Den Titel des «grössten Hedge-Fund der Welt» habe sich nur einer verdient: die amerikanische Notenbank. So polterte Stephen Roach, der Chefökonom der US-Bank Morgan Stanley, kürzlich in seinem Anlagekommentar. Alan Greenspan sei zu einer Art «Cheerleader» der Carry-Trades geworden, geisselte er dessen expansive Geldpolitik. Was ist es, das den angesehenen Ökonomen Roach so auf die Palme bringt?

Zunächst einmal haben die rekordtiefen Leitzinsen ja eigentlich nur Vorteile: Wer Geld benötigt, erhält es zum Spottpreis. Entsprechend haben alle bereitwillig zugelangt, um sich günstig mit Krediten einzudecken: Staaten, Hedge-Funds oder auch Konsumenten, die sich ein Haus oder ein neues Auto finanzierten.

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Am deutlichsten lässt sich diese Entwicklung in den USA beobachten. Während die Sparquote der Amerikaner innerhalb eines Jahrzehnts von acht auf unter ein Prozent sank, haben das Budget- und das Leistungsbilanzdefizit laufend neue Rekordstände erklommen. Inzwischen liegen die Importe bereits 61 Prozent über den Exporten. Auch die Haushalte haben sich bis über beide Ohren verschuldet: Die gesamten Hypotheken erreichen 80 Prozent des verfügbaren Einkommens – eine Verdoppelung in 20 Jahren. Kurzfristig kurbeln höhere Kredite den Konsum an. Allein seit 2002 haben die Hausbesitzer über die Aufstockung von Hypotheken Cash im Umfang von 400 Milliarden Dollar «verdient».

Bill Gross, der Chef des weltgrössten Obligationenfonds Pimco, warnte neulich in der «Financial Times», die Gefahr für einen wirtschaftlichen Rückschlag sei in den letzten 20 Jahren nie so gross gewesen wie heute. Laut Gross erreichen die gesamten Kredite in den USA bereits mehr als das Dreifache des Bruttoinlandprodukts (siehe «Gigantischer Schuldenberg» unten). Derzeit zieht das Land 80 Prozent der weltweit überschüssigen Spargelder an sich.

Die Geister, die Alan Greenspan rief, wird er jetzt nicht mehr los. Niemals zuvor hat die US-Notenbank ihre Geldschleusen dermassen weit geöffnet. Damit hat sie zwar erfolgreich die Folgen des Börsencrashs abgefedert. Doch gleichzeitig schuf sie den Humus für neue Spekulationsblasen, wie der Boom der so genannten Carry-Trades zeigt. Dank ihnen liessen sich an den Finanzmärkten in den letzten beiden Jahren lukrative Gewinne erzielen.
Das Prinzip ist einfach: Man verschulde sich mit billigen kurzfristigen Krediten und investiere das Geld in langfristige Anlagen, die einen höheren Zinssatz abwerfen. Das Risiko besteht in einem unerwarteten Anstieg des Zinsniveaus, der diese Renditedifferenz zwischen kurz- und langfristigen Anlagen zunichte machen würde.

Nun hat die amerikanische Notenbank seit letztem Sommer zwar begonnen, die geldpolitischen Zügel wieder anzuziehen. Trotzdem gehen die Carry-Trades unvermindert weiter. Viele Investment-Banken und Hedge-Funds haben den Kredithebel sogar noch erhöht, um die sinkende Marge auszugleichen. Am amerikanischen Bond-Markt sind die Obligationenkäufe auf Kredit innerhalb von vier Jahren von 300 auf 800 Milliarden Dollar emporgeschnellt (siehe «Spekulieren auf Pump» auf Seite 108). Selbst Alan Greenspan musste jüngst zugeben, dass der restriktivere Kurs bislang keine Wirkung gezeigt habe. Die Tatsache, dass die langfristigen Zinssätze trotz den höheren Leitzinsen nicht angestiegen sind, bezeichnete der Fed-Chef als «Rätsel».

Doch eigentlich setzen die Märkte nur darauf, dass Greenspan seine abgegebenen Versprechungen einhalten wird. Stets hatte er Befürchtungen über eine rasche Erhöhung der Leitzinsen zerstreut. Zunächst hiess es in den Bulletins der Notenbank jeweils, die Zinsen würden «für eine beträchtliche Zeit» tief bleiben. Jetzt verlautet, die Erhöhung erfolge «in einem gemessenen Tempo». Indem sich Alan Greenspan schon im Voraus auf eine Marschroute festlegt, lädt er die Marktteilnehmer explizit dazu ein, diesen Spielraum für Carry-Trades auszunützen. Als «Greenspan Put» wird diese Absicherung an den Finanzmärkten bezeichnet.

Doch Greenspan ist noch weiter gegangen: So machte er den Hausbesitzern den Kauf von Hypotheken mit einem variablen Zinssatz schmackhaft. Mit diesen hätte jedermann über die letzten Jahre Zehntausende von Dollars sparen können, erklärte der Chef der Notenbank. Diese Aussage kommt einer Propagierung von Carry-Trades für Hauskäufer gleich: Bei den Hypotheken mit variabler Verzinsung, die bereits ein Drittel des Marktes erobert haben, wird nämlich ebenfalls eine langfristige Investition mit kurzfristigen Schulden finanziert. Diese Finanzierungsstrategie lohnt sich indes nur, solange die Zinsen sinken oder auf tiefem Niveau verharren. Steigen sie dagegen wieder an, handelt sich der Schuldner erhebliche Mehrkosten ein.

Dass Greenspan die geldpolitischen Zügel weiterhin schleifen lässt, darauf spekuliert auch die amerikanische Regierung, die ebenfalls Carry-Trades im grossen Stil betreibt. Statt den Schuldendienst für die ausstehenden Staatsobligationen von insgesamt 7,6 Billionen Dollar langfristig anzubinden, hat sie deren durchschnittliche Laufzeit massiv verkürzt. Das Resultat sind zunächst um 13 Prozent gesunkene Zinskosten. Sollten die Zinssätze hingegen ansteigen, würde sich der Effekt rasch ins Gegenteil verkehren. Dieses Risiko wird noch verstärkt, weil mittlerweile 51 Prozent der US-Staatsobligationen in ausländischem Besitz sind. Falls diese Käufer, vor allem asiatische Zentralbanken, eine weitere Abschwächung des Dollars erwarten, könnte die Nachfrage nach US-Anleihen abrupt zurückgehen, und deren Zinsen würden nach oben getrieben.

Im Kern sind all diese Carry-Trades nichts anderes als eine gigantische Zinswette – finanziert durch immer höhere Kredite. Zunächst wähnen sich die Schuldner auf der Gewinnerseite: Sie erkaufen sich ihre Begehrlichkeiten beinahe zum Nulltarif. Niall Ferguson, Professor an der renommierten Stern Business School in New York, spricht denn auch vom «biggest free lunch» der modernen Wirtschaftsgeschichte. Ob die Zeche dafür nicht irgendwann doch zu bezahlen sein wird, vermag indes niemand zu garantieren.

Die Zahl der warnenden Stimmen nimmt derweil laufend zu. Am 10. April hat sich sogar Greenspans Vorgänger Paul Volcker mit einem Aufsatz in der «Washington Post» zu Wort gemeldet. Darin schreibt er: «Die Lage erscheint mir vertrackter und gefährlicher, als ich mich je zuvor erinnern kann, und meine Erinnerung geht lange zurück.» Seine Forderung bezeichnet Volcker als die älteste Lektion der Wirtschaftspolitik: mehr monetäre und fiskalische Disziplin.

Auch Roach gehört zu den ewigen Predigern dieser altbekannten Tugenden. Von Greenspan verlangt er, dass er die Leitzinsen stärker anhebt – auch wenn dies zunächst wehtut. Sollte der Notenbank-Chef dagegen weiter zögern, so prophezeit Roach eine neuerliche scharfe Abwertung des Dollars. Was für die USA letztlich die gleichen unangenehmen Folgen hätte. Nämlich höhere Zinsen.