Die Welt hat sich verändert. Wir sind in ein neues Zeitalter der Kriegsführung eingetreten. Das mag uns widerstreben, und manche Menschen werden einige Zeit benötigen, sich daran zu gewöhnen – aber es ist so. Jetzt gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Soldaten und Zivilisten in feindlichen Staaten. Es begann mit der Bombe aus einem F-117- Stealth-Bomber, die in den Lüftungsschacht des irakischen Armeehauptquartiers in Bagdad fiel. Und seither, als 300 Zivilisten in einem unterirdischen Luftschutzkeller getötet wurden, sind grosse Anstrengungen unternommen worden, um auch moralisch die Oberhand zu behalten.

Unsere Medien entrüsten sich über den Verlust an menschlichen Leben – zivile Schäden. Plötzlich wurden alle potenziellen Ziele immer wieder begutachtet und viele fallen gelassen: «Zu nahe bei dieser Moschee, diesem Dorf oder diesem Marktplatz. Wir können uns keine schlechte Presse leisten. Denkt an Vietnam!»

Präsident George W. Bush hat erklärt, Amerika werde nicht mehr zwischen Terroristen und Staaten unterscheiden, die ihnen Schutz gewähren. Meint er wirklich, was er sagt? Die Immunität ziviler Nichtkombattanter in «schuldigen» Staaten wäre über Nacht aufgehoben.

Die USA, mit Tausenden von toten und verwundeten Zivilisten, verlangen nach Rache. Manche Kommentatoren rufen nach einer angemessenen Reaktion. Werden die USA nur hier und dort ein paar Bomben oder Marschflugkörper knallen lassen? Es gibt im Kriegsjargon des 21. Jahrhunderts eine andere Theorie, das «Prinzip der überproportionalen Gewalt». Das bedeutet, vereinfacht gesagt: Wenn dich ein Feind mit dem Stock schlägt, schlage nicht zurück, sondern schicke eine ganze Einheit U.S. Marines hin und prügle ihn halb tot. Er wird das nächste Mal daran denken, wenn er wieder zum Stock greifen will.

Die elektronischen Medien spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wir müssen damit aufhören, gegen uns selber zu sein und mit dem Feind zu sympathisieren. «Schau, was sie uns angetan haben, sieh, was sie in Manhattan angerichtet haben.» Wir müssen das sehen, wir müssen schockiert sein, wir müssen sicherstellen, dass so etwas nie wieder passiert – wir müssen jene Staaten, die Terroristen unterstützen, zwingen, damit aufzuhören. «Zwingen» ist ein einfaches Wort, das zu beängstigenden Taten führen kann.

In «Star Trek» sagt Jean-Luc Picard, die Menschen auf der Erde hätten eine Zeit erreicht, in der es keine Kriege mehr gebe. Aber er führt das nicht weiter aus. Ist das so, weil Amerika und seine Verbündeten die Geduld mit all den Gaunern und antiamerikanischen Staaten verloren und sie ganz einfach zur Unterwerfung gezwungen haben? Und erleben wir jetzt den Beginn dieses Prozesses? Ist das der Beginn von Huntingtons «Clash of Civilizations»?

Da gibt es einige Fragen. Wenn «wir», der Westen, einen solchen Prozess zulassen, wofür stehen wir dann? Wo bleiben die christlichen Prinzipien, auf denen unsere Gesellschaft beruht, wenn es um Vergeltung geht? Wenn kein schuldiger Staat hinreichend identifiziert werden kann, was tut Amerika dann? Brauchen wir internationale Strukturen zur Kontrolle der Welt, wie es sie schon einmal gab – um die Piraterie zu bekämpfen? Zusammen mit der Sowjetunion, als Nato und Warschauer Pakt, kontrollierten wir die Welt während des Kalten Krieges.

Die Bedrohung hat jetzt ihr neues Gesicht gezeigt. Aber es könnte noch schlimmer werden. Die anonyme oder unklare Kriegführung ist eine schreckliche Perspektive. Eine nicht staatliche Organisation, die so etwas wie den Manhattan-Anschlag zu Stande bringt, kann auch noch mehr. Wie wäre es mit einem Angriff mit biologischen Waffen auf Los Angeles? Oder eine Nervengas-Attacke auf London – im Herbst, wenn das kühle Wetter und die leichte Brise ideale Bedingungen bieten? Und dazu braucht es keine Raketen, sondern Menschen mit Aktentaschen und Spraydosen.

Wird die Auslöschung eines Mannes den amerikanischen Zorn beschwichtigen? Zweifel sind angebracht. Müssen wir diese schreckliche Folge fortsetzen: Guernica, Warschau, Rotterdam, London, Hamburg, Tokio, Dresden, Hiroshima, Nagasaki, Hanoi, Bagdad, New York, Kabul? Dabei kommt mir der Satz eines amerikanischen Luftwaffenmajors während des Golfkriegs in den Sinn: «Der Krieg ist unser Geschäft – und das Geschäft läuft gut.»

Die Flitterwochen sind vorbei. Die Samthandschuhe sind ausgezogen. Schuldig wegen Duldung. Wir müssen aufhören, das Risiko hinzunehmen; wir müssen uns mit den Ursachen auseinander setzen. Es ist an der Zeit, eine klare Grenzlinie zu ziehen. Womit ziehen wir sie? Ob wir das wollen oder nicht: Die Welt hat sich am Dienstag, dem 11. September 2001, verändert.


Düstere Vision
Anhand verschiedener strategischer Szenarien zeichnet der Brite Simon Pearson ein erschreckendes Bild künftiger globaler Konflikte. Die Basis seiner Prognosen bilden Simulationen von Militärexperten. Ausgangspunkt für diese Szenarien bilden häufig vereinzelte terroristische Anschläge. Bei der militärischen Reaktion auf diese Taten zeigt Pearson auch schonungslos die Schwachstellen der Nato auf. Kritisch äussert sich der Royal-Airforce-Pilot über die begrenzten Möglichkeiten von Luftangriffen.

Total War 2006, The future history of global conflict, Simon Pearson, Hodder & Stoughton, London. 428 Seiten, Fr. 21.10, ISBN: 0-340-7-4856-7


Simon Pearson arbeitet als Berater bei DSTL, einem Think-Tank des britischen Verteidigungsministeriums. www.dstl.gov.uk
Partner-Inhalte