BILANZ: Nach überdurchschnittlichen Renditen in den beiden vergangenen Jahren sind im laufenden Jahr auch nachhaltige Anlagen unter die Räder geraten.
Dominique Biedermann:
Das stimmt zwar, doch ist deswegen das Thema lange nicht erledigt. Weil wir unsere nachhaltigen Anlagen aktiv verwalten und damit von der Zusammensetzung der herkömmlichen Indizes abweichen, liegen wir auch mal unter diesen Indizes. Ob der Anlagestil erfolgreich ist, wird sich nur auf lange Frist zeigen. Zudem fällt nicht nur die finanzielle Rendite der Investitionen ins Gewicht, sondern ebenso deren Auswirkungen im sozialen und Umweltbereich. Investieren wir diesbezüglich in überdurchschnittlich gute Unternehmen, ist das Gesamtrisiko geringer.

Im Vordergrund des Anlegerinteresses steht aber in erster Linie das finanzielle Risiko.
Jedes Unternehmen weist weiter gehende Risiken auf. Denken Sie etwa an Sulzer Medica. Deren Verantwortliche sahen die Probleme nur auf der technischen Seite und vernachlässigten die sozialen Auswirkungen. Die Konsequenzen werden jetzt sichtbar – auch in finanzieller Hinsicht.

Trotzdem: Auch mit den nachhaltigen Anlagen ging es in letzter Zeit bergab.
Schweizer Aktien sind seit Jahresbeginn durchschnittlich um über zehn Prozent eingebrochen. Jedes Wertschriftenportefeuille wird da in Mitleidenschaft gezogen, natürlich abhängig vom Mix zwischen Aktien und Obligationen. Unser durch die Privatbank Lombard Odier für Kleinanleger vertriebenes Produkt Ethosfund hat da natürlich auch gelitten. Weil es sich aber um einen gemischten Fonds, ähnlich jenem der Bank Sarasin, handelt, ist die Einbusse nur unterdurchschnittlich.

Die Anlagestrategie von Ethos verfolgt sowohl für die Produkte für Institutionelle wie für Kleinanleger eine gelegentlich kritisierte Strategie, wonach Sie auch weniger umwelt- oder sozialverträgliche Firmen berücksichtigen.
Prioritär investieren wir in Firmen, welche die Kriterien der Nachhaltigkeit besonders gut erfüllen, allerdings nicht ausschliesslich. Das Auswahlverfahren beruht auf mehreren Schritten. Nach Ausschluss gewisser Bereiche wie etwa Tabak- oder Rüstungsindustrie führen wir eine finanzielle Prüfung durch. Anschliessend folgt ein Screening im Umwelt- und Sozialbereich. Unternehmen, die dabei besonders gut abschneiden, werden übergewichtet, die anderen nur unterdurchschnittlich berücksichtigt. Dass wir in solche Firmen dennoch investieren, erlaubt einen wichtigen dritten Schritt. Wir haben damit als Aktionäre ein Mitspracherecht an Generalversammlungen und suchen den Dialog mit den verantwortlichen Managern.

Das unterscheidet Ihr Vorgehen von den allermeisten institutionellen Anlegern in Europa, sowohl bei Pensionskassen wie bei Fonds.
Sollen die Mitwirkungsrechte zur Geltung kommen, so bedarf es der vollständigen Unabhängigkeit. Mit einer Stiftung wie Ethos, die einzig Pensionskassen tragen, ist diese Unabhängigkeit gegeben. Sobald sich wie bei anderen Anlagestiftungen Banken beteiligen, sind Interessenkonflikte vorprogrammiert. Zudem braucht es natürlich auch den Willen der Stiftungsverantwortlichen, an Generalversammlungen zu intervenieren.

Nur, was vermögen solche Interventionen schon zu bewirken, insbesondere angesichts der geballten Depotstimmkraft der Banken?
Einspruch! Auf Grund der Anträge an der GV der Credit Suisse ist effektiv allerhand passiert. Immerhin wurde rund ein Viertel der Veranstaltungsdauer über Fragen der Corporate Governance diskutiert. Auch hat die CS erste Massnahmen in unserem Sinne ergriffen. Wurde beispielsweise von Seiten der Bank früher behauptet, die Einsitznahme des CEO und VR-Präsidenten Lukas Mühlemann im Ausschuss zur Lohnfestsetzung sei kein Problem, nimmt eben dieser Herr Mühlemann jetzt zumindest diese einflussreiche Position nicht mehr wahr.

Mit der unlängst bei der CS erfolgten Restrukturierung hat der gleiche Herr seine Position aber noch verstärkt.
Sicher sind noch nicht alle Fragen einer sinnvollen Machtverteilung gelöst, aber Schritte in die richtige Richtung wurden doch schon unternommen, und wir beobachten die weitere Entwicklung genau, werden notfalls auch wieder intervenieren.

Corporate Governance ist das neue Zauberwort bei der Beurteilung von Unternehmen. Wie beurteilen Sie die diesbezügliche Situation in der Schweiz?
Die Schweizer Wirtschaft kennt nach wie vor keine Regeln, die im Sinne von Best Practices gewisse Mindeststandards anerkennen. Und Pensionskassen verschaffen solchen Ideen kaum je Nachachtung, indem sie ihre Stimmrechte einsetzen würden. So haben wir eigene Richtlinien erarbeitet, nach denen wir an Generalversammlungen unsere Stimme erheben. Gleichzeitig sind derzeit im Rahmen des Pensionskassenverbandes Bemühungen im Gange, entsprechende Regeln zu definieren. Dann könnten die Verantwortlichen auf Grund einheitlicher Grundsätze jeweils abstimmen.

Englische Pensionskassen müssen per Gesetz Rechenschaft ablegen, ob sie nachhaltig investieren. Braucht die Schweiz ein ähnliches Gesetz?
Ja. Aber Pensionskassen müssen in ihren Anlageentscheiden frei bleiben. Die Stiftungsräte sollten über die Auswirkungen ihrer Anlagen vermehrt diskutieren. Und sie sollten die Mitglieder der Kassen über ihre Entscheide informieren. Aus meiner Sicht gibt es keine Gründe dafür, dass die Pensionskassenvertreter ihre Stimmrechte nicht wahrnehmen, wenn sie Gelder über Aktienbeteiligungen in eine bestimmte Firma investieren.

Die Vorkommnisse der jüngsten Zeit werfen die Frage auf, ob sich Fälle wie die erwähnte Sulzer Medica, aber auch das Swissair-Debakel so hätten verhindern lassen.
Ich denke schon, dass genau bei der fehlenden Mitwirkung der Aktionäre einer der Gründe für alle diese Problemfälle liegt. Gerade bei der nationalen Fluggesellschaft nahm doch der Verwaltungsrat seine Kontrollpflicht nicht genügend wahr. Und warum tat er dies nicht? Weil dessen Mitglieder zu wenig Unabhängigkeit aufwiesen und die Aktionäre sie dennoch gewählt hatten. Gleiches gilt doch etwa für die Bildverarbeitungsfirma Gretag Imaging, die eine verfehlte Expansionsstrategie verfolgte. Auch hier versagte die Kontrolle.

Die Kontrollpflicht des Verwaltungsrats ist per Gesetz festgehalten. Wozu braucht es zusätzliche Regeln?
Von der Unabhängigkeit des Verwaltungsrats ist nirgends die Rede. Regeln der Corporate Governance präzisieren entsprechende gesetzliche Vorschriften. Die Stellung des Verwaltungsrates, dessen organisatorische Voraussetzungen, um seiner Aufgabe nachzukommen, müssten klar gefasst sein. Während auf gesetzlicher Ebene nicht unbedingt Veränderungen nötig sind, bräuchten die Börsenreglemente Anpassungen, die den Gegebenheiten im Ausland entsprächen. Beispielsweise sind die Entschädigungen des Verwaltungsrats im Jahresbericht zu kommunizieren und jene der Generaldirektion zumindest global auszuweisen, inklusive der ausgerichteten Bonuszahlungen und allfälliger Stock-Options-Pläne.

Da hat ja die Zurich Financial Services Pionierarbeit geleistet.
So in etwa schon. Nur bleibt dort das Doppelmandat, das Rolf Hüppi als Präsident des Verwaltungsrats und der Generaldirektion innehat, fragwürdig. Wenn seine Wiederwahl im nächsten Jahr ansteht, werden wir möglicherweise aktiv werden.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kennt bereits solche Richtlinien. Was würde sich bei deren Übernahme hier ändern?
Die OECD-Grundsätze bilden zweifellos eine gute Basis. Dort ist übrigens die Unabhängigkeit des Verwaltungsrats als zentrales Erfordernis festgehalten. Ebenso muss eine börsenkotierte Gesellschaft in ihrem Jahresbericht begründen, warum sie allenfalls an einem Doppelmandat an der Unternehmensspitze festhält.

Das dürfte Schweizer Unternehmen eh nicht so schwer fallen, weil in der hiesigen vergleichsweise kleinen Volkswirtschaft Verflechtungen halt unumgänglich sind.
Die gröbsten Auswüchse liessen sich sicherlich verhindern. Man denke nur an die Verquickungen der Herren Kielholz, Bruggisser und Mühlemann, die sich für ihre Unternehmen Swiss Re, Swissair und Credit Suisse jeweils gegenseitig kontrollierten und dies dann eben nur beschränkt effizient auch wirklich machten. Das geht doch einfach nicht, wenn jeder der Chef des anderen ist. Vor allem sind solche Verhältnisse stossend, wenn sie die Mehrheit eines Gremiums betreffen.

Ihre Anlagestiftung hat sich den Namen Ethos gegeben – er ist gewiss als Programm zu verstehen.
Investieren nach ethischen Grundsätzen bedeutet nicht nur, gewisse Wirtschaftssektoren grundsätzlich von Investitionen auszuschliessen, wie wir das ja auch machen. Vielmehr gilt es, neben den finanziellen Überlegungen auch solche einzubeziehen, die Umwelt- und Sozialaspekte betreffen. Gerade für langfristige Geldanlagen – und wir verstehen uns ja nicht als kurzfristige Spekulanten – sind solche Überlegungen besonders wichtig, weil sie sicherlich wiederum auch das finanzielle Ergebnis beeinflussen. Da wir das Ganze nicht dogmatisch anpacken wollen und die letzten Wahrheiten der ethischen Geldanlage ja auch noch nicht kennen, suchen wir diesbezüglich auch den Dialog mit den Firmen. Damit sensibilisieren wir in den Firmen die Verantwortlichen für entsprechende Überlegungen. Die Verhältnisse in einem Unternehmen sind ja nie einfach nur schwarz oder nur weiss.

Wenn Sie sich als langfristiger Investor sehen, schliessen Sie dann Aktienverkäufe zur kurzfristigen Realisierung überdurchschnittlicher Gewinne aus?
Wechselt ein Unternehmen seine Strategie, sodass die Investition nicht mehr unseren Vorstellungen der ethischen Geldanlage entspricht, ist ein Verkauf der Wertpapiere nach kurzer Haltedauer denkbar.

Aktien erfolgreicher Unternehmen der Alternativenergiebranche behalten Sie trotz hohen Wertsteigerungen?
Auf jeden Fall. Wichtig ist eine Betrachtung der Branche und die Frage, ob ein gutes Unternehmen eine Pionierrolle spielt und diese auch halten kann.

Sie legen in erster Linie Gelder für Pensionskassen an. Die Mitglieder der Kassen sind allerdings über das Gebaren ihrer Pensionskassen meist schlecht im Bilde. Was raten Sie?
Immer wieder Fragen zu stellen, auch wenn die Materie kompliziert erscheint. Insbesondere sollte man sich nicht scheuen, auch so genannt dumme Fragen zu stellen! Zentrale Aspekte für jeden betreffen den Anteil des Pensionskassenkapitals, der in Aktien investiert wird, die Frage der Auswahlkriterien entsprechender Anlagen und schliesslich, warum und ob überhaupt das Stimmrecht ausgeübt wird. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, steht es dann ja jedem Kassenmitglied frei, bei einem Angehörigen des Stiftungsrats zu intervenieren.

Ihr Erfolg im institutionellen Bereich hat das Interesse der Kleinanleger geweckt. Was raten Sie derzeit?
Kleinanleger können weniger direkt als Institutionelle aktiv werden. Sie können sich aber zusammenschliessen. Beispiele gab und gibt es auch in der Schweiz. Um Einfluss auszuüben, gilt auch hier wieder, nicht einfach nur die besten Unternehmen auszusuchen, sondern gerade bei schlechteren den Versuch der Intervention zu wagen. Eine andere Möglichkeit ist die Investition über Fonds, aber genau da fehlt dann die Unabhängigkeit der Fondsleitungen, werden doch die meisten dieser Finanzinstrumente direkt oder indirekt durch die hiesigen Banken gemanagt.

Abschliessend Ihre Meinung zum Shareholder-Value-Denken.
Viele Vermögensverwalter sagen: Wenn es den Aktionären gut geht, geht es allen gut. Mein Kredo lautet umgekehrt: Damit es allen gut geht, muss es zuerst den Mitarbeitenden und der Kundschaft gut gehen.
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