsicht beklagt und sich zuvor so manches Scharmützel mit den Aufsehern gegönnt hatte, musste schmerzhaft erfahren: Don’t mess with Mark.

Doppelte Gefahr

Die Demonstration der Stärke kann der Finma-Lenker brauchen. Sein markiger Auftritt fällt in eine Zeit, in der die Finma unter Beschuss steht wie nie zuvor in ihrer elfjährigen Geschichte. Ein Jahrzehnt nach dem Lehman-Crash werden die Sicherungen auf den grossen Finanzplätzen gelockert, vielerorts gelten Regulierer wieder als übervorsichtige Bremser, die der Wettbewerbsfähigkeit schaden.

In den Vereinigten Staaten hat der republikanische Präsident eine weitreichende Deregulierung auf allen Ebenen losgetreten, von der die Abwrackung des Banken-Regulierungs-Monstrums Dodd-Frank Act nur der sichtbarste Teil ist. Auch im Brexit-geschwächten London, noch immer der wichtigste Finanzplatz Europas, stehen die Zeichen auf Lockerung, nur schon um die aufstrebenden Rivalen Paris und Frankfurt auf Abstand zu halten.

In der Schweiz ist die Debatte sogar doppelt heiss: Nicht nur empfinden viele Banken die Finma als penibel und regulierungswütig. «Sie hat zu wenig Verständnis für die Akteure und erlässt übermässig viele Regulierungen», betont SVP-Fraktionsschef Thomas Aeschi. «Damit schwächt sie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Banken – auch international.» Ähnlich klingt es bei Urs Müller, dem Präsidenten des Verbands Schweizerischer Kantonalbanken: «Die Finma geht regulatorisch deutlich über ihr Mandat hinaus», betonte er kürzlich an einer Veranstaltung.

Was für die Berner Superbehörde aber noch bedrohlicher ist: Die Politik will ihre Macht massiv beschneiden. In der Frühjahrssession verabschiedete der Nationalrat mit 126 zu 52 Stimmen eine Motion, die der Finma ihre Regulierungskompetenz entziehen und sie zu einer reinen Aufsichtsbehörde zurückbinden will.

Aufmüpfige Justiz

Die Phalanx ist eindrücklich. Bis auf Gross- und Auslandsbanken steht praktisch der gesamte Finanzplatz hinter dieser Kritik: Regionalbanken, Kantonalbanken, Privatbanken. So heftig haben die Überwachten noch nie gegen ihre Kontrolleure aufbegehrt. Ebenfalls an vorderster Front dabei: Der Schweizerische Gewerbeverband unter dem angriffigen Direktor Hans-Ulrich Bigler, sekundiert von seinem Präsidenten, SVP-Nationalrat Jean-François Rime. Dass der Mann mit dem Gespür für populistische Themen hier eingestiegen ist, ist ein klares Signal: Mit Finma-Bashing lässt sich punkten.

Und selbst die Justiz gibt sich plötzlich aufmüpfig. Vor vier Jahren belegte die Finma Gregor Bienz, den damaligen CEO der Bank Frey, als einen der ersten Banker mit einem Berufsverbot – die Kontrolleure wollten neu auch die Verantwortlichen persönlich zur Rechenschaft ziehen. Bienz hatte trotz des drastischen Vorgehens der Amerikaner weiter Schwarzgeld von US-Bürgern angenommen.

Bigler Müller Aeschi

Die Gegner: Vereint gegen die Berner Superbehörde: Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler, Kantonalbanken-Präsident Urs Müller und SVP-Fraktionsvorsitzender Thomas Aeschi (v.l.n.r.).

Quelle: Bilanz

Doch er akzeptierte das Berufsverbot nicht und klagte. Zwei Mal wiesen ihn die Richter ab – bis der Wind drehte: Im April gab ihm das Bundesverwaltungsgericht auf ganzer Linie recht und verdonnerte die Finma zu einer Gebühren-Rückzahlung von 30 000 Franken. Bis dahin hatte die Finma bei fast allen Rekursen zum Berufsverbot recht bekommen. Der erste prominente Fall, Ex-Bank-Coop-Chef Andreas Waespi, hatte das dreijährige Berufsverbot wegen Aktienmanipulationen sogar akzeptiert.

Dazu kommen Organisationsmängel. Die Aufsichtsbehörde habe «eine Organisation auf die Beine gestellt, die in keiner Weise die verfassungs- und gesetzesmässige Garantie des Rechts auf ein gerechtes Verfahren respektiert», befand das Bundesverwaltungsgericht im vergangenen November. Beanstandet wurde, dass Mark Branson den Enforcement-Ausschuss selbst leitet und dabei beim Konkurs des kleinen Waadtländer Lebensversicherers Zenith Vie erst die Strafe verhängte und dann die Haftungsklage persönlich abwies.

Die Raiffeisen wurde also wegen Corporate-Governance-Verstössen heftigst verurteilt – auf Druck einer Aufsichtsbehörde, deren Corporate Governance höchstrichterlich als mangelhaft taxiert wurde. Kleinlaut passte die Finma daraufhin ihre Struktur an: Derartige Revisionsverfahren werden seitdem von einem eigenen VR-Ausschuss behandelt.

«Die Regulierer stehen derzeit international wieder stärker im Gegenwind», räumt dann auch Finma-Präsident Thomas Bauer ein. Die Stimme ist ruhig, die Wortwahl betont sachlich – die Kritik, die sich in den letzten Monaten so verschärft hat, bringt den langjährigen Richter am Kantonsgericht Baselland nicht aus der Fassung. Im Vergleich mit seiner Vorgängerin, der eher blassen Genfer Anwältin Anne Héritier Lachat, nimmt Bauer die Rolle des Präsidenten aktiver wahr.

Kritik aus der SVP

Bei den Parlamentariern, aber auch bei Medienanfragen übernimmt er immer öfter die Rolle des Finma-Vormanns – auch um der Kritik am angeblich allmächtigen Behördenchef Branson entgegenzutreten. Doch das gelingt nur bedingt. Denn obwohl Bauer SVP-Mitglied ist, ertönt gerade aus seiner Stammpartei die heftigste Kritik. «Die Verwaltungsräte sind Branson fachlich so stark unterlegen, dass sie ihn nicht kontrollieren können», betont ein hochrangiger SVP-Parlamentarier. «Und das gilt auch für den Präsidenten.» Über Fronterfahrung im Bankgeschäft verfügt Bauer, der lange im Rechtsdienst des Revisors Ernst & Young arbeitete, nicht.

Es scheint nur eines zu geben, was den Druck auf die Finma lindern könnte: Eine neue Finanzkrise.

Doch er gibt sich machtbewusst: Die Macht der Behörde liege im Verwaltungsrat, betont er, was rein formal auch stimmt: Er ist der vom Bundesrat bestellte oberste Vertreter, Branson ist ihm als operativer Leiter unterstellt, doch anders als etwa Nationalbank-Chef Thomas Jordan hat er formal keine Amtszeitbeschränkung.

Aber de facto beherrscht der UBS-gestählte britisch-schweizerische Doppelbürger mit Cambridge-Mathematik-Diplom und unbestritten hoher Fachkompetenz die Behörde. Dass Branson beispielsweise anders als sein Vorgänger Patrick Raaflaub selbst den Vorsitz des zentralen Enforcement-Ausschusses übernommen hat, will Bauer nicht beanstanden: «Hier werden wichtige Entscheide zu Einzelfällen gefällt, deshalb soll der Direktor den Vorsitz haben.»

Wendiger Maurer

Alle acht Wochen trifft sich Bauer zum Vier-Augen-Gespräch mit Ueli Maurer, dem als Finanzminister die Finma administrativ unterstellt ist. Dass das Finanzministerium von der in der SVP verhassten Eveline Widmer-Schlumpf in eigene Hände gewandert ist, sollte eigentlich eine gute Nachricht für die Anti-Regulierungs-Fraktion sein. Doch Maurer zeigt sich wendig. Die Finma lege die Regulierungen «schon etwas intensiv aus», befand er im letzten September und schien so die Kritik seiner Parteikollegen zu nähren. Doch gegenüber Bauer ist von der Kritik offenbar nicht viel übrig geblieben. «In all unseren Gesprächen war die Aussage klar, dass die Finma einen guten Job macht», betont der Präsident der Aufsichtsbehörde. «Daran halte ich mich.»

Besonders auffällig: Bei der Parlaments-Motion zum Entzug der Regulierungsfunktion stellte sich Maurer nicht auf die Seite der SVP-Rädelsführer, sondern plädierte für die Beibehaltung der bisherigen Praxis. Der Grund: Sollte die Finma nicht mehr die Regulierung übernehmen, würde ein Grossteil dieser technischen Vorbereitungsarbeiten bei seinem Departement landen. «Darauf hat Maurer keine Lust», betont ein hochrangiger SVP-Mann. Das Parlament folgte Maurer jedoch nicht – voraussichtlich in der Wintersession kommt das Thema wieder ins Parlament.

opfer

Die Opfer

Quelle: Bilanz

Wie stehen die Chancen der Fundamentalkritiker? Die Finma reguliert über zwei Instrumente. Über die sogenannten Verordnungen, bei denen sie die Vorgaben des Parlaments umsetzt – davon gibt es seit der Finma-Gründung im Jahr 2007 elf, und sie sind in den Augen der Kritiker kein Problem, weil sie gesetzlich legitimiert sind. Anders ist es bei den sogenannten Rundschreiben: Hier definiert die Finma ihre Regulierungspraxis, und das hat sie in bislang 53 Rundschreiben seit ihrer Gründung getan.

Hier setzt die zentrale Kritik an: Die Finma mische sich in elementare Bereiche der Bankenpraxis ein – aber eben ohne formale Gesetzesgrundlage. So legt sie etwa Bandbreiten zur Entschädigung fest, bestimmt über die Zusammensetzung der Geschäftsleitung oder macht detaillierte Vorgaben zur Rechnungslegung. «Da hat die Finma nichts zu suchen», ereifert sich ein Kantonalbanker.

Erste Demutssignale

Als die Banker diese Kritik vor der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats vortrugen, soll Bauer schon etwas verschnupft auf die Attacken reagiert haben. Seine Verteidigung: Die Finma definiere mit den Rundschreiben ihre Aufsichtspraxis und schaffe so für die Regulierten Transparenz. Und sollte eine Bank damit nicht einverstanden sein, könne sie ja immer rechtlich gegen die Finma-Verfügung vorgehen. Doch genau hier liegt das Problem. In der Praxis fügen sich die Institute fast immer, da der Weg durch die Instanzen zu lang und die potenzielle Sanktion der Finma zu hart ist. So haben die Rundschreiben de facto Gesetzesstatus. «Soll ich mich fünf Jahre mit der Finma anlegen? Das bringt doch nichts», klagt ein hochrangiger Regionalbanker.

Das Problem der Finma-Gegner ist aber, dass ihre Alternativen nicht wirklich überzeugend sind: Irgendwer muss die gesetzlichen Vorgaben umsetzen, und eine Verlagerung ins Finanzdepartement würde nur die Instanz verschieben. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats sieht denn auch «keinen Handlungsbedarf seitens der parlamentarischen Oberaufsicht», wie sie Anfang Juli mitteilte.

Der Druck wirkt

Doch das entmutigt die Kritiker nicht wirklich. Es geht vor allem um Symbolisches: Die gefühlt allmächtige Behörde soll in die Schranken gewiesen werden. Der Druck wirkt – die Finma sendet bereits erste Demutssignale: Kleinere Banken etwa werden neuerdings deutlich häufiger von Regulierungen ausgenommen.

Solange die Wirtschaft gut läuft, dürfte der Druck auf die Regulierer bestehen bleiben – vor allem im Parlament. Zehn Vorstösse brachten die Abgeordneten in den letzten Monaten zum Thema Finma, fast immer ging es um eine Beschneidung der Behörde. Es scheint derzeit nur eines zu geben, was den Druck lindern könnte: Eine neue Finanzkrise.

Dirk Schütz
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