BILANZ: Wie fühlt man sich in der Doppelrolle als Biolandwirt und Grossinvestor beim weltgrössten Hersteller von Pestiziden und Insektiziden?
Pierre Landolt:
Die Abspaltung der Agroaktivitäten von Novartis war seit geraumer Zeit geplant. Sie geht auf einen Entscheid des Novartis-Verwaltungsrats zurück, dessen Aufgabe es auch war, den idealen Partner ausfindig zu machen. Herr Vasella hat mich daraufhin angefragt, ob ich im VR von Syngenta mitmachen wolle.

Und da konnten Sie nicht widerstehen?
Ich antwortete ihm zunächst, dass mich diese Aufgabe sicher reizen würde. Schliesslich bin ich – wie Sie ja wissen – ein passionierter Landwirt. Ich sagte ihm aber auch, dass eine entsprechende Zusage nicht allein von mir, sondern von der Meinung meiner ganzen Familie abhänge. Auch die Familie sprach sich dann aber klar dafür aus, bei diesem spannenden Vorhaben eine aktive Rolle einzunehmen. Nun bin ich also Verwaltungsrat von Syngenta und repräsentiere dort einen gewichtigen und stabilen Aktionär.

Was finden Sie an einem Produzenten von Agrochemikalien so spannend?
Syngenta ist mit Sicherheit eines der ganz grossen Abenteuer zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Das Konzept ist absolut neuartig. Es hat noch nie eine Gesellschaft gegeben, die sich vollständig auf die beiden Arbeitsgebiete Pflanzenschutz und Saatgut fokussiert. Kommt dazu, dass in AstraZeneca bezüglich Unternehmensphilosophie, Produktepalette und Management der ideale Partner gefunden wurde.

Wohin soll dieses – wie Sie es nennen – Abenteuer führen?
In Sachen Pflanzenschutz ist Syngenta auf dem Weltmarkt die unbestrittene Nummer eins, weshalb wir uns auch in Zukunft auf dieses Geschäftsfeld konzentrieren werden. Wir verfügen über eine komplette Produktepalette oder genauer gesagt: Syngenta stellt weltweit die besten Insektizide, Herbizide und Fungizide her. Vor diesem Hintergrund werden wir eine viel technologischere Landwirtschaft propagieren können, als dies jemals der Fall war. Die Kenntnis, die wir heute über Böden, Insekten, Klima und Temperaturen besitzen, wird es uns ermöglichen, den Farmern integrale Programme anzubieten, damit diese im Gegensatz zur heutigen Giesskannenpraxis nur noch die allerbesten Produkte im optimalen Moment einsetzen. Kurz, der Einfluss, den die Programme von Syngenta auf den konventionellen Landbau haben werden, ist enorm, ja sogar revolutionär, denn wir werden dank minimalster Dosierung der Chemikalien eine saubere Landwirtschaft haben.

Was die Aktivitäten im Saatgutbereich betrifft, hagelte es in letzter Zeit seitens ver- schiedener Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) harsche Kritik. Beanstandet wird in erster Linie eine Technologie namens Gurt (Genetic Use Restriction Technology), bei deren Erforschung Syngenta eine führende Rolle spielt. Vereinfacht ausgedrückt, wird es mit dieser Technologie möglich, das Wachstum, den Reifungsprozess oder die Krankheitsanfälligkeit von Nutzpflanzen industriell zu steuern, indem bestimmte genetische Eigenschaften mittels chemischer Auslöser ein- oder abgeschaltet werden. Wie stellen Sie sich zu diesen Errungenschaften?
Bis dato scheint der Durchschnittskonsument lieber mit Pestiziden befrachtete Produkte zu sich zu nehmen als so genannte GVO-Nahrung (genetisch veränderte Organismen, Red.). Tatsächlich herrscht auf diesem Gebiet nach wie vor eine grosse Hysterie. Wenn überhaupt, so ist diesem Problem nur mit erhöhter Transparenz und geduldiger Erklärung beizukommen.

Wie halten Sie es persönlich mit gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln?
Ich persönlich kann es nicht verstehen, wenn jemand mit gefährlichen Substanzen besprühtes Getreide gentechnisch modifizierten Saaten vorzieht. Ich meine, dass es viel riskanter ist, auf Dauer chemisch behandelte Produkte zu sich zu nehmen. Ergo bin ich der Überzeugung, dass es sehr wichtig ist, auf dem Gebiet der Gentechnologie mit der Forschung fortzufahren. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass Syngenta beim Saatgut weltweit nur der drittgrösste Anbieter ist.

Die Kritik der Nicht-Regierungs-Organisationen bezieht sich weniger auf aktuelle Verkaufszahlen als auf die beeindruckende Zahl spezifischer Gentech-Patente, welche die Agro-sparten von Novartis und AstraZeneca in den vergangenen Jahren angemeldet haben.
Ich kenne all diese Projekte nicht im Einzelnen. Bevor ich mich umfassend ins Bild gesetzt habe, kann ich deshalb auch nicht auf irgendwelche Details eingehen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass die Gentechnologie und die Genomik auf die eine oder andere Weise den Wert von Syngenta enorm steigern werden. Gleichzeitig sind wir uns heute bewusster denn je, wie essenziell der Dialog mit NGO, Konsumenten und der Gesellschaft für einen Konzern wie diesen ist.

Angenommen, die Ablehnung seitens der Verbraucher hält an. Ist es dann denkbar, dass sich Syngenta von diesem umstrittenen Geschäftsbereich trennen wird?
Ehrlich gesagt, nein. Aus dem einfachen Grund, weil wir mit gentechnisch verändertem Saatgut zu einem gänzlich neuen Konzept der Ernährung gelangen können. Und dadurch zu einem neuen Konzept von Gesundheit: Dank der Gentechnologie wird Nahrung dereinst für Millionen von Menschen zum Medikament.

Sprechen Sie von präventivmedizinischen Nahrungsmitteln wie dem viel zitierten, mit Vitamin A angereicherten Reis?
Ja, dies ist ein typisches Beispiel. Bisher war es nahezu unmöglich, jedem Bewohner von Asien die lebensnotwendige Dosis Vitamin A zu verabreichen. Handkehrum isst aber fast jeder Asiate zwei- oder dreimal täglich eine Schale Reis, womit sich ein Vitamin-A-Mangel mit der entsprechenden Sorte auf ein- fachste Weise vermeiden lässt. Ich denke, diese Entwicklung ist für die Menschheit enorm wichtig und deshalb irreversibel. Es ergibt sich daraus die Möglichkeit, Epidemien auf ganzen Erdteilen zu unterdrücken. Hier tut sich ein aussergewöhnlicher Markt auf, und ich kann mir vorstellen, dass Syngenta in zwanzig Jahren eine Firma sein wird, die an der Grenze zur Pharmazie operiert.

Gibt es einen intellektuellen Zusammenhang zwischen den industriellen Aktivitäten von Syngenta und Ihrem persönlichen Engagement auf dem Gebiet des Biolandbaus?
Es kristallisiert sich schon heute heraus, dass sich langfristig zwei unterschiedliche Marktsegmente bilden werden – eines für Produkte aus konventionellem Anbau und ein anderes für Bioprodukte. Dahinter stehen zwei Gruppen von Konsumenten: solche, die herkömmliche Ware nachfragen, und solche, die für organische Kost zehn bis zwanzig Prozent mehr zu bezahlen bereit sind.

Das eine schliesst demnach das andere aus.
Nein, wir denken zum Beispiel über die Möglichkeit nach, organisches Saatgut herzustellen. Syngenta ist nämlich im Besitz von ausserordentlich interessanten Soja- Varietäten und wäre sehr wohl im Stande, speziell für den Biolandbau geeignete Sorten anzubieten. Ich sehe darin überhaupt keinen Widerspruch. Ganz im Gegenteil. Es wird sich zwischen den beiden erwähnten Marktsegmenten eine Brücke bilden, und die Hysterie wird hoffentlich abnehmen, indem sich der Dialog zwischen konventioneller Landwirtschaft und Biolandbau intensivieren wird.

Entspricht es Ihrem Ziel, beim Bau dieser Brücke aktiv mitzuwirken?
Wenn ich etwas zur Verständigung beitragen kann, werde ich dies gerne tun. Ich stehe jedenfalls mit beiden Seiten in engem Kontakt, und beide zeigen sich höchst interessiert.

Verwenden Sie für Ihre Biolandbau-Projekte in Lateinamerika bereits Saatgut aus den Labors von Novartis beziehungsweise Syngenta?
Es existiert bis heute noch gar kein Biosaatgut der Marke Syngenta, weil die interne Diskussion darüber noch gar nicht begonnen hat. Aber es besteht kein Zweifel, dass das Saatgut, das heute im Biolandbau Verwendung findet, alles andere als ideal ist. Vielen Sorten fehlt die Kraft, um sich in bestimmten geografischen Regionen und bei bestimmten klimatischen Bedingungen zufrieden stellend zu entwickeln. So wäre es zum Beispiel möglich, organisches Saatgut zu entwickeln, das der Trockenheit besser widersteht, das auf saurem respektive basischem Boden besser gedeiht oder das besser gegen Kälte gewappnet ist. Zu diesem Zweck braucht es mehr Forschung auf diesem Gebiet, und dazu wiederum benötigen wir den Dialog.

Mit dem Resultat, dass das ideale Biosaatgut am Ende womöglich mit gentechnologischen Methoden gewonnen wird?
Nein, keineswegs. Allenfalls werden wichtige Erkenntnisse aus der gentechnologischen Praxis stammen. Durch die Erforschung des pflanzlichen Plasmas hat man detaillierte Kenntnis von einer immensen Menge an verschiedenem Saatgut. Man weiss also heute, welches spezifische Gen eine Pflanze gegen Einflüsse wie Trockenheit oder Kälte resistent macht. Mit diesen Erkenntnissen lässt sich auch ohne Gentechnologie, das heisst auf dem Weg der natürlichen Züchtung, widerstandsfähigeres Saatgut gewinnen.

Sie planen im Norden Brasiliens mit Syngenta zusammen eine Art komparatives Gemeinschaftsprojekt: Auf einer grossen, durch einen Flusslauf geteilten Anbaufläche soll biologischer Landbau neben konventioneller, womöglich sogar gentechnologisch modifizierter Landwirtschaft praktiziert werden. Verraten Sie uns mehr über den unkonventionellen Feldversuch?
Die brasilianische Beteiligungsgesellschaft Axial, deren Präsident ich bin, trägt sich mit dem Gedanken an ein solches Projekt. Dabei soll es allerdings nicht um einen Vergleich gehen. Das wäre ja absurd.

Was sonst wollen Sie damit beweisen?
Erstens, dass biologischer Landbau und konventionelle Anbaumethoden problemlos koexistieren können. Und zweitens, was ich für besonders wichtig halte, dass eine nachhaltig betriebene Landwirtschaft kein Monopol der Biobauern ist, sondern ein Anliegen aller sein muss.

Wären Sie überrascht, wenn Novartis eines Tages Ihre Bioprodukte aus Lateinamerika nachfragen würde?
Überhaupt nicht. Speziell die Division Consumer-Health benötigt geeignete Ingredienzen für ihre Biolinie. Dabei sehen sich die Novartis-Einkäufer mit der gleichen Knappheitsproblematik konfrontiert wie alle anderen auch, die heute auf dem Markt nach Bioprodukten suchen. Es ist somit vorstellbar, dass Novartis dereinst auch meine Produkte nachfragen wird.
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