Bis ein Unternehmen wie Rolex Notiz von einer Entwicklung nimmt, muss viel passieren. Sehr viel. Und dann überlassen es die Genfer immer noch ihrer Zweitmarke, Witterung aufzunehmen. Ist ja denkbar, dass doch nicht etwas fundamental Neues anläuft. Und einen Tagestrend nicht ignoriert zu haben, könnte dem Ansehen des Hauses womöglich abträglich sein. Die Zweitmarke heisst Tudor, und deren Uhren wachsen derzeit erkennbar, wie die junge Linie rechteckiger Modeuhren mit den farbigen Zifferblättern zeigt.

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Damit folgen die Tudor-Uhrmacher in aller Stille einem breiten Branchentrend, an dessen Anfang ein paar Marktbeobachter mit grossem Gespür und einem Sinn für angemessene Risiken standen. Leute wie der früh verstorbene Günther Blümlein, der zusammen mit John-Henry Belmont bei Jaeger-LeCoultre die sehr erfolgreiche Reverso durch die markant vergrösserte Reverso Gran Sport ergänzte. Oder etwa ein Franco Cologni, der bei Cartier die legendäre Tank Cintré zur Tank Américaine ausbaute und mit dem Taucheruhrenspezialisten Panerai die martialische Grossuhr am Handgelenk salonfähig machte. Das Ergebnis: Ob Reverso, Royal Oak (Audemars Piguet), Da Vinci (IWC) oder De Ville (Omega): Überall gingen die Klassiker um ein, zwei oder sogar drei Millimeter in die Breite. Omegas De Ville Jubilée legte sogar 3,5 Millimeter zu (36 statt 32,5). Das sind am Handgelenk gewaltige Grössenunterschiede. Die De Ville Co-Axial bringt es sogar auf 37,5 Millimeter, und der neu lancierte Laureato Evo Chronograph von Girard-Perregaux erreicht mit 44 Millimeter Durchmesser (und über 15 Millimeter Bauhöhe) schon dramatische Grösse.

Inspirierend auf dem langen Marsch zur Grösse wirkte sicher auch ein erfolgreicher Newcomer wie Franck Muller, der mit seinen grossflächigen Art-déco-Uhren Furore machte. «In Moskau fragen die Leute immer nur nach Muller, Muller», maulte ein namhafter Konkurrent vor einem Jahr mit resignierendem Neid angesichts des phänomenalen Erfolgs, den der Senkrechtstarter bei der russischen Haute Volée verbuchen konnte.

Verwegener noch, ohne jeden Zweifel aber auch sehr ansehnlich sind die Kreationen, die sich Roger Dubuis einfallen lässt. Unterstützt von einem aus Portugal stammenden Partner, begann der 1938 geborene Genfer vor neun Jahren mit der Uhrenherstellung unter eigenem Namen. Dubuis konzentrierte sich vom Start weg auf unübersehbar grosse Uhren. Sein erster (und bisher einziger runder) Wurf, die 1996 vorgestellte Sympathie, ist in Gehäusegrössen bis zu 46 Millimeter Durchmesser erhältlich. Damit gab der Newcomer gleich die Richtung an: Die rechteckige Much more – das Modell heisst wirklich so – von 1998, die quadratische Golden Square, 2002 lanciert und maximal mit den Massen 43≈43 Millimeter lieferbar, und zuletzt die kreuzförmige Follow me (2003) haben am Handgelenk echten Bekenntniswert. Sie sind aber auch sehr ostentativ. Um einen Vergleich zu geben: Die 2003 vorgestellte, rechteckige Emperador, das Spitzenmodell von Piaget (mit einem Tourbillon) begnügt sich mit einem Format von 22,4≈28,6 Millimeter Durchmesser und gibt sich damit geradezu verschämt diskret. Zu den Dubuis-Schöpfungen wäre noch anzumerken, dass sie den Vorteil haben, in kleinen Serien produziert zu werden. Was sie zu einem Erkennungsmerkmal für einen winzigen Insiderkreis macht und damit zu den idealen Schöpfungen für die Klasse der «super rich» und ihre Feste im Jachtclub von Gstaad oder oben im «Eagle Club».

Die gewöhnliche «mass affluent», wie die Vermögensberater heutzutage ihre Kleinkunden zu kategorisieren pflegen, hat zwar keine Mühe, eine Much more von einer gut gemachten Modeschmuckuhr zu unterscheiden, nur reisst deren Anschaffung schon ein erkennbares Loch ins Portefeuille.

Dagegen hat der Erfolg der XXL-Uhren aus der Schwarzenegger-Klasse schon Massencharakter. Wer zuerst war, ist umstritten. Audemars Piguet nimmt für sich in Anspruch, die Off-shore-Variante der Royal Oak bereits vor zehn Jahren lanciert zu haben. Panerai kam 1993 mit der ersten Luminor und 1995 mit einer von Sylvester («Rambo») Stallone signierten Serie. Bei der Verleihung der Goldenen Kamera in diesem Frühjahr wurde der Schauspieler allerdings mit einer Grossen Fliegeruhr (IWC Schaffhausen) gesehen. Mit einem Durchmesser von 46,2 Millimetern bringt sie zweifellos noch etwas mehr Masse ans Handgelenk. Die kaum kleinere Portugieser ist in Schaffhausen heute das erfolgreichste Modell. Überhaupt können die in der Trendklasse gut positionierten Labels Audemars Piguet, IWC und Panerai nicht über Absatzprobleme klagen. Im Branchendurchschnitt war dagegen im vergangenen Jahr ein Nachfragerückgang von zehn Prozent zu verkraften.

Ostentation ist im grossen Geschäft der Emotionalisierung heute eine treibende Kraft. Die Uhrenmanager machen sich selten grosse Gedanken. Sie bieten einfach auf breiter Front an und sorgen dort für Nachschub, wo die Nachfrage anzieht. Dass das Auseinanderfallen des Lebens in Arbeit und Freizeit heute einen radikal anderen Kleidungsstil erfordert und auf jeden Fall eine doppelte Garderobe, begrüssen sie ebenso wie den Massenerwerb von SUVs («sport utility vehicles»), die nur noch ganz Unerschrockene als Geländeautos zu bezeichnen wagen und damit schon eine heimliche Sinnfrage stellen. Der Griff zur XXL-Uhr findet seine emotionale Entsprechung im SUV. Auch da war Noldi Schwarzenegger wieder trendbildend. Dass niemand einen Edel-Unimog braucht – auch der Förster nicht, der steigt gleich in den Unimog – hat noch niemanden vom Erwerb abgehalten. Zumal sich immer ein Argument findet, das die Anschaffung rechtfertigt. «Ich fühle mich sicherer», heisst es, auch wenn es objektiv nicht stimmt. Aber es kommt ja eben nur darauf an, sich sicherer zu «fühlen». Oder: «Ich kann damit die Zeit besser ablesen.»

Die Zeitmesser der Schwarzenegger-Klasse fangen bei 41,5 Millimetern an. Das ist das Mass der Memovox Compressor von Jaeger-LeCoultre. Die Uhr mit den markanten Knebeldichtungen gibt es etwas kleiner (38 Millimeter) auch mit Diamanten und für Damen. Eine Seltenheit unter den Macho-Maschinen.

Dass die Boliden gerne einmal an weiblichen Handgelenken zu finden sind – eine unterschwellige Provokation wie das Zigarrenrauchen in der Öffentlichkeit –, widerspricht dem Befund nicht. Die meisten SUVs dienen ohnehin nur dazu, mit dem Nachwuchs auf der Fahrt in den Kindergarten die Asphaltkissen der verkehrsberuhigten Zone zu überwinden. Macht alles nichts.

Die Love-Parades, die Jackass-Bewegung und die Trash-Kultur erinnern uns daran, dass wir im Zeitalter der grossen Exhibition leben. Ästhetik, Finesse und Diskretion sind heute keine besonders gefragte Münzen.

Immerhin: Gegenüber den SUVs haben die Boliden am Handgelenk einen echten Vorteil: Der VCS empört sich nicht über den unmässigen Benzinverbrauch. Nur die Manschetten verschleissen schneller, aber das dient wiederum dem Konsum und damit der Arbeitsbeschaffung. Insofern fällt der Erwerb der Riesen unter die Rubrik «Beiträge zur Sozialarbeit». Wer sich auskennt, lässt jedoch die linke (oder rechte) Manschette drei Zentimeter weiter schneidern.