Was war für Sie persönlich dieses Jahr die wichtigste Lektion aus den Märkten?
Thomas Heller: Die Entwicklung des Dollar hätte ich so nicht erwartet, nicht in dieser Geschwindigkeit und nicht in diesem Ausmass. Dass der Vertrauensverlust in die USA so viel stärker war als die fundamentale Lage, die durchaus für oder zumindest nicht gegen den Dollar gesprochen hat, hat mich überrascht. Und natürlich war die Ankündigung von Donald Trump am 2. April im Rosengarten, die Welt mit Zöllen überziehen zu wollen, eine ziemliche Überraschung. Wobei, es war weniger der Fakt der Zolleinführung als solches, da war schon mit etwas zu rechnen. Aber die abstruse Begründung, gekoppelt mit der abstrusen Berechnung der Zollsätze, fernab jeder Realität und ökonomischer Vernunft, sowie das Ausmass waren unvorstellbar. Die Lektion daraus? Bei dieser US-Regierung ist mit allem zu rechnen.
Welches sind die drei wichtigsten makroökonomischen Faktoren, die 2026 die Finanzmärkte prägen werden?
Es wird sich vieles um die Themen Wachstum, Inflation und Defizit/Verschuldung drehen. Das konjunkturelle Umfeld ist intakt. Die Wirtschaft boomt nicht, aber sie ist intakt. Eine zentrale Frage wird sein, ob das so bleibt oder ob es aufgrund des Handelskonflikts doch zu stärkeren Bremsspuren – die bislang ausgeblieben sind – beispielsweise im Handel oder am Arbeitsmarkt kommen wird. Und wie stark wirken die Fiskalstimuli in Europa und in den USA dem entgegen? Gleiches gilt für die Inflation. Wie viel der Zolllast wird letztlich vom Konsumenten getragen? Schlägt das auf den Konsum? Hindert das insbesondere die Fed daran, die Zinsen so weit zu senken, wie das heute erwartet wird? Die Konjunktur, die Inflationsentwicklung und die Art, wie die Fiskal- und Geldpolitik darauf reagieren (können), werden wichtige Faktoren für die Finanzmärkte 2026 sein. Und natürlich kann auch die politische Agenda, vor allem in den USA, immer wieder für Marktbewegungen sorgen, im Guten wie im Schlechten.
Zur Person
Thomas Heller ist seit dem 1. März 2024 Chief Investment Officer (CIO) der Frankfurter Bankgesellschaft Gruppe. Er arbeitete davor für den Schweizer Vermögensverwalter Belvédère Asset Management und war früher unter anderem bei der Schwyzer Kantonalbank, der LGT Group und der Julius Bär tätig.
Was erwarten Sie bezüglich der Zinsentwicklung in der Schweiz?
Negativzinsen der SNB wird es nun wohl doch keine geben. Vor wenigen Monaten ein noch durchaus realistisches Szenario. Die langfristigen Zinsen dürften tief bleiben. Der Franken ist stark, die Inflation niedrig, einen grossen Aufwärtsdruck auf die langen Zinsen sehe ich nicht.
Aktienmärkte: Welche Regionen sehen Sie 2026 vorne?
Aus heutiger Sicht würde ich sagen, das Rennen ist offen. Strukturell sehe ich die USA im Vorteil, was sich in der viel besseren Wertentwicklung des US-Aktienmarktes in den letzten 10, 15 Jahren im globalen Vergleich widerspiegelt. Dass dies kein Selbstläufer ist, hat das Jahr 2025 gezeigt, in dem die USA Europa und den Schwellenländern etwas hinterherhinken, währungsbereinigt sowieso. Ob nun genau 2026 die Wende wieder zugunsten der USA bringt, ist offen.
Wie viel Potenzial trauen Sie Tech-Titeln nach der KI-Euphorie noch zu?
Die Stimmung scheint immer noch positiv zu sein, auch wenn immer wieder mal Unsicherheiten auftreten, wie etwa mit Deepseek Anfang Jahr. Die Nachfrage nach KI-Anwendungen bleibt gross, die Einsatzmöglichkeiten nehmen zu. Insofern gibt es vermutlich noch weiteres Potenzial, obwohl viel Positives in den Kursen drin ist. Letztlich wird man das auf der Ebene des einzelnen Unternehmens betrachten müssen. Wem gelingt es, die hohen Investitionen zu monetarisieren?
Wie attraktiv werden Anleihen?
Staats- und qualitativ gute Unternehmensanleihen (Investment Grade) bieten im Portfoliokontext Diversifikation und Stabilität sowie über die Couponzahlungen einen Ertrag. Letzteres beim aktuellen Schweizer Zinsniveau allerdings in sehr bescheidenem Ausmass. Real, also nach Abzug der (in der Schweiz sehr tiefen) Inflation, bleibt wenig bis nichts übrig. Für Schweizer Anleger, die einen gewissen Ertrag erzielen wollen, hält sich die Attraktivität des hiesigen Anleihenmarktes in Grenzen.
Welche Rolle spielen Green Bonds oder Emerging Market Debt?
Angesichts des riesigen Kapitalbedarfs von Staaten und Unternehmen zur Finanzierung von Aktivitäten, die nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, werden Green Bonds trotz dem noch immer steigenden Emissionsvolumen vorerst eine Nische im Anleihensegment bleiben. Wer bereit ist, für die höhere erwartete Rendite und den diversifizierenden Effekt von Schwellenländeranleihen die höheren Währungs-, Liquiditäts- und Politikrisiken zu tragen, kann ein Engagement in Betracht ziehen. Emerging Market Bonds sind kein Stabilisator wie die eben genannten hochqualitativen Staats- und Unternehmensanleihen.
Das Unternehmen
Die Frankfurter Bankgesellschaft ist die Privatbank der deutschen Sparkassen‑Finanzgruppe und agiert mit Vollbanken in Zürich und Frankfurt am Main. Die Gruppe betreut rund 20 Milliarden Franken an Vermögen und zählt in Deutschland zu den führenden Privatbanken.
Wie wird sich der Franken entwickeln?
Der Safe-Haven-Status, die tiefe Inflation und der grosse Schweizer Leistungsbilanzüberschuss – der unterschwellige Trend ist Franken-positiv. Kurzfristig mag das mal anders verlaufen, insbesondere wird die SNB einer zu starken Aufwertung bei Bedarf entgegenwirken. Mittel- und langfristig würde ich auf einen stärkeren Franken setzen.
Empfehlen Sie Gold als Absicherung?
Gold gilt als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten. Absicherung ist vermutlich etwas zu hoch gegriffen, denn eine Garantie gibt es nicht. Aber eine gewisse Stabilität bringt Gold in volatilen Phasen schon. Es gibt aber weitere wichtige Einflussfaktoren auf den Goldpreis. Zum Beispiel den Dollarkurs und die (Real-)Zinsen, und in beiden Fällen gilt: je tiefer, umso besser für Gold. Und die letzten drei Jahre haben insbesondere Käufe von Notenbanken dem Goldpreis Schub verliehen. Andere Rohstoffe, zum Beispiel aus dem Industrie- oder dem Energiesektor, bieten keine Absicherung in volatilen Marktphasen. Sie sind im Gegenteil oft besonders stark betroffen oder können sogar Auslöser der Turbulenzen sein.
Wie schätzen Sie Kryptoanlagen ein?
Das mag nach rückständig oder «old school» klingen, aber ich sehe Kryptowährungen immer noch nicht als geeignete Anlageklasse. Welche Faktoren wirken wie auf welche Kryptowährung? Wie bewerte ich sie? Ich kann nicht sagen, ob der Kurs morgen steigt oder fällt. Vermutlich müsste ich deshalb sagen, dass ich mehr Risiken als Chancen sehe. Die Kursentwicklung des Branchenprimus Bitcoin belehrt mich natürlich eines anderen.
Und Privatmarktanlagen?
Ich würde das nicht auf ein spezifisches Jahr wie 2026 beziehen wollen, aber ich sehe Privatmarktanlagen generell aus Diversifikations- und Ertragsüberlegungen als eine sinnvolle Ergänzung in der Vermögensstrukturierung. Aufgrund der begrenzten Liquidität nicht unbedingt direkt in einer liquiden Vermögensverwaltung, aber als eigenständigen Baustein auf jeden Fall.
Gibt es eine unterschätzte Assetklasse?
Private-Market-Anlagen, aus den oben genannten Gründen. «Zu wenig bekannt» trifft es allerdings wohl besser als «unterschätzt».
Wenn Sie 500’000 Franken für zehn Jahre anlegen müssten, um das Geld für den Ruhestand zu mehren, wie sähe Ihr Portfolio aus?
Es wäre zu 80 Prozent ein global diversifiziertes Aktienportfolio, allenfalls mit einem leichten Home-Bias in der Schweiz, das ich nur in ausserordentlichen Fällen anfassen würde. Für die restlichen 20 Prozent würde ich als stabilisierende Komponente qualitativ erstklassige Unternehmensanleihen ins Portfolio nehmen.
Dieser Artikel ist im Millionär, einem Magazin der Handelszeitung, erschienen (Dezember 2025).

