Es ist unglaublich wertvoll, Innovationen live zu erleben, mit Unternehmen, Einwohnerinnen und Einwohnern persönlich zu sprechen und zu sehen, wie sich die Politik der Regierung in der Praxis auswirkt.

Wirtschaft: Erholung durch lokale Dienstleistungen

In China sind die Null-Covid-Beschränkungen wirklich vorbei. Sowohl in den kleinen Dörfern als auch in den grossen Städten scheint sich das Leben wieder zu normalisieren. Das lokale Konsumverhalten (Dienstleistungen, Hotels und Restaurants) scheint sich mit einer starken Belebung der Aktivitäten erholt zu haben. Es gibt Anzeichen dafür, dass der Konsum die Hauptantriebskraft für die Erholung im Jahr 2023 sein wird, mit einem erwarteten Wiederanstieg von mehr als 8 Prozent im Jahr 2023, nachdem er im letzten Jahr zurückgegangen war.

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Dennoch hat die Pandemie erhebliche Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft und Gesellschaft. Wir haben einen Rückgang der Beschäftigung und der Einkommen sowie einen Anstieg der Ersparnisse der privaten Haushalte erlebt, da die Menschen versuchten, angesichts der Unsicherheit ihre finanzielle Stabilität zu bewahren.

Und trotz der Verbesserung nach der Wiedereröffnung bleiben die chinesischen Verbraucherinnen und Verbraucher vorsichtig und wählerisch. Die Verkäufe von hochpreisigen Artikeln haben sich nicht wirklich belebt. Es gibt keine «Racheausgaben», und der diskretionäre Konsum hat sich langsamer entwickelt als erwartet.

Über die Autorin

Haiyan Li-Labbé ist Co-Managerin des Carmignac Portfolio Emergents.

Immobilien: Kein zukünftiger Wachstumsmotor

Es ist zwar noch zu früh, um eine endgültige Aussage über die Erholung des Immobilienmarktes zu treffen, aber es gab einige Verbesserungen bei den Daten, insbesondere bei den Hauspreisen und Verkäufen sowie bei den staatlichen Massnahmen zur Bereitstellung von Finanzmitteln, zur Lockerung der Vorschriften und zur Senkung der Hypothekenzinsen. Die Transaktionen auf dem Sekundärmarkt werden in diesem Jahr wahrscheinlich einen ordentlichen Aufschwung verzeichnen.

Trotz dieser positiven Entwicklungen ist der Immobilienmarkt kein zukünftiger Wachstumsmotor für China. Unter Berücksichtigung des schwächeren Primärmarktes werden die Immobilieninvestitionen im Jahr 2023 wahrscheinlich rückläufig sein, selbst nach einem Rückgang von 10 Prozent im Jahr 2022.

Politik: Pragmatismus überwiegt

Man kann beobachten, dass die Lokalregierungen bei der Umsetzung der Politik der Zentralregierung zunehmend pragmatischer vorgehen. Dies lässt uns vermuten, dass die Lokalregierungen aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und bei der Verwaltung der lokalen Haushalte und der Umsetzung der Politik der Zentralregierung in ihrer Region eine praktischere Politik verfolgen werden.

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Auf nationaler Ebene hat Chinas neuer Premierminister Li Qiang versucht, den privaten Sektor und die internationale Geschäftswelt von Pekings wirtschaftsfreundlicher Haltung zu überzeugen, indem er den Wunsch betonte, eine Atmosphäre des Respekts gegenüber Unternehmern zu schaffen – eine seltene Äusserung eines chinesischen Staatschefs. Er bekräftigte auch, dass China weiterhin auf Öffnung (und Reformen) setzen wird, um sein langfristiges Wachstumsziel zu erreichen. In der Praxis bedeutet dies eine weitere Angleichung an die hohen Standards der internationalen Geschäftsregeln und eine Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen für ausländische Unternehmen. Diese Ankündigungen sind sehr ermutigend.

Gesellschaft: Modernisierungsschübe

Trotz der dreijährigen Beschränkungen hat China seine Urbanisierung nicht verlangsamt. Chinas rasche Übernahme neuer Technologien hat zu einem «Leapfrogging»-Effekt geführt und das Land zu einem der am weitesten entwickelten Länder im Bereich der Digitalisierung gemacht. China ist im Bereich der erneuerbaren Technologien weltweit führend und übertrifft andere Länder beim Wachstum der Stromerzeugungskapazität aus erneuerbaren Technologien. Dies wird zu grossen langfristigen Investitionsmöglichkeiten führen.

Eine Arbeiterin in China stellt Photovoltaikzellen her – das Land ist führend in Sachen erneuerbare Energien.

Eine Arbeiterin in China stellt Photovoltaikzellen her – das Land ist führend in Sachen erneuerbare Energien.

Quelle: Keystone

Der allgemeine Wohlstand, der im Westen oft infrage gestellt wird, ist unserer Ansicht nach positiv für die soziale Stabilität und Chinas Weg zur Nachhaltigkeit, aber es bleiben einige Probleme. Erstens die hohe Verschuldung der lokalen Regierungen und zweitens das Fehlen einer sichtbaren (effektiven) Lösung für Chinas demografischen Druck. Ausserdem sind die Lebenshaltungs- und Bildungskosten nach wie vor hoch. Und die Reform des Nachhilfesektors hat nicht die erwartete Wirkung gezeigt, da die Eltern nach wie vor viel höhere Kosten für Einzelunterricht zahlen.

Geopolitik: Ungewissheit in der Zukunft

Während es klar ist, dass die USA und China grosse Rivalen bleiben werden und die chinesischen Bürgerinnen und Bürger keine «Erwärmung» der Beziehungen erwarten, sieht die Entkopplung zwischen den USA und China strukturell und negativ für China aus. Es scheint keine gute Lösung für Chinas Halbleiterentwicklung zu geben, und unsere China-Reise hat uns in diesem Bereich nicht gerade beruhigt. Die Spannungen mit Taiwan sind ebenfalls ein Grund zur Sorge für China und die globalen Aktienmärkte.

Angesichts der erhöhten geopolitischen Spannungen wird die Risikoprämie für chinesische Aktien hoch bleiben, und wir meiden chinesische Unternehmen, die in hohem Masse von solchen Herausforderungen betroffen sind (zum Beispiel Halbleiter- und Chiphersteller).

Chinesisches Wachstum übertrifft weiterhin

Trotz einiger eindeutiger Herausforderungen wird China neben Indien in diesem Jahr mit einem Wachstum von mehr als 5 Prozent die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt sein (was von den jüngsten BIP-Daten bestätigt wird) und vor allem ein qualitativ höheres Wachstum aufweisen. Darüber hinaus weisen chinesische Unternehmen nach zwei Jahren des Ausverkaufs attraktive Bewertungen auf, kaufen ihre Aktien zurück, erhöhen die Dividenden und versuchen, wie die jüngsten Ankündigungen zeigen (Alibaba und JD.com spalten ihr Geschäft in mehrere börsennotierte Einheiten auf), einen Weg der Transparenz einzuschlagen, was sich positiv auf die Cashflow-Generierung auswirkt.

Am besten positioniert sind Unternehmen mit einer guten Angebots- und Nachfragedynamik auf dem heimischen Markt sowie Unternehmen, die in der Lage sind, «global zu werden», da immer mehr chinesische Unternehmen versuchen, internationale Verbraucher zu erreichen. Unter den Top Ten der weltweit am häufigsten heruntergeladenen Apps finden sich beispielsweise sechs chinesische Unternehmen.

Vor allem Unternehmen, die sich in vier Themenblöcke einteilen lassen, sind interessant:

•    Industrielle und technologische Innovation: Chinesische und taiwanesische Unternehmen stehen an vorderster Front der technischen Revolution. TSMC ist beispielsweise eines der wertvollsten Unternehmen Asiens und stellt 90 Prozent der weltweit modernsten Chips her. TSMC ist der weltweit grösste Auftragsfertiger von Chips und spielt eine entscheidende Rolle bei der Herstellung von Produkten, die von Technologieunternehmen wie Apple, Qualcomm und Nvidia entwickelt werden.
•    Gesundheitswesen: Da der Markt für Gesundheitsdienstleistungen aufgrund des Plans «Gesundes China 2030» auf 16 Billionen RMB anwachsen soll, werden Unternehmen wie das führende Auftragsforschungs-, Entwicklungs- und Produktionsunternehmen Wuxi Biologics davon profitieren.
•    Der Wandel der Umwelt: Chinesische Unternehmen wie das Solarwechselrichterunternehmen Sungrow Power sind weltweit führend und unterstützen die globale Energiewende.
•    Die Steigerung der Konsumausgaben: In China gibt es viele Unternehmen, die auf den Binnenkonsum ausgerichtet sind, wie zum Beispiel Anta Sports, die nationale Sportartikelmarke, die Marktanteile von multinationalen Sportmarken gewinnt.