BILANZ: Herr Hitzfeld, Sie gelten als «Erfolgstrainer». Was heisst Erfolg für Sie ganz persönlich?

Ottmar Hitzfeld: Erfolg heisst, den definierten Auftrag mit Erfolg auszuführen. Den Auftrag, den ein Trainer von der Vereinsführung bekommen hat, den ich auch mir gegenüber selbst erfüllen will.

Was heisst das konkret?

Dass man Fussballspiele zu gewinnen hat. Das erwarten auch die Millionen von Fans von ihrer Mannschaft. Erfolgreich zu arbeiten, heisst auch, dass man viele Leute glücklich macht, dass man sich selbst glücklich macht. Hinzu kommt, dass ein Verein wirtschaftlich profitabel sein muss. Bayern München, mein letzter Verein, ist ja auch ein grosses Unternehmen. Es gilt also auch, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.

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Ist Letzteres die Aufgabe des Trainers? Bei Bayern heisst der Manager ja Uli Hoeness.

Ich bin der Angestellte, der den Erfolg zu bringen hat. Dafür werde ich bezahlt. Das beinhaltet auch Managementfunktionen, weil man eine Mannschaft nicht nur trainiert, sondern auch managt.

Inwiefern?

Die Spieler müssen auch neben dem Platz ausgebildet werden. Sie müssen lernen, wie man sich gegenüber der Presse verhält, wie man mit Sponsoren umgeht. Und immer geht es auch darum, ihnen Disziplin beizubringen und den respektvollen Umgang untereinander.

Sie sagen: Erfolg ist gleich gewinnen. Das heisst jeden Gegner schlagen auf dem Fussballplatz?

Das heisst, drei Punkte zu holen, und das Ergebnis muss stimmen. Mein Ansehen als Trainer steigt ja nicht mit den Prozessen, die ich initiiere innerhalb der Mannschaft. Sondern mit dem Produkt, das ich fabriziere, also mit dem Ergebnis. Ich kann gute Trainingsarbeit leisten, ein gutes Verhältnis pflegen mit der Mannschaft und mit den Sponsoren, aber wenn wir verlieren, habe ich meinen Auftrag nicht erfüllt. Bei den Bayern zählt am Ende der Saison nur der Titel. Nicht der zweite Platz, nicht schwarze Zahlen. Nur der Titel.

Der sportliche Erfolg wiegt mehr als der wirtschaftliche Erfolg?

Bei einem Verein wie Bayern muss beides im Einklang stehen. Natürlich muss und will man schwarze Zahlen schreiben und keine Schulden machen. Dazu muss man einige Runden in der Champions League überstehen oder im DFB-Pokal weit vorne dabei sein und um die deutsche Meisterschaft mitspielen. Gelingt dies, ist die Saison wirtschaftlich ein Erfolg. Aber gemessen wird der Trainer immer nur an den gewonnenen Titeln.

Bei Ihrem Abgang bei Bayern waren die ökonomischen Ziele erreicht, aber sportlich ...

... klar, wir wurden nur Zweiter in der Meisterschaft. In der Champions League waren wir im Achtelfinale gegen Real Madrid ausgeschieden. Wir hatten das Pech, dass wir gegen den spanischen Meister spielen mussten, als der noch in einer besseren sportlichen Verfassung war als heute. Der Sieg in der Champions League ist natürlich das Mass aller Dinge.

Und es ist unmöglich, das immer zu erreichen. Wie gehen Sie damit um?

Die Messlatte wird bei den Bayern von Jahr zu Jahr immer höher gelegt, und irgendwann wird man das Opfer seines eigenen Erfolgs. Man war ja erfolgsverwöhnt ...

Sprechen Sie da von sich selbst?

Ja. Ich habe die Messlatte selber hoch gelegt, weil ich insgesamt acht Titel geholt habe. Im letzten Jahr haben wir dann aber keinen Titel geholt. Das ist für Bayern natürlich zu wenig. Wenn man den Auftrag nicht erfüllt, hat der Verein auch die Berechtigung, sich vom Trainer zu trennen.

Also ist immer der Trainer schuld am Misserfolg?

Langfristig schon. Unmittelbar nach dem Spiel werden ja die Spieler kritisiert: der Torwart, der den Ball reinlässt, der Stürmer, der das Tor nicht trifft. Aber wenn der Erfolg längerfristig ausbleibt, ist immer der Trainer der Sündenbock. Das gehört zum Job. Dafür verdient der auch viel Geld, Schmerzensgeld inbegriffen.

Damals bei Bayern haben Sie das nicht eine Sekunde als ungerecht empfunden?

Nein, weil ich selber die Leistungskriterien vorlebe und diese Ansprüche auch an die Mannschaft stelle.

Das bedeutet, dass jeder erfolgreiche Trainer bei Bayern entlassen wird, sobald er nachlässt?

Das ist die logische Folge. Darum bin ich auch der Trainer, der am längsten – sechs Jahre – bei den Bayern war.

Darauf sind Sie auch heute noch stolz?

Ja. Dies ist ein grosser Erfolg.

Wie haben Sie gemerkt, dass Ihre Zeit abläuft?

Ich habe ja sehr gut begonnen. Wir wurden dreimal hintereinander deutscher Meister, waren zweimal im Finale der Champions League und zweimal im DFB-Pokal-Finale. Dann haben wir die Champions League gewonnen, den Weltpokal gewonnen. Wir haben alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Das war das erfolgreichste Jahr in der hundertjährigen Geschichte des FC Bayern München. Deshalb habe ich im Juli 2001 meinen Rücktritt angeboten.

Warum sind Sie nicht gegangen?

Uli Hoeness hat gesagt, das kommt überhaupt nicht in Frage. Er dulde das nicht. Ich hätte einen Vertrag, den es zu erfüllen gelte. Ich wusste zu dem Zeitpunkt ja schon, dass nun die Uhr tickt und der Zeitpunkt kommen wird, wo die Erwartungen nicht mehr zu erfüllen sind.

Wie sind Sie mit dem Druck umgegangen?

Es ist eine schwierige Situation. Man spürt, dass der Job vielleicht nicht mehr so viel Freude bereitet wie auch schon. Aber es ist ein Job, den man zu erfüllen hat.

Bei Bayern kommt hinzu, dass sich in der Teppichetage zahlreiche ehemalige Nationalspieler tummeln: Hoeness, Rummenigge, Beckenbauer ...

...wir haben immer ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis gehabt bis heute ...

...gerade Beckenbauer hat ja kurz vor Ihrer Demission öffentlich gesagt, es reicht nicht. Hat die Diskussion...

Na ja, der Franz. Er gibt immer Interviews und wird gefragt und ist ja auch «Bild»-Kolumnist, und da muss er ja immer etwas von sich geben. Wir haben trotzdem ein gutes Verhältnis gehabt. Es hat mich nicht berührt, wenn er mal Kritik geäussert hat. Das gehört zum Business.

Seltsam ist aber, dass Beckenbauer Sie als Bayern-Trainer weghaben wollte, um Sie wenig später als möglichen Bundestrainer wieder ins Spiel zu bringen. Wie geht das zusammen?

Das müssen Sie Beckenbauer fragen. Es zeigt aber seine Wertschätzung mir gegenüber.

Dennoch sind Sie nicht Bundestrainer geworden. Warum nicht?

Weil ich nach der intensiven Zeit bei Bayern ziemlich müde war. Ich wollte mir und meiner Familie eine Auszeit gönnen. Gesundheitliche Gründe und die Einsicht, dass man sich nicht überschätzen sollte, haben mich bewogen, Nein zu sagen.

Wenn man Sie so reden hört, haben Sie die Brille des Trainers aber nie abgelegt.

Nein, wahrscheinlich nicht. Das ist Teil meines Lebens. Wenn man Trainer ist, dann ist man das mit Haut und Haaren. Ein Job, der einen rund um die Uhr beschäftigt und bei dem man nachts aufwacht, weil man weiss, dass man ganz entscheidende Dinge zu regeln, wichtige Entscheidungen zu treffen hat.

Haben Sie nie Zweifel gehabt, ob sich dieser Stress überhaupt lohnt?

Nein, nie. Ich bin pflichtbewusst, und wenn ich einen Vertrag unterschrieben habe, dann versuche ich, für den Verein das Optimum zu leisten.

Sie haben seit einem Dreivierteljahr keinen Vertrag. Schlafen Sie besser?

Ich schlafe absolut gut. Ich habe eine neue Lebensqualität kennen gelernt. Da kommen schon Überlegungen auf, ob man den ganzen Druck noch einmal haben muss.

Sie haben sich noch nicht entschieden, wieder einzusteigen?

Ich bin einfach offen für verschiedene Dinge. Beim Fernsehen bin ich für Premiere als Fussballkommentator tätig. Ich muss mir überlegen, ob ich mich da längerfristig engagiere, ob ich nochmals eine Spitzenmannschaft trainiere oder vielleicht in China oder Japan ein fussballerisches Abenteuer eingehe. Ich weiss es noch nicht. Alles ist möglich.

Was muss heute ein junger Mensch mitbringen, der Trainer werden will?

Wenn man etwas macht, muss man davon überzeugt sein und Vertrauen haben in die eigenen Stärken, Ehrgeiz entwickeln und druckresistent sein. Und ein Trainer muss ein guter Psychologe sein, der sich situativ verhalten und den Druck von der Mannschaft wegnehmen kann.

Wo haben Sie das gelernt?

Nach der Ausbildung zum Sportlehrer bin ich mit 35 Fussballtrainer geworden und habe mir beim Sportclub Zug gleich den schwierigsten Trainerjob ausgesucht, den man sich denken kann: Der Bauunternehmer Werner Hofstetter hatte viel Geld in die Mannschaft investiert, aber auch die Spieler wie Leibeigene behandelt. Da gab es zwischen ihm und mir immer viel Zoff. Ich musste mich durchsetzen, musste die Spieler schützen vor dem Geldgeber, aber mich auch nicht zu sehr vor die Mannschaft stellen, weil ich ja auch Angestellter von Hofstetter war. Bezüglich des psychologischen Geschicks war dies meine Doktorarbeit.

Wann haben Sie angefangen, von grossen Namen zu träumen: Bayern, Real ...?

Als ich bei den Grasshoppers Trainer war. Ich war mit 39 Jahren schon beim besten Klub der Schweiz und wurde zweimal Schweizer Meister. Danach gab es ja nur noch die Bundesliga, den nächsten Schritt, den ich bestehen musste: Borussia Dortmund, Bayern.

Was bleibt als Steigerung? Real Madrid?

Nein, wenn ich jetzt zu Real Madrid oder Manchester United gehen würde, dann wäre das das Gleiche, wie wenn ich bei Bayern anheuren würde.

Bayern ein zweites Mal?

Bayern ein zweites Mal wäre vielleicht eher möglich, weil ich dort ja einigen Erfolg hatte und persönliche Beziehungen da sind. Das wären gute Voraussetzungen, um erfolgreich zu arbeiten. Aber das ist nicht das Ziel.

Oft heisst es, die Profi-Truppe von Bayern sei untrainierbar. Wie formen Sie aus einem Haufen Egoisten ein Team?

Das ist ein permanenter Prozess, der den Trainer jeden Tag fordert. Es gilt, das Bewusstsein zu fördern, dass nicht die besten Einzelspieler eine erfolgreiche Mannschaft darstellen, sondern die beste Mannschaft aufs Feld muss, in der jeder für den andern rennt. Teamwork, Teamgeist stehen im Vordergrund.

Das klingt gut. Wie setzen Sie das um?

Voraussetzung ist, dass Werte wie Respekt und Achtung gelten im Team. Das gilt auch im Umgang mit den Fans. Jeder Profi muss wissen, wie wichtig die Ware Fussball ist für die Bevölkerung. Und schliesslich bemühe ich mich selber auch um einen ehrlichen Umgang mit den Spielern, damit sie mir vertrauen können. Unter dieser Voraussetzung kann ich sie bei Fehlleistungen auch hart anpacken und Sanktionen aussprechen. Ich habe bei Bayern Stars immer mal wieder büssen müssen; in Einzelfällen mit 100 000 Franken.

Wofür?

Weil sie beispielsweise zwei Tage zu spät ins Trainingslager eingerückt sind. Es geht um die Disziplin innerhalb der Mannschaft. Wenn ich da ein Auge zudrücke, dann habe ich keine Disziplin mehr.

Dennoch sind ja innerhalb einer Gruppe niemals alle gleich. Es gibt informelle Hackordnungen.

Die Hackordnung ist ja auch sehr wichtig, weil es immer Entscheidungsträger braucht. Wenn drei Leute zusammenarbeiten, kann man auch nicht zu dritt entscheiden. Es muss immer jemanden geben, der mehr Verantwortung übernimmt, der vielleicht auch ein bisschen cleverer ist als die anderen zwei. Ich fördere das absolut. Wichtig ist, dass man kommuniziert und diskutiert. Irgendwann aber muss entschieden werden.

Wie finden Sie Ihre Vertrauten innerhalb eines Kaders von 25 Spielern?

Als Trainer muss man sich ein klares Bild der Mannschaft machen; ich muss wissen, auf welchen Spieler ich mich verlassen kann. Bei der Selektion frage ich mich: Welcher Spieler ist druckresistent, welcher bringt auch die Leistungen auf dem Platz, wenn es einmal 2:0 steht für den Gegner? Wie reagiert einer, wenn ich ihn auf die Bank setze, wenn ich ihn auswechsle? Führungsnaturen können mit derartigen Situationen umgehen, und auf diese muss ein Trainer setzen.

Sind Sie gegen Enttäuschungen gewappnet?

Es funktioniert, wenn der Trainer nicht darauf baut, nie enttäuscht zu werden. Man darf von einem Spieler auch nicht allzu viel verlangen. Bei jeder Mannschaftssitzung muss ich damit rechnen, dass die Presse erfährt, was ich gesagt habe.

Wählen Sie die Worte dementsprechend?

Natürlich. Wenn ich ein persönliches Gespräch führe mit einem Star, muss ich damit rechnen, dass ein Mitspieler es erfährt. Ich kann immer nur das formulieren und kundtun, was alle wissen dürfen.

Haben Sie schon einmal einen Spieler entlassen, der Interna ausgeplaudert hat?

Selbstverständlich. Man muss ja rechtzeitig die faulen Äpfel aussortieren. Allerdings muss ich mit faulen Äpfeln auch einmal eine Saison durchspielen, weil ich ja nicht permanent Personal auswechseln kann. Wenn ich aber merke, dass sich Subgruppen in der Mannschaft bilden mit Ersatzspielern oder Spielern, die unzufrieden sind, handle ich. Dann muss ein Trainer diese Gruppen sprengen. Auch deshalb ist eine personelle Fluktuation innerhalb der Mannschaft wichtig. Sie fördert zudem den Konkurrenzdruck.

Hohe Fluktuationen gibt es aber auch bei den Trainern.

Ja. Bei Trainern ist der Schnitt meines Wissens bei eineinhalb Jahren. Das ist jedoch kein neues Phänomen.

Es widerspricht jedoch dem Postulat der langfristigen Planung.

Im Fussball muss man zugleich kurz- und langfristig planen. Das ist ähnlich wie in einem Wirtschaftsunternehmen. Fussball heisst das nächste Spiel gewinnen. Wenn ich das nächste Spiel verliere, bin ich schon angeschossen. Zwei Spiele verlieren, und ich muss schon langsam zittern, drei Spiele verlieren, und ich bin ich schon fast weg.

Das klingt beinahe absurd.

Das hängt damit zusammen, dass viele Vorstände in den Vereinen zu wenig Ahnung vom Fussball haben. Wenn dort aber ein guter Mann sitzt, der auch sportlich versiert ist, kann er einschätzen, ob ein Trainer gute Arbeit leistet oder nicht. Der wird auch in schwierigen Zeiten zu ihm halten. Generell gibt es aber zu wenig Geduld und zu viel Unwissenheit.

Dann ist der Job des Trainers ein verdammt einsamer.

Der Trainer ist der einsamste Mensch der Welt.

Hatten Sie während Ihrer Trainerzeit eine permanente Angst vor dem Misserfolg?

Natürlich. Das ist aber auch eine starke leistungsfördernde Antriebsfeder. Motiviert sein bedeutet ja nicht nur Freude haben und Begeisterung haben für den Job, sondern kann ja auch heissen, dass man Angst hat vor dem Misserfolg. Dass man noch mehr überlegt, sich noch mehr anstrengt und Misserfolg nicht erleben will.

Ist das unter Trainern ein Thema?

Angst gehört zum Leben. Keine Angst kann nur einer haben, dem die Intelligenz fehlt zu erkennen, dass Gefahren auf ihn zukommen. Die Frage ist vielmehr, wie man mit der Angst umgeht, wie man sie in den Griff bekommt. Unter Trainern ist dies aber kein Thema, genauso wenig wie psychologische Fragen. Die sind tabu.

Wie haben Sie es gemacht?

Ich war immer Leistungssportler und habe immer auf sportlichen Ausgleich geachtet. Atem- und Entspannungsübungen; Konzentrationsübungen und mentales Training praktiziere ich seit Jahren. Wer in einem intensiven Spannungsfeld lebt, sollte auf Körper, Geist und – was wichtig ist – auch auf die Seele hören. Das Seelenleben wird ja oft unterdrückt. Jeder glaubt, unendlich robust zu sein.

Mit Ihrem Erfahrungshintergrund wären Sie der perfekte Referent für gestresste Manager. Hat Sie das nie gereizt?

Es könnte schon sein, dass dies einmal ein Thema werden kann. Aber solange ich mit dem Dasein als Trainer noch nicht definitiv abgeschlossen habe, möchte ich nicht von Firma zu Firma eilen. Ich hätte schon einiges zu erzählen, weil ich viele Kämpfe mit mir selbst durchgefochten und auch die Angst besiegt habe.