BILANZ: Ernst Tanner, sind Sie ein eitler Mensch?

Ernst Tanner: Das darf ich mit Nein beantworten. Wenn ich sehe, wie viele Anfragen ich habe und wie selten ich auftrete, muss ich sagen: Ich lasse lieber Ergebnisse sprechen, als dass ich mich in den Vordergrund dränge.

Wieso schauen Sie dann in der Werbekampagne für die Credit Suisse von Tausenden Plakatwänden herunter?

Die Kampagne geht rund um die Welt. Sie hat der Credit Suisse gute Imagewerbung gebracht. Sie hat aber auch Lindt und dem Schokoladen-Teddy enorme Bekanntheit und Sympathiewerte verschafft.

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Dass ein CEO Werbung macht, ist selten – dass er Werbung macht für eine andere Firma, ist noch seltener.

Erstens war ich über 15 Jahre bei der CS im Verwaltungsrat und im Advisory Board. Zweitens funktioniert die Werbekampagne so, dass sich die CS in Verbindung bringt mit erfolgreichen Firmen. Und Lindt & Sprüngli hat eine enge und harmonische Geschäftsbeziehung mit der CS seit deren Gründung 1856. Nein, ich bin nicht eitel. Aber wenn es unserer Firma nützt, dann mache ich mit.

Hat es dem Schokoladen-Teddy denn genützt?

Anfangs lief er nicht so berauschend, da mussten wir nachjustieren. Heute kann ich sagen: Das wird wohl der erfolgreichste saisonale Artikel, den wir je lanciert haben. Wir haben über 35 Millionen Stück davon verkauft – viel mehr als beim Start des Goldhasen. In fünf Jahren wird er genauso wichtig für uns sein wie der Goldhase heute mit seinen über 100 Millionen Stück. Auch der Handel empfindet das als die grösste Innovation der Branche.

Sie sind Konzernchef, Präsident des Verwaltungsrates, Präsident des Fonds für Pensionsergänzungen und einer der grössten Einzelaktionäre von Lindt – es gibt keinen Manager bei einem schweizerischen börsenkotierten Unternehmen, der eine so klare Machtstellung hat wie Sie.

Ich finde es schön, dass Sie «klar» sagen. Es ist also allen Leuten bekannt, welche Aufgabe ich in welcher Funktion zu erfüllen habe und was ich seit bald 20 Jahren erfolgreich mache.

Eine derartige Machtkonzentration ist ungesund.

Das muss man differenziert anschauen. Mein früherer Arbeitgeber Johnson & Johnson hat die Doppelfunktion von Chairman und CEO immer noch. Ford ebenfalls. Nestlé hatte sie bis 80 Milliarden Umsatz – und das sehr erfolgreich.

Auch Nestlé hat inzwischen dazugelernt.

Es kommt auf die Komplexität des Unternehmens und die Grösse an. Wir haben zweieinhalb Milliarden Umsatz, wir beschäftigen 7500 Mitarbeiter – aber wir sind nur in einer einzigen Branche tätig, der Schokoladenindustrie. Und in der kenne ich mich so gut aus, dafür brauche ich nicht zwei Positionen. Wenn man wie Nestlé in Dutzenden von verschiedenen Gebieten tätig ist, ist es wahrscheinlich eher sinnvoll, das Amt zu trennen. Aber bei uns funktioniert es blendend, so wie es ist. Ich weiss nicht, warum man daran etwas ändern sollte. Und ich verspreche Ihnen, wir werden das Doppelmandat nicht bis 80 Milliarden Umsatz haben.

Dass das Doppelmandat hier schon lange nicht mehr zeitgemäss ist, stört Sie nicht?

Überhaupt nicht. Ich habe schon viele Male verlangt: Zeigt mir Beispiele von Firmen, die das getrennt haben und bei denen es deshalb nachher besser gelaufen ist. Ich habe noch nie eine Antwort bekommen.

Auf der Rangliste von zCapital zum Thema Corporate Governance liegt Lindt auf Platz 122 von 130 Schweizer Firmen ...

... da haben wir also noch acht Plätze Luft nach unten.

Das stört Sie also auch nicht?

Nein, das stört mich überhaupt nicht. Weil das eine einseitige Auswertung ist, wie Firmen bestimmte Kriterien der Corporate Governance einhalten. Es wird nicht berücksichtigt, wie erfolgreich die Firma ist, welche Zukunft ihr gegeben wird, ob die Kunden und Aktionäre zufrieden sind. Was soll ich damit anfangen?

Sich ein Beispiel nehmen.

Das beste Unternehmen auf dieser Liste ist Valora – würde ich mit denen tauschen wollen?

Sie würden vermutlich mit niemandem tauschen wollen.

Vermutlich. Lindt ist auf Platz 122 in bester Gesellschaft – die Swatch Group ist auf Platz 120. Das sind mit die erfolgreichsten Firmen der Schweiz. Ich bin lieber ein Grossaktionär bei Lindt & Sprüngli oder bei der Swatch Group als bei irgendeiner anderen Firma, die möglicherweise auf der Liste weiter oben steht. Und wir haben eine sehr gute Corporate Governance – unser Verwaltungsrat gehört zu den am besten informierten Verwaltungsräten der Schweiz. Jedes Mitglied hat totale Transparenz über das, was in der Firma passiert.

Ihren VR in Ehren, aber Schwergewichte, die Ihnen Paroli bieten können, sitzen da nicht drin.

Herr Doktor Widmer ist schon lange dabei, der kennt die ganze Historie, das ist immer wertvoll. Herr Doktor Bulgheroni hat unser Italiengeschäft aufgebaut, dort ist er eine bekannte Persönlichkeit. Doktor Sprüngli aus der Familie – sehr wichtig. Doktor Oesch führt unser Audit Committee straff und streng. Elisabeth Gürtler leitet die Hotelgruppe Sacher sehr erfolgreich, Wien ist ja ein kompetitiver Markt.

Bei allem Respekt, aber die sind alle nicht vom Kaliber eines Grosskonzern-Chefs.

Es kommt ja nicht darauf an, ob jemand von einem Grosskonzern kommt oder aus dem Mittelstand. Sondern ob er für diese Industrie einen Kompetenzausweis mitbringt und einen Beitrag leisten kann.

Sie sind inzwischen 65 Jahre alt, also im AHV-Alter – wie lange wollen Sie noch im Amt bleiben?

Irgendwann in drei bis fünf Jahren werde ich mich auf das Präsidium zurückziehen. Vor einem Jahr haben wir die Konzernleitung erweitert, um die Führung zu verbreitern. Wir haben aber auch sehr fähige Länderchefs, die ebenfalls das Potenzial haben, grössere Verantwortung zu übernehmen. Aus diesen beiden Kreisen wird sich mein Nachfolger rekrutieren.

Sie haben Ihren Rücktritt schon mehrmals angekündigt, einmal für den Zeitpunkt, wenn das Nordamerikageschäft erfolgreich sei, was seit Jahren der Fall ist, ein anderes Mal für 2013. Jetzt sagen Sie: in drei bis fünf Jahren. Sie können nicht loslassen.

Bei Lindt gibt es noch viel zu tun, wie etwa die Expansion in die Schwellenländer in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Ich glaube nicht, dass ich ein Sesselkleber bin, aber ich fühle mich fit und jung.

Nicolas G. Hayek, der Gründer der Swatch Group, hatte zu Lebzeiten gesagt, er wolle eines Tages aus dem Büro getragen werden, was ja dann leider auch passiert ist. Gehen Sie auch so weit?

Nein, so weit gehe ich nicht. Er war eine beeindruckende Persönlichkeit bis zu seinem Tod im Alter von 82 Jahren und hat der Firma viel gebracht. Deshalb darf der Zeitpunkt des Rücktritts keine Frage des Alters sein.

Trauen Sie niemand anderem zu, das Unternehmen so erfolgreich zu führen wie Sie?

Ich glaube, dass alle Kandidaten davon profitieren, wenn ich ein paar Jahre bleibe, damit sie noch zusätzliche Erfahrungen mitnehmen können.

Haben Sie keine Angst, dass sich Ihr Nachfolger nicht entfalten kann, wenn Sie als sehr starker VR-Präsident ihm ständig über die Schulter schauen?

Überhaupt nicht. Ich führe das Unternehmen sehr dezentral. Gewisse Teile sind zwar straff zentral geregelt, wie die Produktequalität, die Markenführung oder das Finanzreporting. Aber gleichzeitig sind die CEO in den einzelnen Ländern verantwortlich, mit einer sehr grossen Handlungsfreiheit. Denn das Geschäft ist von Land zu Land verschieden. Und das wird auch so bleiben, das ist in unserer Führungsphilosophie verankert.

Sie haben Ihren Sohn Derek für ein Praktikum bei der Swatch Group untergebracht, wo Sie im VR sind. Jetzt arbeitet er bei Lindt. Das ist doch Nepotismus.

Er hat auch ein Praktikum bei der Credit Suisse gemacht …

… bei der Sie im Verwaltungsrat sassen.

Richtig. Aber warum soll das Nepotismus sein? Mir geht es darum, dass er Erfahrungen sammelt in einer guten Firma. Diese Möglichkeit gebe ich vielen jungen Leuten. Bei uns werden sie trainiert als Unternehmer. Sie erhalten relativ jung viel Verantwortung, sie arbeiten hart, sie werden gefordert. Wo ich kann, öffne ich die Türen von Lindt. Und warum soll ich meinem Sohn diese Möglichkeit nicht geben, wenn ich sie dem Sohn meines Nachbarn gebe oder der Tochter eines Freundes?

Tun Sie damit Ihrem Sohn einen Gefallen? Er wird in Ihrer Firma nie ein ehrliches Feedback bekommen, weil jeder weiss: Er hat den direkten Draht zum Chef.

Da liegen Sie ganz falsch. Er rapportiert nicht direkt an mich, sondern muss beim Finanzchef genauso vortraben wie jeder andere auch. Er muss genauso gut vorbereitet sein wie jeder andere, da wird kein Unterschied gemacht.

Bauen Sie ihn als Nachfolger auf?

Nein, damit das klar gesagt ist. Mein Ratschlag an meinen Sohn ist, sich in den nächsten fünf oder zehn Jahren selbständig zu machen, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt. Aber in der Zwischenzeit hoffe ich, dass er hier eine harte, anspruchsvolle Aufgabe übernimmt. Derzeit baut er ja die weltweiten Ladenketten für Lindt auf.

Lindt sitzt auf 350 Millionen Franken Cash. Ihre letzte Akquisition liegt 14 Jahre zurück. Warum so zögerlich?

Wir haben uns danach viele weitere Unternehmen angeschaut, aber nichts Passendes gefunden. Und wir kaufen keine Firma, nur damit wir eine Firma kaufen. Dann investieren wir lieber in unser Kerngeschäft.

Gäbe es eine Marke, die Sie gerne kaufen würden?

Ja, See’s Candies in Kalifornien. Die gehört Warren Buffett. Ich schreibe ihm deshalb regelmässig. Letzte Woche habe ich von ihm wieder Antwort bekommen in einem handsignierten Brief: «Ich gratuliere Ihnen zum Erfolg, den ich bewundere. Beiliegend schicke ich Ihnen unseren Geschäftsbericht, aus dem Sie entnehmen können, dass wir nie Firmen verkaufen. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg, und es wäre für mich eine grosse Freude, Sie einmal persönlich zu treffen.» Das muss man respektieren. Ich werde dennoch nicht nachlassen.

Sie haben letztes Jahr mehr als zehn Millionen Franken verdient, über 250-mal mehr als ein Arbeiter in Ihrer Schokoladenfabrik nebenan. Finden Sie das angemessen?

Diesen Vergleich kann ich nicht nachvollziehen. Ich verdiene vermutlich noch einmal einen Faktor mehr als ein Arbeiter in Polen. Vergleichen wir doch die Verantwortung, den Einsatz, den Beitrag meiner Position mit anderen Leuten in ähnlichen Positionen.

Gerne: Sie sind unter den zehn bestverdienenden Chefs der schweizerischen börsenkotierten Firmen. Aber Lindt ist nicht unter den Top Ten der grössten Firmen.

Das stimmt einfach nicht! Ich bin nicht unter den zehn bestverdienenden Chefs, auch nicht unter den zwanzig. Ich verdiene 1,2 Millionen Franken pro Jahr und bekomme zusätzlich einen Bonus von 1,4 Millionen. Und das schon seit über zehn Jahren. Bei Johnson & Johnson war es übrigens die gleiche Grössenordnung. Bei denen hatte ich aber zusätzlich noch ein Aktienprogramm, Optionen, eine Lebensversicherung, eine grosszügige Pensionsregelung und so weiter. Als ich zu Lindt gewechselt habe, war ich ja auf der Zielgeraden, CEO von Johnson & Johnson zu werden. Der verdient heute mehr als 27 Millionen Dollar pro Jahr.

Auch bei Lindt bekommen Sie zusätzlich Aktien und Optionen.

Ja, als ich diesen Job hier übernommen habe, von dem es damals hiess, er sei der heisseste Stuhl der ganzen Schweiz, habe ich ein Beteiligungsprogramm verlangt. Deshalb bekomme ich jedes Jahr 130 Aktien und 5000 Optionen – Letztere bezahle ich übrigens, die sind nicht geschenkt. Vor 20 Jahren war dieses Paket nur ein paar 100 000 Franken wert, da hat niemand gemeckert. Aber inzwischen ist die Aktie 14-mal mehr wert. Hätte ich damals einen Teil der Firma gekauft, wie das Nicolas Hayek etwa bei Swatch gemacht hat, hätte ich genauso profitiert – aber es würde keiner reklamieren, mein Einkommen sei zu hoch. Mein Bonus und mein Salär sind zusammen 2,6 Millionen Franken. Das bin ich dieser Firma, glaube ich, wert. Ich habe das der Generalversammlung letzte Woche so dargelegt, und ich habe dafür einen grossen Applaus bekommen.

Betrachten Sie Lindt als Ihr Lebenswerk?

Herr Sprüngli ist vor 20 Jahren an mich herangetreten und hat gesagt: «Herr Tanner, ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht. Wenn Sie diesen Job nicht übernehmen, werden mein Lebenswerk und die Schweizer Schokolade verschwinden.» Diese Firma ist in der Vergangenheit durch viele Krisen gegangen, aber Marke und Philosophie waren immer auf beste Qualität ausgerichtet. Das hat mich überzeugt, dass ich als Chairman und CEO aus Lindt eine Weltmarke machen kann. Und ja, ich habe mir gesagt: Das ist jetzt meine Lebensaufgabe, diesen Konzern global zu etablieren und die Schweizer Schokoladenindustrie vor dem Verschwinden zu bewahren. Heute darf ich sagen, das ist gelungen.

Schokolade, Uhren, Banken – ein Manager, der mehr Schweizer Symbole vertritt als Sie, ist schwer vorstellbar. Merken Sie im Ausland, dass die Stimmung sich gegen die Schweiz gewendet hat?

Nein, das merke ich nicht. Das ist eher ein Thema in der Schweiz als im Ausland. Man sollte das nicht überbewerten. Ich hoffe aber, dass wir diese Steuerstreitigkeiten jetzt endlich einmal aus dem Weg räumen können.

Welche Lösung erwarten Sie?

Die Schweiz sollte bei ihrer jetzigen Position bleiben. Man darf nicht noch mehr Zugeständnisse machen. Wir sind ein sehr erfolgreiches Land, und die Ansprüche aus dem Ausland haben auch eine gewisse Neidkomponente, weil es uns in der Schweiz so gut geht. Wir sollten aus einer Position der Stärke verhandeln und auch entsprechend auftreten. Das wird zum Teil nicht gemacht.

Warum nicht?

Viele Politiker haben einfach die internationale Erfahrung nicht. Das sieht man zum Teil schon daran, wie diese Leute englisch sprechen und wie sie sich auf dem diplomatischen Parkett benehmen. Es täte vielen unserer Politiker gut, mal ein bisschen Auslanderfahrung zu sammeln.

Schoggijob: Seit fast 20 Jahren ist Ernst Tanner CEO und Präsident von Lindt & Sprüngli. In dieser Zeit machte er aus dem angeschlagenen Übernahmekandidaten einen florierenden Weltkonzern. Zuvor arbeitete er ein Vierteljahrhundert beim amerikanischen Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson, zuletzt als Europachef. Tanner ist im Verwaltungsrat der Swatch Group sowie der deutschen Brauerei Krombacher. Auch bei der CS sass er 15 Jahre lang im Gremium.