Zinsen und Inflationsraten in den Schwellenländern haben sich nicht so entwickelt, wie die Finanzmärkte zu Beginn des Jahres erwartet hatten: Man rechnete mit anhaltend tiefen Zinsen und einem bloss vorübergehenden Inflationsdruck. Doch dieser hat bis heute angehalten.

Während die Zentralbanker in den Industrieländern vorläufig über den Preisdruck hinwegsehen, haben viel Schwellenländer bereits gehandelt. Die Zentralbanken mehrerer Länder, darunter jene Brasiliens, Mexikos, der Tschechischen Republik, Ungarns und Russlands, haben die Zinssätze bereits angehoben. Dies wegen einer starken Beschleunigung der Inflationsraten in diesen Ländern, die wiederum von einem Preisanstieg bei verschiedenen Rohstoffen ausgelöst wurde. 

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Explosion der Lebensmittelpreise

Dem Lebensmittelpreisindex der Vereinten Nationen zufolge verzeichneten die weltweiten Lebensmittelpreise im Mai und damit im zwölften Monat in Folge einen Anstieg, und zwar um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise kletterte allein im Mai um 4,8 Prozent in die Höhe. Das war der stärkste monatliche Anstieg seit über zehn Jahren.

Nafez Zouk ist EM Sovereign Debt Analyst bei Aviva Investors.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind die starke Nachfrage nach Mais in China, die anhaltende Dürre in Brasilien und der weltweit steigende Verbrauch von Pflanzenölen, Zucker und Getreide die wichtigsten Faktoren, die zu einem raschen Anstieg der Preise auf der ganzen Welt geführt haben. Demnach erreichten beispielsweise die Preise für Palmöl aufgrund des langsamen Produktionswachstums in Südostasien den höchsten Stand seit Februar 2011.

Zentralbanken müssen sich entscheiden

Die Aufgabe der Zentralbanken in den Schwellenländern besteht grösstenteils darin, die Inflationsrate zu steuern. Viele glauben, dass dieser Anstieg nur vorübergehend sein wird, zumal sich die Inflationsrate bei den Energiepreisen wieder abschwächt. Aber angesichts des unaufhaltsamen Anstiegs der Lebensmittelpreise könnte diese Annahme trügen. Je länger dieser Anstieg dauert, desto nervöser dürften viele Notenbanken werden und könnten aufs geldpolitische Bremspedal stehen, insbesondere in Ländern, die ihre Wirtschaft bald wieder öffnen können.

Dass die Verbraucher in ärmeren Ländern einen weitaus höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel ausgeben als die Verbraucher in den reicheren Ländern, verschärft das Problem. Mit einem Anteil von rund 25 Prozent am gesamten Warenkorb sind Lebensmittel in diesen Ländern der grösste Einzelposten in den Verbraucherpreisindizes.

Die Geschichte lehrt uns, dass steigende Lebensmittelpreise schnell zu sozialen Unruhen führen können. Deshalb könnten Zentralbanken, die den wirtschaftlichen Aufschwung immer noch unterstützen wollen, in eine Zwickmühle geraten.

Welche Länder sind am meisten gefährdet?

Um beurteilen zu können, in welchen Ländern eine höhere Lebensmittelpreisinflation am ehesten zu einer weiteren Straffung der Geldpolitik führen kann, haben wir mehrere Faktoren überprüft.

  • Die ersten beiden beschreiben das Ausmass der Korrelation zwischen inländischen Lebensmittelpreisen und Weltmarktpreisen sowie die Abhängigkeit des Landes von Lebensmittelimporten, ausgedrückt in Prozent des BIP. Zentralbanken in autarkeren Ländern mit geringerer Abhängigkeit von Importen und in Ländern, in denen die inländischen Lebensmittelpreise weniger stark mit den weltweiten Lebensmittelpreisen korrelieren, sind tendenziell weniger betroffen.
     
  • Wir berücksichtigen zudem die Bedeutung der Lebensmittelausgaben, indem wir die Gewichtung von Lebensmitteln im Verbraucherpreisindex jedes Landes, die Entwicklung der Wechselkurse (um die Weitergabe der globalen Lebensmittelpreise in Landeswährung zu bewerten) und die historischen Verzögerungen zwischen dem Höchststand der globalen und der inländischen Lebensmittelpreise untersuchen.

Geldpolitische Reaktionen bestimmen Investitionsentscheidungen

Bei der Festlegung der Zinssätze berücksichtigt eine Zentralbank in der Regel drei Dinge: wie weit die Inflation von ihrem gesetzten Ziel entfernt ist, ob es wirtschaftlichen Spielraum gibt und wie sich die Finanzmärkte, insbesondere mit Blick auf die jeweilige Währung, entwickeln.

Das Ausmass des jüngsten Preisanstiegs zeigt jedoch, dass die Lebensmittelinflation ein ungewöhnlich wichtiger Faktor für die Politik der Zentralbanken in den Schwellenländern geworden ist. Die Kombination der Faktoren gibt uns einen besseren Einblick in die Länder, die am stärksten betroffen sind, und zeigt, inwieweit sich diese Kräfte verstärken oder abschwächen können. Sie ist somit ein nützlicher Ausgangspunkt für unsere Analyse der kurzfristigen geldpolitischen Aussichten.

Die Kombination der Faktoren verhilft uns zu einem besseren Verständnis darüber, welche Zentralbanken bereit sein werden, eine höhere Inflation hinzunehmen, und welche sich wahrscheinlich gezwungen sehen werden, die Zinsen zu erhöhen, um eine Verfestigung der Erwartungen zu verhindern.

Hohe Renditen sind nicht alles

Diese Analyse hat auch direkte Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen. Trotz der hohen Renditen erscheinen türkische Anleihen wenig attraktiv, beachtet man sowohl die Anfälligkeit des Landes für die Inflation bei den Lebensmittelpreisen als auch den Umstand, dass das Land auch vor den jüngsten Massnahmen lange Zeit Schwierigkeiten hatte, die Inflation einzudämmen.

Die relativ grosse Isolierung Südafrikas von den weltweit steigenden Lebensmittelpreisen könnte darauf hindeuten, dass die Märkte eine übermässig restriktive geldpolitische Reaktion der Zentralbank einpreisen. Auf der anderen Seite hat die mexikanische Zentralbank eingeräumt, dass der Preisdruck wahrscheinlich länger anhalten wird als erwartet, und hat die Zinsen auf ihrer letzten Sitzung unerwartet angehoben.

Auch die Fiskalpolitik spielt mit

Anleger müssen auch auf die negativen Auswirkungen der Lebensmittelpreisinflation auf die Fiskalpolitik achten. Subventionen und Transferzahlungen sind eine übliche Reaktion auf steigende Lebensmittelpreise, könnten aber teuer werden. Da die finanzielle Lage der meisten Regierungen durch die Pandemie bereits geschwächt ist, könnten solche Zahlungen schnell zu Bedenken hinsichtlich der Kreditwürdigkeit eines Landes führen. Schlimmer noch: Andere Länder, die nicht in der Lage sind, die Kosten für Drucklinderungen auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu tragen, könnten sich schnell sozialen Unruhen gegenübersehen.

Schwellenländer zögern, Zinsen zu erhöhen

Bislang haben viele Zentralbanken der Schwellenländer gezögert, die Zinsen zu erhöhen – mit Verweis auf die immer noch grossen negativen Produktionslücken und die anhaltenden Auswirkungen der Pandemie auf die heimische Wirtschaft. Dies ist jedoch möglicherweise nicht mehr haltbar, da die vom Nachfrageüberhang ausgelöste Inflation zunehmend mit einem beträchtlichen Kostendruck durch höhere Lebensmittelpreise zusammenfällt.

Im Moment, in dem die US-Notenbank zu einer restriktiveren Haltung übergeht, werden auch die Zentralbanken der Schwellenländer merken, dass sie es sich nicht leisten können, der Entwicklung hinterherzuhinken. Unabhängig davon, ob sich die Inflation am Ende als vorübergehend erweist oder nicht.

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