2016 ist das Jahr der Börsencrashs, die nicht eingetroffen sind: Im Juni entschieden sich die Briten für den EU-Austritt – die Kurse stiegen nach wenigen Tagen wieder kräftig. Das gleiche Muster zeigte sich im November: Wenige Stunden nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten legten die Börsen zu – dabei galt ein Trump im Weissen Haus für die meisten Experten zuvor als Horrorszenario für die Weltwirtschaft.

Nun lassen auch der Abstimmungsentscheid und der Regierungswechsel in Italien die Anleger kalt. Mehr noch: Einige Börsen steigen seit Montag sogar deutlich. Der deutsche Dax-Index etwa kletterte  auf den höchsten Stand seit über einem Jahr und am Donnerstag erstmals wieder über 11'000 Punkte, der Dow in New York erreichte einen neuen Höchststand. Viele Beobachter hatten vor allen drei Abstimmungen nach solchen Resultaten eine negative Reaktion an den Börsen vorausgesagt. Wieso blieb das Börsenbeben jetzt auch in Italien aus? Hier sind vier Erklärungsversuche:

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1. Das Resultat war erwartet worden

Die offensichtlichste Erklärung zuerst: Im Gegensatz zu den beiden anderen Abstimmungen waren vor dem italienischen Referendum die Meinungsumfragen korrekt gewesen. Das Resultat war im Markt «eingepreist» – schon letzte Woche hatten die Aussichten auf die Ablehnung der Verfassungsreform und den Rücktritt von Renzi die Börsenkurse belastet.

2. Die Notenbank wird es richten

Die gefasste Reaktion an den Börsen erklärt sich auch mit der Rolle der Europäischen Zentralbank: Seit zwei Jahren unternimmt die EZB nach den Worten ihres Chefs Mario Draghi «alles Notwendige», um den Euro zu erhalten. Anleger erwarten, dass die EZB zur Stelle ist, falls sich die wirtschaftlichen Probleme in Italien zuspitzen.

«Seit der Finanzkrise vertrauen Anleger darauf, dass die Notenbanken nach solchen Ereignissen helfend eingreifen», sagt Panagiotis Spiliopoulos, Leiter Research bei der Bank Vontobel. Nach dem Brexit hätten sie mit Unterstützung der Bank of England gerechnet, nach der Wahl von Donald Trump mit Rückendeckung der US-Notenbank Fed. «Jetzt richtet sich der Blick auf die Europäische Zentralbank», so Spiliopoulos.

Die EZB hat am Donnerstag ihr Anleihen-Kaufprogramm um weitere sechs Monate bis zum Herbst 2017 verlängert. Seit März 2015 kauft die Notenbank monatlich Wertpapiere auf, derzeit im Umfang von 80 Milliarden Euro. Die Bank of England hat nach dem Brexit ebenfalls gehandelt.

3. Vorsichtige Anleger und Leerverkäufe

Zwar ist die Überraschung in Italien ausgeblieben. Anleger konnten aber dennoch nicht sicher sein, wie die Märkte reagieren würden. Das ist eine weitere Erklärung, wieso die Märkte am Montag gestiegen sind: Viele Anleger haben sich für den Fall abgesichert, dass die Kurse sinken – oder sie haben auf dieses Szenario gewettet.

Ein Beispiel für eine Wette auf fallende Kurse sind Leerverkäufe: Investoren verkaufen eine Aktie, die sie gar nicht besitzen, sondern nur geliehen haben. Sie spekulieren darauf, den Titel vor der Rückgabe günstig beschaffen zu können. Wenn der Kurs nach oben schiesst, geraten sie unter Zugzwang. Sie müssen den Titel früher als geplant kaufen, um keinen Verlust zu riskieren. Ein vorsichtiger Investor verkaufte letzte Woche womöglich alle seine italienischen Papiere – und kaufte sie am Montag wieder zurück, weil die Börsen zulegten. Wenn im Vorfeld viele Marktteilnehmer auf fallende Kurse setzen, kann also ein Aufwärtstrend entstehen.

4. Der Blick nach vorne

Die Börsenreaktion am Montag überrascht, schliesslich ist der Regierungswechsel in Italien keine gute Nachricht für Italiens Wirtschaft: Die Politik bleibt jetzt voraussichtlich monatelang nur eingeschränkt handlungsunfähig, obwohl das Land eine rasche Lösung für die Bankenkrise benötigt. Die Börse ist aber auch ein Zukunftsbarometer, und Anleger blicken bei ihren Entscheiden nach vorne. Wenn das Abstimmungsresultat vorliegt, können sie sich mit der Situation arrangieren. Der Regierungswechsel in Italien schaffen zwar neue Unsicherheiten, aber zumindest ist klar, wie sich die Wählerinnen und Wähler entschieden haben.