BILANZ: Herr Biver, Ihre berühmteste Uhr ist rabenschwarz. Sie hat schwarze Zeiger, ein schwarzes Zifferblatt, ein schwarzes Gehäuse und ein schwarzes Armband. Warum?

Jean-Claude Biver: Es geht mir um ein Phänomen, das ich die unsichtbare Sichtbarkeit nenne. Eine Uhr besteht aus vielen Details. Jedes muss perfekt gemeistert werden. Ein Zeiger zum Beispiel muss ein perfekter Zeiger sein. Aber er muss auch in seinem Verhältnis zu den Nachbardetails perfekt gemacht sein. Das Verhältnis der einzelnen Details zueinander ist unsichtbar, das Gesamte aber wird sichtbar. Das Ganze sind Strahlen, die aus der Uhr kommen, ins Auge gehen und – tschuff!! − direkt ins Blut gelangen. Wenn es gelungen ist, sagt der Mensch: Aaahhh! Ich liebe diese Uhr.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Klingt hübsch. Nur kann man bei der schwarzen Uhr die Zeit kaum ablesen.

Ist ja auch völlig nebensächlich. Es wäre sehr irrational, eine Uhr zu kaufen, um die Zeit abzulesen. Okay, wenn es eine Uhr für 50 bis 100 Franken ist, geht das noch in Ordnung. Dann kaufe ich eine Swatch, kriege gute Qualität und gutes Design. Wird die Uhr aber teurer, macht das keinen Sinn mehr.

Warum also soll ich eine teurere Uhr kaufen?

Ich wollte das Irrationale mit meiner All-Black-Uhr demonstrieren. Und ganz klar sagen: Du kaufst doch keine Uhr, um die Zeit abzulesen. Du kaufst die Uhr wegen der Emotion, wegen eines Traumes, du kaufst sie als Statussymbol, vielleicht aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus oder weil du kommunizieren willst. Mit einer Uhr willst du deinen Charakter zeigen, du willst deine Originalität zeigen, du willst exklusiv sein. Du willst vielleicht sagen, niemand hat so etwas wie ich. Am Ende des Tages, okay, zeigt die Uhr auch noch die Zeit an. Warum auch nicht?

Warum auch nicht, sagen Sie? Die Zeitanzeige ist doch zentral.

Kein Mensch kauft einen Bentley mit Vierradantrieb, um in die Berge zu fahren oder mit 300 Kilometern pro Stunde über die Autobahn zu brettern. Man kauft sich einen Bentley des Status wegen oder weil man schon lange von einem englischen Luxusauto geträumt hat. Kauft eine Frau ihre Louis-Vuitton-Tasche, um ihre Siebensachen zu transportieren, oder kauft sie sie als Statussymbol? Was früher die erste Funktion einer Sache war, ist im Luxus nebensächlich geworden.

Und das sagt ausgerechnet ein Uhrmacher?

Wenn Sie Luxusuhren verkaufen wollen, ist das eine kapitale Einsicht: Man liest nicht die Zeit ab, man schaut die Uhr an. Ich verrate Ihnen eine zweite kapitale Einsicht: Wenn jemand eine Uhr für 20  000 Franken kauft, ist es todsicher, dass er noch im gleichen Jahr mindestens eine zweite kauft. Wenn jemand hingegen eine Uhr für 2000 Franken kauft, ist es ebenso todsicher, dass er in den nächsten fünf Jahren keine neue kauft. Wenn Sie also Uhren für 20  000 Franken produzieren, müssen Sie sicherstellen, dass der Kunde bei Ihnen im selben Jahr eine zweite Uhr findet. Findet er sie nicht, wird er Ihrer Marke den Rücken kehren und sich anderswo eindecken. Also braucht es Spezialserien, limitierte Auflagen, Unikate und so weiter. Sie müssen konstant an Ihren Kunden denken und dürfen ihm keine Chance geben, sich anderswo einzudecken.

Was macht eigentlich eine gute Uhr aus?

Als ich die schwarze Uhr lancieren wollte, haben sich meine Leute zuerst gewehrt. Sie sagten mir: Herr Biver, da gehen Sie ein bisschen zu weit, das ist übertrieben. Gut, habe ich geantwortet, dann machen wir eben eine limitierte Ausgabe: 250 Stück. Da waren alle einverstanden. Wir haben dann für die Uhr umgehend 2727 Bestellungen erhalten, sind jedoch hart geblieben und haben nur 250 Stück verkauft. Die All Black ist heute bestimmt die erfolgreichste Uhr von Hublot. Wir waren nicht die Ersten, die auf Schwarz gesetzt haben, aber wir sind die Ersten, die das so konsequent getan haben. Und wir waren auch nicht die Ersten, die Keramik verbaut haben. Aber wir waren die Ersten, die Keramik zu einer stark technologischen und machomässigen Ausstrahlung gebracht haben. Die Uhr sieht stark aus.

Nochmals: Was macht eine gute Uhr aus?

Zum echten Luxus gehören drei Dinge: Erstens muss das Produkt eine Anknüpfung an Tradition haben. Zweitens muss es eine Anknüpfung an Kultur haben. Und drittens muss es in der Qualität unerreichbar gut sein. Nur wenn man alle drei Werte hat, ist man in der Welt des echten und absoluten Luxus. Dann spürt man Glaubwürdigkeit und Echtheit.

Wann haben Sie das letzte Mal gesagt: Wow, das ist ein tolle Uhr?

Als ich erstmals die Uhr vor mir hatte, die ich seit zwei Jahren trage, die Big Bang All Black. Design und Qualität sind ausserordentlich. Man kann natürlich fragen, wo denn die Anknüpfung an Tradition bleibe und wo die Anknüpfung an Kultur. Nun, die Antwort lautet: In der Uhr tickt ein mechanisches Werk, ein Chronograph, ein «getuntes» Valjoux 7750, um genau zu sein.

Davon gibt es vielleicht Millionen.

Jawohl, davon gibt es vielleicht Millionen. Aber das 7750 war, als es in den siebziger Jahren herauskam, ein absolutes Wunderwerk. Es ist noch heute, 30 Jahre später, qualitativ das beste mechanische Chronographenwerk. Vielleicht kann man es ein bisschen flacher machen, vielleicht kann man es ein bisschen kleiner machen, vielleicht kann man es ein bisschen anders machen. Aber das 7750 ist pure Qualität, es ist eine Legende, es wird nie sterben, es wird in Geschichtsbüchern als uhrenmechanischer Meilenstein festgehalten werden, und es kommt aus dem Vallée de Joux. Also haben wir eine Anknüpfung an wahre Leistung und uhrmacherische Tradition und Kultur.

Trotzdem: Es ist kein eigenes Manufakturwerk.

Für die meisten Uhren kaufen wir bei Hublot die Werke ein. Für die Spitzenmodelle bauen wir eigene Werke, im Jahr 2008 werden es 800 Stück sein, dann 5600, und im Jahr 2010 wollen wir 8100 eigene Werke bauen.

Der Erfolg gibt Ihnen recht. Hublot machte 26 Millionen Franken Umsatz, als Sie 2004 ans Ruder kamen. Heute?

Als ich kam, betrug der Umsatz 26 Millionen, wir produzierten 11  900 Uhren und machten einen Verlust von 2,4 Millionen Franken. Letztes Jahr erreichte der Umsatz 177 Millionen, wir produzierten 24  900 Stück und machten 28 Millionen Gewinn. Für 2008 haben wir 250 Millionen Umsatz budgetiert, 33  000 produzierte Uhren und 40 Millionen Gewinn.

Ihr Fernziel?

Im Jahre 2012 wollen wir 60 Millionen Gewinn erreichen.

Das klingt höchst zuversichtlich. Keine Angst vor der Finanzkrise?

Wir hatten bis jetzt null Stornierungen. Wir hatten den besten Januar der Firmengeschichte. Das Potenzial meiner Marke liegt weit über dem, was ich derzeit produzieren kann. Selbst wenn es also schlechter wird und die Nachfrage abnimmt, würden wir wachsen, weil wir ohnehin die Nachfrage nicht befriedigen können. Ich glaube aber sowieso, dass die Subprime-Krise keinen allzu grossen Einfluss auf Industrie und Wirtschaft hat. Ausser man redet die Krise noch herbei.

Ihr Erfolg hat auch seinen Preis. Wie sieht es mit Ihrer Work-Life-Balance aus?

Ich war gestern bei meinem Arzt, weil ich stark vergrippt bin. Ich musste auf die Waage stehen, und ich war 116 Kilogramm schwer. Das letzte Mal war ich 2003 beim Arzt. Damals wog ich 88 Kilogramm. Die Differenz verdanke ich Hublot. Seitdem ich bei Hublot bin, treibe ich keinen Sport mehr.

Sie haben das Velofahren aufgegeben, das Sie so sehr liebten?

Im Jahr 2003 fuhr ich mit dem Fahrrad 10  000 Kilometer. Im Jahr 2004 null. Ebenso im Jahr 2005, im Jahr 2006 und im Jahr 2007. Dieses Jahr beginne ich wieder. Ich baue Biver wieder auf.

Und das schaffen Sie?

Klar, immer, wenn etwas schlecht geht, bin ich motiviert, es zu ändern. Mit meiner Gesundheit ist es derzeit nicht zum Besten bestellt. Das werde ich ändern. Ich habe in den letzten Jahren von 4 Uhr morgens bis 19 Uhr gearbeitet. Täglich. Von 21 bis 22 Uhr habe ich Mails beantwortet. Und das hat viel Gesundheit gekostet und viel Familienleben.

Was sagte Ihre Frau dazu?

Meine Frau hat es verstanden und unterstützt. Aber bis 2012 wird sie es nicht mehr unterstützen wollen und auch nicht mehr unterstützen können, denn ich würde endgültig ausfallen. Ich komme jetzt zum Glück bei der Firma in eine Phase, in der wir uns erlauben können, Strukturen aufzubauen und Leute beizuziehen. Wir haben langsam ein Team zusammen, und je mehr dieses Team funktioniert, desto mehr kann ich in den Hintergrund treten.

Können Sie delegieren?

Ich muss. Für meine Gesundheit. Und für die Gesundheit der Firma Hublot. Sonst gerät ja auch die Firma in Gefahr. 2008 ist das Jahr, in dem wir Strukturen brauchen und ich mehr als Dirigent fungieren werde denn als Pianist.

Was treibt Sie an?

Es sind zwei Elemente. Natürlich liebe ich meinen Job. Und ich liebe Uhren. Wenn ich aus Leidenschaft arbeite, kann ich es ohne Ende tun, denn ich habe nicht das Gefühl zu arbeiten. Wenn ich den ganzen Tag Geschirr spülen müsste, dann würde es mir langweilig, und ich würde abhauen. Oder krank werden. Ich habe Glück, dass ich meinen Job mit Leidenschaft tun kann, das ist der erste Drive. Es gibt einen zweiten: Erfolg. Wenn ich etwas tue, will ich keine Niederlage. Ich will Erfolg. Ich bin schon als Kind so erzogen worden. Wenn man etwas tut, muss man es richtig tun und mit Erfolg. Sonst muss man gar nicht erst damit beginnen.

Eine Droge?

Sicher. Leidenschaft, gepaart mit dem Willen zum Erfolg, bedeutet eine zweifache Motivation. Bei Hublot kam eine dritte dazu, ich hatte sozusagen drei Triebwerke am Flügel. Hublot war für mich eine Art Comeback nach dem Abenteuer mit Blancpain. Das Comeback zu einem kleinen Unternehmen, das nicht mehr gut läuft. Wenn ich dieses Comeback vermasselt hätte, dann hätte man gesagt: Biver hat es nicht geschafft, und meine Karriere wäre mit einem Misserfolg zu Ende gegangen. Das wäre den Leuten dann in Erinnerung geblieben, alle meine früheren Erfolge wären für die Katz gewesen. Das konnte ich mir nicht erlauben. Ein vermasseltes Comeback ist das Schlimmste.

Sie haben bei Blancpain Anfang der achtziger Jahre das Revival der mechanischen Uhr vorausgesehen und einen Trend mitbegründet. Bei Hublot haben Sie jetzt die Verschmelzung von verschiedenen Hightech-Materialen als Bauteile für Uhren propagiert und einen zweiten Trend lanciert. Was kommt als Drittes?

Wenn Sie mich bei Blancpain 1982 gefragt hätten, was als Zweites kommt, hätte ich nie an Hublot und die Fusion von Materialien gedacht. Nie! Erst im Jahre 2004 habe ich den nächsten Schritt gesehen. Ich habe mir gesagt, dass Menschen, die zwischen 1970 und 1980 geboren wurden, heute eine neue Vision der Uhr wollen. So wie sie auch neue Frisuren wollen und eine eigene Musik. Sollen wir diesen Menschen immer nur eine Golduhr geben? Brrrr, wie langweilig! Eine Stahluhr? Langweilig! Eine Weissgolduhr? Langweilig! Ja, mein lieber Biver, sagte ich mir, mehr gibt es nicht in der Luxusuhrenindustrie. Es gibt weisse Uhren aus Weissgold, Platin oder Stahl. Und es gibt gelbe Uhren aus Gold.

Und so kamen Sie auf das Thema Fusion.

Ich sagte mir, wie wäre es mit ganz neuen Materialien für die neue Generation? Die will vielleicht Keramik, sie will vielleicht Tungsten (Wolfram), Karbon, Kevlar oder Tantal. Die neue Generation will nicht unbedingt die Golduhr vom Vater. Das war für uns bei Hublot die Grundidee, wir haben gesagt, wir machen eine Bresche auf, und wir haben das Big Bang genannt. Wir machen etwas kaputt, um ein neues Universum zu kreieren. Das war der Knaller, denn damit haben wir eine ganz neue Generation angesprochen, die ihre eigene Welt in der Uhr wieder gefunden hat.

Klingt gut. Nur wird auch das einmal langweilig.

Ja, sicher, alle 25 Jahre kommt eine Revolution, denn jede Generation will ihre Visionen in ihren Produkten sehen. Nicht die Vision der Eltern. Ich habe den Generationenwechsel 1980 erwischt, und ich habe den Generationenwechsel 2000 erwischt. Auch den nächsten darf ich nicht verpassen. Aber das dauert ja noch ein bisschen.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Auf die All Black. Die All Black ist Konzentrat von allem, was ich denke.

Und was war Ihr grösster Fehler?

Ich habe eine Menge Fehler gemacht. Aber ich kann mich an den grössten nicht erinnern. Denn bis heute gab es keinen Fehler, der mir nicht geholfen hätte, auf den richtigen Weg zu gelangen. Der Fehler ist mein Freund, der Fehler bringt mich zum Erfolg. Wie viele Spiele hat Federer verlieren müssen, bevor er die ersten gewonnen hat? Wie oft ist das Kind umgefallen, bis es stehen und gehen konnte? Der Fehlerprozess ist ein sehr positiver.

Haben Sie nie bereut, Blancpain an die Swatch-Gruppe verkauft zu haben?

Professionell gesehen kann ich es nicht bereuen, denn dank dem Verkauf bin ich in die Swatch-Gruppe gekommen und habe dort enorm viel gelernt und enorm viel gewonnen für mich. Hätte ich Blancpain nicht verkauft, würde ich vielleicht noch heute dort sitzen und mich vielleicht sogar endlos wiederholen.

Kaufen Sie jetzt Hublot?

Ich möchte gerne. Aber die guten Zahlen helfen mir nicht, weil Hublot immer teurer wird.

Immerhin sind Sie Aktionär. Wie viel besitzen Sie?

Es ist eine Minderheitsbeteiligung, die mir nicht erlaubt, den Verkauf der Firma an einen Dritten zu vermeiden. Dafür bräuchte ich 33 Prozent, und die habe ich nicht.

Sie haben seinerzeit Blancpain verkauft und dann einen Ferrari gekauft. Sie hätten das Leben geniessen und Ihre Millionen verprassen können. Warum arbeiten Sie noch?

Wissen Sie, für mich besteht Luxus aus drei Elementen: erstens Gesundheit. Das zweite Element ist Leidenschaft in der Arbeit. Wer mit Leidenschaft arbeitet, der agiert wie ein spielendes Kind. Er merkt gar nicht, dass er arbeitet. Das dritte Element ist Liebe. Man muss mit dem Herzen jemanden lieben, und man muss geliebt werden. Wenn ich im selben Moment gesund bin, Leidenschaft bei der Arbeit spüre und die Liebe einer Frau oder meiner Familie erfahre, dann habe ich einen Luxustag.

Haben Sie heute einen Luxustag?

Ja. Bei mir sind alle drei Bedingungen erfüllt.

Jean-Claude Biver

In den Achtzigern machte der heute 59-Jährige Blancpain zur Ikone für das Revival der mechanischen Uhr. Mit einem legendären Werbespruch: «Seit 1735 gibt es bei Blancpain keine Quarzuhren. Es wird auch nie welche geben.» 1992 verkaufte er die Marke und ging zu Omega. In den letzten vier Jahren machte er aus der verschlafenen Hublot eine aufsehenerregende Trendmarke.