Das Sägemehl klebt seit Tagen im Schnurrbart von Chuck Kelsey. Behutsam hobelt er an einem leicht gebogenen Holzstück, bläst die Späne weg und legt es an das abgerundete Fenster der Bootsbrücke. Bruchteile eines Millimeters müssen noch weg. Kelsey spannt die abgerundete Latte erneut in den Schraubstock und schmirgelt weiter.

Vierzehn Tage lang haben Kelsey und drei andere Bootsbauer die hölzerne Rinne des Steuerhauses geformt. Aussergewöhnlich sei dieser Aufwand nicht. «Zeit ist zweitrangig», so Kelsey, «es geht einzig darum, ein exzellentes Schiff auszuliefern.»

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Seit vier Jahren arbeitet Kelsey auf dieses Ziel hin. Er war dabei, als der erste Baumstamm, eine uralte Fichte, in East Boothbay im US-Bundesstaat Maine ankam. Er wird dabei sein, wenn die hand- gefertigte Luxusjacht Scheherazade ins Meer sticht. Über 80 Millionen Dollar bezahlt ein New Yorker Vermögensverwalter für das Segelschiff der Superlative, eines der exquisitesten Privatboote, das je gebaut worden ist. Eine so genannte Megajacht, auf der neuste Technologie und althergebrachtes Kunsthandwerk harmonieren.

So lang wie eine Boeing 757

Das 47 Meter lange Boot trägt einen sagenumwobenen Namen aus der arabischen Märchenwelt. Der Besitzer wollte sich wohl einen alten Traum erfüllen, begründet Tim Hodgdon den ausgefallenen Namen. Hodgdon, ein schlaksiger und scheuer Kerl, der ständig an seiner zerknüllten Baseballmütze zupft, ist Eigner von Hodgdon Yachts, eine von weltweit sechs Werften, die derart luxuriöse Holzschiffe bauen kann. Hodgdon gilt als Nonplusultra. «Exzellenz, nicht Perfektion strebe ich an», sagt Tim Hodgdon, der die Firma in fünfter Generation führt. Es reicht nicht, wenn ein Stück Holz passt, eine Schraube sitzt, eine Seilwinde dreht. Sei bei einem Gemälde die intuitive Brillanz des Künstlers spürbar, müsse man bei seinen Booten die Hände der Bootsbauer fühlen.

Tausende farbiger Punkte liegen in der Bucht von East Boothbay, es sind Bojen, an denen Hummerfallen hängen. Der Damariscotta River mündet hier ins Meer, in einen der unzähligen malerischen Fjorde entlang der gezahnten Küste Maines. Seit über dreihundert Jahren werden entlang dieses Flusses Schiffe gebaut. Etliche Handwerker, die nun die «Scheherazade» fertigen, entstammen Bootsbauer-Dynastien. «Meine Familie baut hier Schiffe seit der amerikanischen Revolution», sagt Kelsey.

Ein Schiff so spektakulär wie die «Scheherazade» habe er noch nie gebaut. «Sie ist aussergewöhnlich, in jeder Hinsicht.» Ein Kollege sagt, sie sei «ein wahnsinniges Boot mit viel zu vielen Details.» Deren schiere Grösse hat die Kapazitäten von Hodgdon gesprengt, die Hauptwerft war schlicht zu klein. Die Firma liess eigens für die kolossale Jacht ein neues, hoch modernes Gebäude errichten. Knapp nur hat die «Scheherazade» darin Platz.

Sie ist so lang wie ein 757-Jet von Boeing, von Kiel bis Deck so hoch wie ein fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus. Die Spitze des Hauptmasts liegt 56 Meter über der Wasseroberfläche. Der Besanmast, der den Satellitenempfänger trägt, ist nur unwesentlich kürzer. Fertigen liess Hodgdon die zwei Segelträger aus Kohlenstofffasern in Neuseeland. Ein Frachter transportierte sie um die halbe Welt nach Delaware, wo sie in einen Schleppkahn umgeladen und nach Boothbay gezogen wurden. Setzen wird sie der höchste Kran von Maine.

Je älter das Holz, desto stabiler und kräftiger gerät der Bauch einer Jacht. Im Staat Washington fanden die Bootsbauer eine 600 Jahre alte Fichte. Daraus und aus Kunststoff formten sie in eineinhalbjähriger Geduldsarbeit den Rumpf. «Aus einem Baum, der lange vor der Ankunft Kolumbus’ wuchs», sagt Rob McFarland, ein unscheinbarer Bootsbauer, der seit fünf Jahren bei Hodgdon arbeitet. Es handle sich um Sturmholz, betont er.

Mittlerweile glänzt das zähe, zu einem bauchigen Schiffsrumpf modellierte Material in blauem Lack. Darüber liegt das Deck aus Teakholz.

Alles auf der «Scheherazade» ist Massarbeit, nichts ab Stange gekauft. Drei Schnitzer haben 500 Ornamente aus Nussbaumholz gefertigt. Sie stellen Muscheln dar, an Land gespültes Seegras, Seepferdchen, und sie verzieren die Leisten unter Deck. Jedes Stück habe eine eigene Charakteristik, sagt Greg Rollins, einer der drei Holzschnitzer. Pro Stück hat er zehn Stunden geschnitzt. Die Verkleidung der Innenräume versah Rollins mit dem kostbaren Holz des Maulbeerbaums; daraus werden gewöhnlich die empfindlichen Rückseiten von Geigen gefertigt.

Ein Rennen mit der Zeit

Noch ist der ebenfalls mit Maulbeerbaumholz ausgekleidete Salon komplett in Plastik gehüllt. Er wird lackiert. Kein Staub soll rein, keine giftigen Dämpfe raus. In Schutzanzügen und Gasmasken tragen zwei Männer die Farbe auf. Nach dem Trocknen folgt die nächste von insgesamt zehn Schichten.

Es ist Ende August. Die Jacht sieht nicht so aus, als ob sie in einem Monat ins Wasser ginge. Regungslos steht sie auf vier Eisenpfeilern. Auf drei Etagen legen 87 Bootsbauer Hand an. An der Wand hängt ein Zettel, auf dem die täglich zu erledigenden Arbeiten aufgelistet sind. Es ist ein Rennen mit der Zeit. Am 27. September, zur Mittagszeit, steht die Flut in East Boothbay heuer letztmals hoch genug, um ein Schiff von dieser Grösse problemlos zu wassern. Das Datum des geplanten Stapellaufs ist auf einer Tafel in Bronze gegossen. Da lässt sich nichts mehr verschieben. Nur noch zwischen 2 bis 6 Uhr früh schliesst jetzt die Werft. Sonst wird im Schichtbetrieb gearbeitet, auch am Wochenende. Damit sich Schnitzer und Maler nicht in die Quere geraten, kommen die einen früh, die anderen spät. «Natürlich bin ich froh», sagt Bootsbauer McFarland, «wenn sie endlich rechts abbiegt», den Damariscotta River runtersegle und am Horizont verschwinde. Sie alle hätten die «Scheherazade» jedoch ins Herz geschlossen. Sie sei ja auch ihr Boot. Zumindest einen halben Tag lang darf jeder Bootsbauer sie segeln. Liegt das Prunkstück mal im Wasser, wird es nämlich noch wochenlang auf seine Seetüchtigkeit getestet. Die Arbeiter fahren dann mit. Das vereinfache den Abschied. «Hoffentlich windet es wie wahnsinnig», sagt McFarland, der selbst ein Kanu besitzt und kein grösseres Schiff will.

Über die hintere Treppe verschwindet er unter Deck. Nur Kunstlicht beleuchtet hier die Zimmer, den Salon und die Büros. Klimaanlagen versorgen die Jacht mit frischer Luft. Luken fehlen. Der Grund für das fensterlose Schiff: Jachtdesigner Bruce King mag es elegant und möglichst tief liegend. Fenster wären da hinderlich.

Segel werden per Computer gesteuert

Bequem übernachten können elf Personen – fünf Crewmitglieder, sechs Passagiere. Sie teilen sich sechs Schlaf- und sieben Badezimmer. Das Besitzerpaar nächtigt im geräumigen Schlafgemach beim Heck. Es gibt ein Badezimmer für ihn, ein kleineres für sie. Dann folgen sein und ihr Büro. In den beiden Gästezimmern hat es je zwei Betten und eine Toilette mit Dusche. Im Salon dinieren sechs Personen, die Besitzer und die vier Gäste.

Die Crew lebt im Bug. Sie isst in einer separaten, etwas eng geratenen Ecke. Dem Kapitän steht eine Einzelkabine zu, das Bad muss er nicht teilen. In Kajüten schlafen die Stewardess und die Köchin sowie, in einer anderen Koje, der Ingenieur und der Erste Offizier. Sie teilen sich zwei enge Waschräume. Hinzu kommt noch die Kombüse.

Fünfte Generation
Hodgdon Yachts in East Boothbay im US-Bundesstaat Maine gehört zu den bedeutendsten Herstellern von gemäss den Kundenwünschen handgefertigten Luxusjachten. Seit vier Jahren arbeiten die rund 90 Mitarbeiter an der «Scheherazade». Über 400 Schiffe wurden im Familienbetrieb seit 1816 gebaut, hauptsächlich kommerzielle. Während beider Weltkriege und später des Koreakriegs liefen überdies Minensuchboote vom Stapel. Erst in den Achtzigerjahren begann die Firma, die Tom Hodgdon heute in fünfter Generation führt, Superjachten zu fertigen.


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Solange der Vorrat reicht, kann die «Scheherazade» segeln. Täglich fünf Tonnen Frischwasser kann die bordeigene Entsalzungsanlage bereitstellen. Eine Kläranlage reinigt das Abwasser. Aufs ganze Schiff verteilt sind 17 Computer und sieben Server. Auf jedem der Bildschirme mit Berührungseingabe können die Segel gehisst, die Jacht gesteuert, die Klimaanlage verstellt, die Pegelstände von Wasser und Diesel überprüft, die Hydraulik bedient werden. Ein Satellitenempfänger sorgt für eine schnelle Verbindung ins Internet.

Was die «Scheherazade» einzigartig mache, sei das feine Zusammenspiel zwischen ausgeklügelter Technik und anspruchsvollem Kunsthandwerk, betont Tim Hodgdon, der Werftbesitzer. «Wir bauen unsere Schiffe in derselben jahrhundertealten Technik und packen dann neustes Hightech rein.»

Nur das Beste käme aufs Boot. So liess er die Verschalung der Brücke in Rhode Island fertigen, die dazugehörigen Fenster in Deutschland. Deutsche Ingenieure reisten eigens an, um die Scheiben zu installieren. Die Technologie im Unterleib stammt aus Holland. Das Deck zimmerten Spezialisten in Florida aus besonders dauerhaftem und widerstandfähigem Teak, einem ölhaltigen Tropenholz, das Salzwasser trotzt. Der 75 Tonnen schwere Stahlkiel goss eine Giesserei in Kanada.

Der Besitzer kann immer zusehen

Wer der Herr «Scheherazade» ist, wissen in East Boothbay alle. Preisgeben will es niemand, Hodgdon partout nicht. «Das ist angesichts ihrer Schönheit gar nicht wichtig», sagt er. Es sei ein reicher Mann, der bereit sei, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Gemäss Firmensprecher Ted Smith verwaltet er in Manhattan die Vermögen vermögender Menschen. Er ist Mitte 60 und besitzt weltweit Häuser, etwa in Maine, aber auch in der Schweiz. Drei bis vier Mal jährlich besucht er die Werft, erzählen die Bootsbauer. Er sei ein netter, bescheidener Mann, der sich schlicht kleide. Einmal habe er zwei Enkel mitgebracht, die begeistert auf dem Deck herumtollten. Jedes Jahr am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, lädt er die Handwerker zu einem Fest ein.

Jederzeit und überall kann der Besitzer den Lauf der Dinge verfolgen. Vier Kameras sind ständig auf die «Scheherazade» gerichtet. Die Bilder, die sie einfangen, werden via Internet übertragen. Anfänglich hörte er dem Treiben in der Werft sogar zu. Die Bootsbauer protestierten, die Mikrofone verschwanden rasch. Unangemeldet sei er an einem Sonntag in East Boothbay vorbeigekommen, sagt Ted Smith. «Ich will ein schönes Segelschiff», habe er zu Tim Hodgdon gesagt. Der schickte ihn zu Bruce King, dem amerikanischen Designer, und Andrew Winch, dem britischen Innenarchitekten. Ein Handschlag reichte, um zu starten.

Als «Mensch, der sich kauft, was er will, wann er es will», bezeichnet Maler Peter Kidder den Besitzer. «Er ist eine Person, die weiss, dass seine Handlungen Konsequenzen haben.» Tatsächlich. Vier Jahre lang beschäftigte er fast 90 Hodgdon-Angestellte, die ausschliesslich an seinem Schiff arbeiteten. Die Zulieferer eingerechnet haben rund 500 Leute für die «Scheherazade» gewirkt. Auch eine Fotografin, die den ganzen Schiffsbau dokumentiert. Dereinst soll ein Hochglanzbuch über den Jachtbau erscheinen.

Wie viel am Schluss alles kostet, will niemand sagen. «Wir wissen es gar nicht», sagt Smith. Nach wie vor gebe es Änderungen. Insgesamt stecken über eine halbe Million Arbeitsstunden in der Jacht. Angesichts des Aufwands dürften es 80 bis 100 Millionen Dollar sein.

Eine Investition, die sich direkt nie rechnet. Allein die Unterhaltskosten sind enorm. Wer eine Jacht bauen lässt, muss sie innert drei Jahren nochmals kaufen, so die Faustregel. Zudem verliert ein derart ausgefallenes Schiff an Wert, sobald es im Wasser liegt. Ein Markt für gebrauchte Megajachten existiert kaum, es fehlen die Käufer. Wer derart viel für ein Objekt ausgibt, will ein Unikat nach eigenem Gusto. Als «ultimativen Luxus» bezeichnet Ted Smith daher den Kauf einer Superjacht nach Mass. «Du kaufst etwas, das man nicht unbedingt braucht, das viel kostet, und das stetig an Wert verliert.» Es sei denn, die Jacht dient als schwimmendes Büro. Bestens eignen sich die Gästezimmer der «Scheherazade» nämlich, Kunden auf eine Cruise einzuladen und zu beeindrucken. Eine Woche im Mittelmeer – und die Passagiere dürften dem Besitzer die Verwaltung ihrer Portfolios anvertrauen.

Beim Bau der Luxusjacht spiele Geld allerdings keine Rolle, «darf es nicht», sagt Smith. «Es geht darum, die Vision von Besitzer und Designer umzusetzen.» Dem werde alles untergeordnet. Smith vergleicht die Kundschaft mit Kunstmäzenen. «Sie sind besessen davon, etwas Schönes in die Welt zu setzen, egal, wie viel es kostet.» Jemand, der sich auf ein solch monströses Unterfangen einlasse, stünden ein paar Millionen mehr oder weniger nicht im Weg. Viel eher brauche er Geduld. Wer wartet nach der Bestellung schon vier Jahre auf die Lieferung.

Seit zwei Jahren arbeitet Kapitän Michael Moneyhan für den Besitzer der «Scheherazade». Er und seine Crew haben sich in einem Container unmittelbar neben dem Werftgebäude eingerichtet. Der Kapitän bestreitet, auf dem Trockenen nichts zu tun zu haben. Jedes Schiff, das er steuere, baue er mit, sagt Moneyhan. Er müsse sämtliche Innereien kennen, um auf hoher See Überraschungen auszuschliessen.

Rund zehn Wochen im Jahr werde der Besitzer auf dem Schiff sein, schätzt der Kapitän. Ansonsten lasse er die Besatzung wissen, wohin sie die «Scheherazade» segeln soll. Er fliegt dann hinterher. Dann gehört die Jacht dem Kapitän? «Nein», sagt Moneyhan. Er sei angestellt worden, weil er die «schönsten Orte der Welt» kenne. «Wer zwischen Mittelmeer und Karibik hin- und hersegeln will, braucht mich nicht.» Der Besitzer beabsichtige, ausgefallene Destinationen anzusteuern. Daher sei die «Scheherazade» eher in Patagonien oder der Türkei als in Monte Carlo zu sichten.

Am 27. September, am Mittag, wurde die «Scheherazade» ins Wasser gesetzt. Tausende von Schaulustigen kamen. Sie wurden mit Hot Dogs, Bier und Coca-Cola bewirtet.

Peter Hossli ist Journalist in New York.