BILANZ: Herr Kühne, sind Sie eine Nervensäge?
Klaus-Michael Kühne: Wie kommen Sie darauf?

«Die einen halten ihn für einen erfolgreichen Logistikunternehmer mit Milliardenvermögen, die anderen für eine Nervensäge», schrieb die «Süddeutsche Zeitung» jüngst über Sie.
Das bezieht sich wohl auf mein Engagement beim Fussballverein Hamburger SV.

Sie sind zwar nicht Mitglied, mischen sich aber kräftig ein.
Mir liegt der Verein enorm am Herzen, ich bin von Kindesbeinen an ein Fan und schaue jedes Spiel im Fernsehen.

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Sie haben dem klammen Verein vor gut einem Jahr den Transfer des holländischen Nationalspielers Rafael van der Vaart finanziert, doch der glänzt derzeit vor allem mit unrühmlichen Geschichten aus seinem Privatleben.
Er hatte direkt nach seiner Rückkehr einen sehr guten Wiedereinstieg beim HSV, doch dann litt die Leistung unter seinen privaten Problemen. Das ist enttäuschend. Doch er bleibt ein Führungsspieler, auch wenn seine allerbeste Zeit altersbedingt vorbei sein dürfte.

Ein Streitpunkt mit der aktuellen Führung ist, dass Sie auf der Rückzahlung Ihres Kredits für van der Vaart von acht Millionen Euro bestehen, falls der Verein keine Strukturreform vornimmt und die Profiabteilung wie etwa Bayern München ausgliedert und einstige HSV-Grössen wie Felix Magath oder Horst Hrubesch stärker einbindet.
Ja, wenn sie das täte, wäre ich sogar bereit, bis zu 25 Millionen Euro zu investieren. Doch die aktuelle Führung will davon nichts wissen. Sie wirkt auf mich nicht sehr professionell, der Aufsichtsrat ist mit elf Mitgliedern viel zu gross und nicht mit bekannten Persönlichkeiten aus der Wirtschaft und der Welt des Fussballs besetzt. Aber jetzt warten wir erst mal ab, wie sich die Mannschaft unter dem neuen Trainer Bert van Marwijk entwickelt. Die ersten Zeichen sind positiv. Ich will mich deshalb stärker zurückhalten. Meine Kommentare waren zuletzt wohl etwas überzogen.

Ihr Engagement für den HSV zeigt: Obwohl Sie seit mehr als 40 Jahren in der Schweiz leben, sind Sie im Herzen Hamburger geblieben. Ist die Schweiz überhaupt Ihr Lebensmittelpunkt?
Bis vor drei Jahren war ich noch als Verwaltungsratspräsident unserer Dachgesellschaft, der Kühne + Nagel International mit Sitz in Schindellegi SZ, tätig, und bis dahin verbrachte ich etwa drei Viertel meiner Zeit in der Schweiz. Heute ist es vielleicht noch ein Viertel, doch die Schweiz bleibt unsere Ausgangsbasis, und wir fühlen uns hier zu Hause. Ich pendle zwischen Mallorca, Hamburg und meinen Häusern in Schindellegi und Lenzerheide. Und dann lieben es meine Frau und ich, auf Reisen zu sein. So waren wir über den Jahreswechsel etwa sieben Wochen auf einer Kreuzfahrt in der Südsee. Dabei liegt die Hauptlast bei meiner Frau: Sie packt die Koffer.

Hat Ihre Begeisterung für Ihre Wahlheimat in den letzten Jahren gelitten?
Mein Vater verlegte 1969 den Holdingsitz nach Schindellegi, weil ihn die damalige SPD-geführte Regierung unter Kanzler Willy Brandt extrem beunruhigte. Es zog eine frappierende Wirtschaftsfeindlichkeit ein. Der prägende Satz von Brandt zur deutschen Wirtschaft lautete: «Wir müssen ihre Belastbarkeit testen.»

Das war in der Schweiz anders.
Die Schweiz war für uns fantastisch: ein liberales Arbeitsrecht, eine international ausgerichtete Wirtschaft, moderate Steuerbelastungen und ein hoher Stellenwert der Privatsphäre.

Und heute?
Sind die Rahmenbedingungen in der Schweiz für uns noch immer vergleichsweise gut. Doch es besteht die Gefahr, dass die Schweiz den Weg nimmt, den Deutschland Ende der sechziger Jahre genommen hat. Gewisse Gesellschaftsschichten verlangen staatliche Eingriffe in die freie Wirtschaft, und das macht mir grosse Sorgen.

Sie meinen vor allem die 1:12-Initiative.
Ja, aber nicht nur. Dazu kommen noch andere wirtschaftlich bedenkliche Vorstösse wie zur Erbschaftssteuer und zum Mindestlohn. Aber die 1:12-Initiative ist weltweit einmalig. Das ist das Letzte, was ich in so einem bürgerlich und konservativ ausgerichteten Land erwartet hätte.

Was würde eine Annahme für Kühne + Nagel bedeuten?
Wir müssten dann wohl unseren Hauptsitz aus der Schweiz abziehen. Ich sehe nicht, wie wir unsere Topmanager dann noch nach den heutigen Massstäben bezahlen sollten. Unsere Erfolgsstory wurde jahrzehntelang von der Schweiz aus gesteuert, das wäre dann wohl vorbei.

Würden Sie heute Ihren Holdingsitz auch noch in die Schweiz verlegen?
Sollte die Initiative angenommen werden: auf keinen Fall. Aber auch sonst sind die Vorteile in der Schweiz nicht mehr so gross. Es droht eine Erbschaftssteuer, und die Steuerharmonisierung zwischen den Kantonen wird voranschreiten. Auf Dauer wird davon auch mein Wohnkanton Schwyz betroffen sein. Ich zahle heute schon eine extrem hohe Vermögenssteuer in Feusisberg, und da lässt der Fiskus nicht gross mit sich verhandeln.

Ist die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der Wirtschaft berechtigt?
Ich kann verstehen, dass man sich an den hohen Löhnen stösst. Besonders im Verwaltungsrat finde ich sie unangemessen. Wenn VR-Präsidenten für nur wenige Sitzungen mehrere Millionen bekommen, stimmt etwas nicht.

Und in der Konzernleitung?
Auch da hat es sicherlich Exzesse gegeben. Wir bezahlen unserem CEO bei Kühne + Nagel ein Salär, das zwischen 2 und 2,5 Millionen Franken im Jahr liegt. Ich bin gegen eine feste Obergrenze, aber alles, was in Richtung zehn Millionen Franken geht, scheint mir für jeden Manager entschieden zu hoch zu sein, wo immer er auch arbeitet.

Man hat den Eindruck, dass Sie sich neu etwas gönnen. Neben dem HSV haben Sie ein zweites Hobby, das kaum Rendite verspricht: die Hotellerie. Wir treffen uns hier im «Castell Son Claret» auf Mallorca, das Sie im Mai als Luxushotel eröffnet haben.
Ja, da steht die Rendite sicher nicht im Vordergrund; das Hotel ist mein Hobby, und ich habe annähernd 38 Millionen Euro investiert. Meine Frau hat in mir die Leidenschaft für die Insel geweckt, seit 1997 haben wir hier ein Haus. Als das Projekt dieses Luxushotels an mich herangetragen wurde, reizte es mich sehr, Mallorca auch zu einem Standort für Premiumhotellerie zu machen und die Insel vom Ruf des Billigtourismus zu lösen. Wir werben hier mit dem «Luxus der Stille», jedes Zimmer hat seine eigene Ruhezone. Eine Vollkostenrechnung würde allerdings kaum aufgehen.

Ungewöhnlich für einen Mann, von dem es heisst, dass er früher die Post von einem Unternehmensstandort zum anderen transportierte, um die Portokosten zu sparen.
Das habe ich in den achtziger Jahren gemacht, als ich noch einen festen Wohnsitz in Deutschland hatte und ständig zwischen den Firmensitzen pendelte. Es war für mich normal, dass ich vorher im Postbüro vorbeiging. Man sollte das nicht zu hoch hängen, es ist für mich einfach eine Frage der Effizienz, und es setzt Zeichen. Aber es stimmt: Gerade in der Logistik ist Kostenbewusstsein elementar, und ich bin immer mit gutem Beispiel vorangegangen. Diese Einstellung hat auch mein Privatleben geprägt.

Aber eben: Jetzt haben Sie in Hamburg auch das «Intercontinental» übernommen, auch keine Renditeperle.
Ich habe da immer gewohnt, weil ich die Lage an der Aussenalster sehr schätze und von dort immer gut joggen konnte. Meine Frau liebt den Blick über die Alster. Als es auf den Markt kam, habe ich mitgeboten und den Zuschlag bekommen. Wir werden das Gebäude abreissen und hoffen auf die Neueröffnung Mitte 2016. Dort investiere ich 130 Millionen Euro – und ich hoffe schon, dass sich das Geld zurückverdienen lässt.

Steigen Sie auch in der Schweiz als Hotelier ein?
Ich habe einmal eine 20-Prozent-Beteiligung am Hotel Panorama in Feusisberg gehalten und diese mit gutem Gewinn verkauft. Beim «Valbella Inn», in dem Kühne + Nagel ihre jährlichen Tagungen veranstaltet, stand ich einmal kurz vor dem Kauf, doch dann waren die Ausbaumöglichkeiten zu gering. Ich bekomme fast täglich Angebote für weitere Hotels, auch aus der Schweiz. Aber jetzt ist Schluss.

Sie sind zwar nur noch einfaches Verwaltungsratsmitglied bei Kühne + Nagel, doch noch immer Mehrheitsaktionär. Wie stark mischen Sie sich noch ein?
Ich habe mich aus nahezu allen operativen Vorgängen, die Kühne + Nagel betreffen, zurückgezogen; meinen Rat gebe ich lediglich in Ausnahmefällen.

Mit dem Aktienkurs können Sie nicht zufrieden sein. Der stagniert in diesem Jahr, während Ihr Rivale Panalpina kräftig zulegt.
Unser Management hat nach der Finanzkrise vor drei Jahren zu sehr auf Wachstum gesetzt und die Strukturen aufgebläht. Als dann der Aufschwung ausblieb, waren die Kosten entschieden zu hoch, man hatte die Situation auch allzu positiv und damit falsch eingeschätzt. Trotz meiner von Anfang an gegebenen Skepsis konnte und wollte ich keinen Einfluss nehmen. Wir leiden heute noch unter dieser Entwicklung, und dadurch wurde auch unser Aktienkurs beeinträchtigt.

Müssten Sie nicht stärker eingreifen?
Ich habe viel Erfahrung, und in Krisensituationen setze ich sie ein. So forcierte ich im Herbst 2008 ein radikales Kostenmanagement und drängte bei der Griechenland-Krise dort auf einen Ausstieg. Bei Ersterem ist mir das Management gefolgt – wir kamen erstaunlich gut durch die Krise; im Falle Griechenland hätte ich früher durchgegriffen.

Sie haben schon viele Phasen in der Logistik erlebt. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation bei Kühne + Nagel ein?
Sie beunruhigt mich nicht, auch wenn mich nicht alles zufriedenstellt.

Die Logistik ist ein Frühindikator. Wie steht es um die Weltwirtschaft?
Die Wachstumseuphorie ist vorbei, auch die lange hochgejubelten Schwellenländer wie Indien, Brasilien oder China kämpfen mit Problemen. Wir waren von dem Aufschwung dort zu verwöhnt.

Ihr wichtigstes Investment abseits von Kühne + Nagel ist die Reederei Hapag-Lloyd, die Nummer fünf in der Welt und Nummer eins in Deutschland. Auch da können Sie nicht zufrieden sein – im letzten Jahr gab es einen Verlust, und in diesem Jahr sieht es auch nicht gut aus.
Mein Engagement geschah im engen Schulterschluss mit der Stadt Hamburg. Wir wollten verhindern, dass Hapag-Lloyd in ausländische Hände fällt. Das ist uns zwar gelungen, doch das Unternehmen ächzt unter seiner viel zu hohen Verschuldung bei nicht ausreichender Ertragskraft.

Jetzt drängt Mitaktionär TUI auf einen Börsengang. Ist das angesichts der prekären Lage überhaupt realistisch?
Es ist nicht ganz einfach, dennoch halte ich einen baldigen Börsengang für möglich und unterstütze ihn. Eventuell würde ich dann meinen Anteil von heute 28 Prozent reduzieren. Doch auf Dauer ist Hapag-Lloyd zu klein, es braucht angesichts der grossen ausländischen Konkurrenz den Zusammenschluss mit einer oder mehreren anderen Reedereien.

Sie wollten im letzten Jahr mit Hamburg Süd fusionieren. Warum ist der Deal geplatzt?
Hamburg Süd wollte die Mehrheit, obwohl sie kleiner ist. Zudem sind sich die sieben Nachkommen in der Eignerfamilie Oetker nicht einig. Aber das Projekt ist nicht gestorben. Der Chef von Hamburg Süd befürwortet die Fusion.

Es ist auffallend, wie stark Hamburg Ihr Leben beherrscht. Sie sollen sich ja sogar eine Wohnung in der neuen Elbphilharmonie reserviert haben.
Ja, ich habe eine Option auf eine Wohnung dort, doch ich werde sie nicht wahrnehmen. Aus Steuergründen darf ich keinen Wohnsitz in Deutschland haben.

Schmerzt Sie das nicht? Ehrenbürger Ihrer Heimatstadt können Sie so nie werden.
Das ist für mich nicht wichtig, ich bin immer gern unterwegs. Aber ich werde immer Hamburger bleiben.

Haben Sie als Steuerflüchtling gegenüber Ihrer Heimatstadt ein schlechtes Gewissen?
Das mag eine Rolle spielen. Ich fühle mich verpflichtet und will etwas zurückgeben. Ich habe zwei Stiftungen: Die grössere, in der Schweiz etablierte Stiftung kümmert sich um Logistik, ein grosses Medizinprojekt und Kulturförderungen in der Schweiz, mit der kleineren unterstütze ich vor allem das Kulturleben in Hamburg. Da ich keine natürlichen Erben habe, sind diese Stiftungen für mich elementar, sie werden auch mein Firmenvermögen übernehmen.

Sie sind jetzt 76 Jahre alt und gönnen sich erstmals kostspielige Hobbys. Zu spät?
Die Firma war immer das Wichtigste für mich. Ich habe auch erst spät geheiratet.

Welche Erkenntnis bleibt?
Ich habe viel zu viel gearbeitet in meinem Leben. Aber wenigstens hat es sich gelohnt.

Global verankert: Der 76-jährige Klaus-Michael Kühne hält 55 Prozent an der Spedition Kühne + Nagel, die 63 000 Mitarbeitende in  mehr als hundert Ländern beschäftigt und von Schindellegi SZ aus einen Umsatz von über 20 Milliarden Franken erwirtschaftet. Sein Vermögen wird auf über sieben Milliarden Franken geschätzt. Vor drei Jahren gab Kühne das Amt des VR-Präsidenten ab und ist seitdem einfaches VR-Mitglied.