BILANZ: Sie sind bekannt dafür, ein Pessimist zu sein. In Ihrer Branche gibt es so viele Optimisten, fühlen Sie sich manchmal einsam?

Jeremy Grantham: Ich würde mich selbst als einen extremen Optimisten bezeichnen. Jedes Mal, wenn ich eine nur halbwegs sinnvolle Investitionsmöglichkeit sehe, bin ich optimistisch. Noch vor zwei Jahren habe ich Aktien gekauft, und zwar überall auf der Welt, nur nicht in den Vereinigten Staaten. Dort nennt man mich daher einen Schwarzseher. Damit habe ich kein Problem. Ich investierte zum Beispiel in Australien, Österreich und Belgien. Das Problem ist, dass diese Länder in den vergangenen zwei Jahren sehr gut performt haben und daher heute nicht mehr so attraktiv sind. Im Moment bin ich moderat negativ für den Rest der Welt und extrem negativ für die USA.

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Sie waren also optimistisch für Europa?

Nicht nur. Wir bei GMO waren auch extrem optimistisch bezüglich Investitionen in Schwellenländern. Wir hatten grosse Aktienpositionen in den Emerging Markets. Von allen Seiten wurden wir gewarnt, wie gefährlich diese Anlagen seien. Aber wir gingen das Risiko ganz bewusst ein. Im Jahr 2003 legte unser Emerging-Market-Aktienfonds 70 Prozent zu und im vergangenen Jahr noch einmal 26 Prozent. Das ist eine Verdoppelung in zwei Jahren. Jetzt halten wir die Märkte für angemessen bewertet – ich muss sagen, das ist ganz schön optimistisch.

Wie kommt es denn, dass Sie als Pessimist verschrien sind?

Wahrscheinlich, weil alle anderen aus ganz egoistischen Gründen dauernd extrem optimistisch sind. Präsident Bush wollte zum Beispiel wieder gewählt werden. Also pries er die Zunahme der Beschäftigten als eine seiner guten Taten. Tatsache ist aber, dass die Zahl der Beschäftigten in den letzten zwei Jahren vor der Wiederwahl nur unter Präsident Hoover noch weniger zugenommen hat. Der Kongress will einen Bullenmarkt, denn die Kursgewinne eignen sich dafür, den Haushalt aufzumöbeln. Die grossen Investment-Banken sind bullish, weil sie so mehr Aktien verkaufen, mehr Fusionen und Übernahmen abwickeln und Neuemissionen begleiten können. Auch Anlagefonds wollen ihre Kunden glücklich machen. Sie geben sich dementsprechend besonders optimistisch. Und schliesslich noch die Presse: Mit einem wunderschön optimistischen Cover gehen die Kioskverkäufe hoch. Wenn auf dem Titel schlechte Nachrichten prangen, greifen die Leute weniger zu. So machen alle mit in diesem Spiel, weil als Bullen alle verdienen. Wenn man wie ich nicht die ganze Zeit euphorisch für die Wertpapiermärkte ist, dann gilt man als Schwarzseher.

Und wo sehen Sie zurzeit besonders schwarz?

In den angelsächsischen Ländern wurde viel mehr Geld ausgeliehen, als gesund ist. Die durchschnittliche Familie hatte früher Schulden in Höhe von 60 Prozent ihres Einkommens. Heutzutage sind es 120 Prozent, in Grossbritannien sogar 140 Prozent. Wer sich keine Sorgen darüber macht, dass Konsumenten höher verschuldet sind als jemals zuvor, der ist ein irrationaler Optimist. Die Börsenbullen behaupten natürlich, dass es für diese Übertreibung gute Gründe gibt. Genauso wie für die überhöhte Bewertung der Aktienmärkte und die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV). Im Nachhinein stellt sich allerdings immer heraus, dass die Erklärungen für diese Extreme nur Wunschvorstellungen waren. Die Welt ist überraschend konstant, sie ändert sich nicht wirklich. Normalerweise gehen alle Märkte immer wieder zu den alten Durchschnitten zurück.

Was werden denn die Folgen dieser hohen Schulden sein?

Früher nahmen die Bergleute einen Kanarienvogel mit in die Kohleminen. Wenn er aufhörte zu singen und tot von der Stange fiel, war giftiges Gas in der Grube. Ein perfektes Frühwarnsystem. Der Kanarienvogel von heute sind die Immobilienpreise in Sydney. Denn Sydney ist ein Gradmesser für die Entwicklung in Australien. Und Australien ist dem Rest der Welt in diesem Wirtschaftszyklus voraus. Die australische Notenbank hat als Erste die Zinsen erhöht. Die Wohnungspreise in Sydney fingen an, ziemlich schnell zu fallen. Dann kamen die Wohnungspreise in ganz Australien langsam ins Rutschen. In England wurden die Zinsen etwa sechs Monate später angehoben. Jetzt fallen die Wohnungspreise in London. In den USA hat das Fed die Zinsen rund ein Jahr nach Grossbritannien erhöht, und daher erwarte ich, dass die Immobilienpreise in sechs Monaten oder in einem Jahr tauchen werden. Erste Anzeichen gibt es bereits.

Steigende Immobilienpreise sind ja erst einmal keine Katastrophe.

Das Problem ist, dass in den Vereinigten Staaten die Menschen die steigenden Immobilienpreise dazu genutzt haben, noch höhere Kredite aufzunehmen. Und zwar über das Mass der Preissteigerung hinaus. Sie haben sich einfach über beide Ohren verschuldet und das ganze Geld für den Konsum ausgegeben. So hat die Immobilienpreisblase den Konsum angekurbelt, und der Konsum aus den USA hält mehr oder weniger die Weltwirtschaft auf Trab. Doch dieses Spiel wird bald ein Ende haben. Um die Wirtschaft und die Aktienmärkte nach dem 11. September 2001 anzukurbeln, machte Notenbankchef Alan Greenspan durch niedrige Zinsen extrem viel Geld verfügbar. Aber so löste er eine Blase in den anderen zwei grossen Anlageklassen aus, den Obligationen und den Immobilien. Beide bewegten sich von sehr billig zu sehr teuer. Und der Aktienmarkt kam ebenfalls nicht auf faire Bewertungen zurück. So erlebe ich zum ersten Mal in meiner Karriere, dass wirklich alle Anlagekategorien überteuert sind.

Müssen denn die Preise notwendigerweise wieder stark fallen?

Wir haben 27 Preisblasen in den vergangenen Jahrzehnten untersucht. Und in jedem der 27 Fälle sind die Preise zum ursprünglichen Trend zurückgekehrt. Nicht ohne kräftig nach unten zu überschiessen, notabene. Wir haben keine einzige Situation gefunden, in der eine neue Ära angebrochen wäre. Während der letzten grossen Blase des britischen Immobilienmarkts in den Neunzigern stiegen die Preise während dreier Jahre, um in den nächsten drei Jahren wieder eine Korrektur zu erfahren. Und dann kam eine Überkorrektur für zwei Jahre. Das wird sich jetzt wiederholen. Ich würde mich daher gar nicht so sehr als Pessimisten bezeichnen. Ich bin Historiker. Jeder Wirtschaftshistoriker glaubt daran, dass die Preise immer wieder auf ihren alten Trend zurückkehren. Es gibt keine Blasen, die nicht platzen. Genau wie die Blase in den Immobilenmärkten, wie wir sie zurzeit erleben. Die Menschen glauben, sie wären reich, weil ihre Häuser teuer und ihre Aktien und Obligationen viel wert sind. Wenn diese Anlagen wieder ihren fairen Wert erreichen, werden alle feststellen, dass sie doch nicht so reich sind. Und sie haben auch nicht so viel gespart, wie sie dachten. Sie werden sehen, dass sie für das Rentenalter nicht genug zurückgelegt haben und wir uns in einer regelrechten Krise befinden. Das wird für viele Menschen sehr traurig sein. Und sie werden jemanden suchen, den sie dafür verantwortlich machen können. Mir können sie die Schuld dann aber nicht in die Schuhe schieben.

Wenn jede Anlageklasse viel zu teuer ist, gibt es dann gar keine Anlagemöglichkeiten mehr?

Dies ist in der Tat ein Problem. Die Märkte haben sich einfach zu lange gut entwickelt. Man sieht es am Obligationenmarkt. Normalerweise verzinsen inflationsgeschützte Bonds mit 4,2 Prozent, heute sind es noch 1,9 Prozent. Die Bondexperten sehen es ganz klar: Wenn die Zinsen sich um 50 Prozent verringern, ist es lediglich halb so attraktiv, hier zu investieren. Sie schlagen sich auf die Brust und jammern: Oh, wie schrecklich. Wir hatten eine wunderbare Möglichkeit – und nun ist sie vorbei. Wenn das Gleiche allerdings an den Aktienmärkten passiert, die Kurse sich also verdoppeln, dann springen die Aktienexperten auf und ab und jubeln: Wir haben eine Menge Geld gemacht. Es ist ihnen gar nicht klar, dass nun die Anlagemöglichkeiten abhanden gekommen sind.

Über hohe Kurse hat sich tatsächlich noch nie jemand beschwert.

Das ist ja das Dilemma. Wir sollten uns alle billige Anlagen wünschen. Wir sollten alle in einer Welt leben wollen, in der man Häuser billig und Aktien zu günstigen Kursen mit einem niedrigen KGV kaufen kann. Aber seltsamerweise macht es den Menschen gar nichts aus, höhere Preise zu zahlen. Aktienhändler werden immer fröhlicher, je höher das KGV klettert. Und Immobilienhändler werden immer euphorischer, je mehr die Hauspreise steigen. Das Haus hat sich aber überhaupt nicht verändert. Es ist dasselbe alte Haus, das sie seit zehn Jahren besitzen, aber es ist heute dreimal so viel wert. Das gilt auch für die Aktienmärkte. Unternehmen verändern sich nicht sehr schnell. Wenn die Aktienkurse sich verdreifachen, sollte man realisieren, dass dies nur auf dem Papier passiert ist. Doch die Finanzanalysten werden Ihnen hundert verschiedene Gründe dafür liefern, dass der Zukunftswert sich auf mysteriöse Weise ebenfalls verdreifacht hat und dass dies vollkommen gerechtfertigt sei. Zumindest beim Haus ist es offensichtlich, dass es sich nicht verändert hat. Auch bei Bonds können Sie den Coupon sehen – und ebenso, dass er gefallen ist. Aktien sind die kniffligsten Anlagen. Es ist daher die einfachste Sache der Welt, Aktienkäufer zu verunsichern. Und sie sind völlig verunsichert von der Industrie, die permanent gute Aussichten verkündet.

Sie erwarten also, dass die Preise für alle Anlageklassen fallen werden?

Für die drei grossen Anlageklassen trifft dies zu. Ich bin allerdings sehr optimistisch für Timber, also Nutzholz. Niemand hat eine Vorliebe für Holz – dafür hat es einen viel zu langen Anlagehorizont. Es ist schwierig für Privatanleger, Assets zu halten, die dreissig bis fünfzig Jahre zum Wachsen brauchen. Auch Unternehmen und Pensionskassen haben Probleme mit diesem Anlagehorizont. Investitionen in Timber erfordern also einen langen Atem. Sie verkaufen sich kurzfristig bloss mit einem grossen Discount. Der langfristige Ertrag eines Holzportfolios ist mit sieben bis acht Prozent exklusive Teuerung hingegen sehr hoch. Die Preise für Nutzholz sind in der Vergangenheit real stärker gewachsen als alle anderen Rohstoffe – selbstverständlich mit Ausnahme von Erdöl. Mit steigenden Preisen und einer Verzinsung von fünf Prozent hat sich Timber immer dann besonders gut entwickelt, wenn die amerikanischen Aktienmärkte eine schlechte Zeit erlebten. Sie können also durchaus sagen, dass ich für Forstwirtschaft extrem optimistisch bin.

Wie sieht denn Ihr persönliches Portfolio aus?

Die Hälfte investiere ich in konservative Hedge-Funds. Zehn Prozent in Holz, denn ich habe vor, 120 Jahre alt zu werden. 15 bis 20 Prozent lege ich in Aktien der Emerging Markets an, 5 Prozent in internationale Blue Chips. Ich habe gar keine US-Aktien. Und ein wenig in Private Equity.

Und was halten Sie vom Schweizer Aktienmarkt?

Alle europäischen Märkte sind moderat überteuert, wenn auch nicht so schlimm wie die Vereinigten Staaten. Positiv ist, dass die qualitativ hochwertigen Blue Chips gut laufen werden. Sollten wir dereinst also eine Kreditkrise erleben, wird der Schweizer Markt substanziell besser dastehen als andere europäische Märkte.