Was für ein belastender Sommer für das Anlegerherz! Noch Anfang Juni bewegten sich die Aktienmärkte auf Höchstkursen, der SMI lag bei über 9500 Punkten. Mitte August war er 1000 Punkte tiefer. Seither hat er allerdings wieder deutlich zugelegt. An einzelnen Tagen stiegen die Kurse um mehrere Prozent, um an den Folgetagen wieder um ebenso viel abzustürzen. Woran kann sich der verunsicherte Anleger orientieren?

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Der grosse britische Ökonom John Maynard Keynes hat die Börse einst mit einem Schönheitswettbewerb verglichen. Wolle man auf eine Siegerin wetten, orientiere man sich besser nicht an der Schönheit der Teilnehmenden. Viel wichtiger sei es einzuschätzen, was von den Auswählenden gerade als schön beurteilt werde. Oder noch besser: einzuschätzen, was die anderen annähmen, was als schön gelte. Genauso widerspiegeln Aktienkurse, was die Allgemeinheit der Anleger auf Börsenmärkten erwartet. Die Psyche der Anleger zu kennen, ist daher der Schlüssel zum Erfolg an den Börsen.

Mit seiner Beobachtung könnte Keynes als eine Art Vorläufer der sogenannten Behavioural Finance gelten. Diese noch relativ junge Fachrichtung der Finanzwissenschaft befasst sich vorwiegend mit der Psychologie der Anleger und damit, wie sich diese auf den Anlageerfolg auswirkt. Das wichtigste Ergebnis dieser Forschung: Profis wie Kleinaktionäre verhalten sich beim Anlegen oft irrational.

Irrational ist das Verhalten von Anlegern dann, wenn diese sich systematisch zu ihrem eigenen Nachteil verhalten, zum Beispiel indem sie systematisch auf Verliererpapieren sitzen bleiben, Gewinner zu früh abstossen, zu viel und zu teuer handeln und Gewinnmöglichkeiten unbeachtet lassen. Mit Selbsterkenntnis lässt sich daher die Performance steigern: Das erfordert einen näheren Blick auf die psychologischen Fallen der Anleger.

Da wäre einmal der «Dispositionseffekt»: Diesem irrationalen Verhalten unterliegen laut Studien mehr als die Hälfte aller Anleger. Der Dispositionseffekt bezieht sich auf die Tatsache, dass Anleger unter Verlusten weit mehr leiden, als Gewinne gleicher Grösse sie beglücken. Anleger zeigen deshalb das verheerende Verhalten, auf den Verliererpapieren in der Hoffnung sitzen zu bleiben, diese würden irgendwann wieder ihren alten Wert erreichen oder ihn sogar übersteigen. Das würde die Schmach der Verluste ausbügeln. Während sie deshalb zu lange auf Verliereraktien sitzen bleiben, verkaufen Anleger Aktien, die sich positiv entwickeln, viel zu schnell, weil sie die Gewinne rasch ins Trockene bringen wollen.

In beiden Fällen orientieren sich die Anleger übermässig am einstigen Kaufpreis. Sie handeln so, als ob sich die Aktienkurse wieder auf diesen Referenzwert zurückentwickelten. Doch die Kurse orientieren sich nicht daran, wann jemand die Papiere gekauft oder verkauft hat – sie zeigen keine im Voraus bestimmbare Richtung.

Anleger können ihren Gewinn steigern, indem sie den Frust über einen Verlust herunterschlucken, sich von Verliererpapieren so rasch wie möglich trennen sowie erfolgreiche Aktien nicht gleich wieder losschlagen. Der einstige Kaufpreis der Aktie muss ihnen egal sein.

Eine besonders heimtückische, weit verbreitete und ebenfalls teure Falle für Anleger ist die eigene Selbstüberschätzung. Anleger halten sich nicht nur für kompetenter, als sie sind, sie glauben auch, besser als die anderen abzuschneiden. Alle können aber nicht aussergewöhnlich gut sein. Und wären alle Anleger tatsächlich extrem fähig darin, die Kurse vorauszubestimmen, so würde gerade dies die Gewinnmöglichkeiten an den Börsen verschwinden lassen. Die Schnellsten unter den vielen Gescheiten würden eine positive Nachricht durch ihre Käufe immer schon ausgenutzt haben oder eine schlechte durch Verkäufe. Tatsächlich tritt dieses Resultat auf Kapitalmärkten mit starkem Wettbewerb ohnehin ein. Die Finanzmarktforschung nennt daher Aktienmärkte «informationseffizient»: Allgemein zugängliche Informationen sind immer schon in den Kursen enthalten. Aussergewöhnlich gut abschneiden kann man an der Börse nur durch Zufall und nicht mit aussergewöhnlichen Gaben.

Selbstüberschätzung hat an den Börsen verschiedene Nachteile. Einer ist, dass ihretwegen viel zu viel gehandelt wird. Wenn Anleger glauben, aus wirtschaftlichen Daten eruieren zu können, welche Aktien besonders gut laufen und welche eher verlieren, schichten sie ihr Portfolio ständig um und kaufen und verkaufen am laufenden Band. Doch das kostet jedes Mal teure Gebühren, die eine zufällig erreichte positive Performance zunichte machen: «Hin und her macht Taschen leer», lautet eine Börsenweisheit. Die Einzigen, die von einem solchen Verhalten immer profitieren, sind die Broker und die Banken.

Wenn Anleger glauben, erfolgversprechende Titel von erfolglosen unterscheiden zu können, führt ihre Selbstüberschätzung auch dazu, dass sie zu wenig diversifizieren. Einzeltitel bergen höhere Risiken, die sich durch Diversifikation in ein Portfolio mit vielen Titeln mindern lassen, ohne dass die erwartete Rendite entsprechend zurückgeht. Nicht oder nur schlecht zu diversifizieren, heisst daher, auf Rendite zu verzichten.

Wer seiner Neigung zur Selbstüberschätzung ein Schnippchen schlagen will, orientiert sich statt am kurzfristigen Kursverlauf von Einzelaktien an einer langfristigen Anlagestrategie und diversifiziert. Aktien eines ganzen Marktes zusammenzukaufen, ist allerdings für Kleinanleger oft zu teuer. Das Zauberwort, um diese Hürde zu überwinden, heisst Fonds. Und unter den Fonds empfehlen sich am meisten die Exchange-Traded Funds (ETF). Diese bilden passiv praktisch eins zu eins ganze Indizes wie den SMI ab und haben dadurch die Diversifikationsvorteile eines ganzen Marktes. Die Kosten des Fondsmanagements sind hier gering, und ETF können wie eine Aktie jederzeit gehandelt werden – was man aber wegen der Transaktionskosten nicht zu oft tun sollte.

Das grösste Hindernis, um mit Selbstüberschätzung fertig zu werden, ist die Schwierigkeit, sich diese einzugestehen. Viele Anleger werden sich auf ihre Anlageerfolge berufen und behaupten, diese seien ein direkter Erfolg ihrer vorgängigen Marktanalyse. Da Aktienkurse nicht vorausbestimmbar und alle öffentlichen Informationen schon in den Kursen enthalten sind, handelt es sich jedoch auch bei diesen Überzeugungen um weit verbreitete psychologische Fallen: Die Fachleute sprechen hier vom «Self-Serving Bias» oder von der «Kontrollillusion».

«Kontrollillusion» bedeutet, dass Menschen dazu neigen, unkontrollierbare Abläufe für kontrollierbar zu halten, und glauben, sie selber könnten darauf Einfluss ausüben. Der Self-Serving Bias ist die ebenfalls verbreitete Neigung, positive Ergebnisse dem eigenen Handeln zuzuschreiben, negative dagegen äusseren Einflüssen. Indem Aktienkurse unvorhersehbar schwanken, werden automatisch einige durch Zufall an der Börse ein besonders gutes Geschäft machen, während andere ausgeprägtes Pech haben. Wenn nun die Glücklichen ihren Anlageerfolg dem eigenen Können zuschreiben, während die Pechvögel sich als Opfer äusserer Einflüsse betrachten, so sehen beide fälschlicherweise nie einen Grund darin, an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln.

Dass von den genannten und einer Reihe weiterer psychologischer Hemmnisse ein grosser Teil der Anleger betroffen ist, gilt heute in der Forschung weitgehend als unbestritten. Weniger Einigkeit herrscht in der Frage, ob dies zu insgesamt irrationalen Märkten führe. Dann müsste es Anlagestrategien geben, mit denen diese Schwächen ausgenutzt werden könnten: Falsche oder irrationale Einschätzungen auf dem gesamten Markt könnten emotionslosen Rechnern Gewinnchancen bieten. Diese verkaufen noch so gerne Aktien zu überhöhten Preisen, oder sie kaufen sie, wenn sie zu billig verkauft werden. Doch genau hier liegt das Problem: Denn eine Minderheit an rationalen, kühlen Anlegern reicht bereits aus, um die Missgeschicke einer Mehrheit auf Gesamtmarktebene auszugleichen. Deshalb geht es durchaus zusammen, dass eine Mehrheit den psychologischen Fallen erliegt, auf dem Gesamtmarkt aber dennoch nichts mehr davon übrig bleibt.

Einige Fondsanbieter nehmen dennoch für sich in Anspruch, im Aufbau ihrer Anlagen von den Erkenntnissen der Behavioural Finance zu profitieren, so die liechtensteinische LGT Bank mit ihrem Fonds LGT Equity Fund Global Sector Trends. Spezifische Anlagestrategien, wie etwa die sogenannte Contrarian-Strategie, werden zuweilen ebenfalls auf Behavioural-Finance-Erkenntnisse zurückgeführt. Gemäss Contrarian-Strategie kauft man Titel, die lange schlecht rentiert haben, und verkauft jene, die lange überaus erfolgreich waren. Der Zusammenhang zur Behavioural Finance: Man profitiert vom Hang der Anleger zu Übertreibungen, die unweigerlich zu Korrekturen führen müssen. Tatsächlich zeigte sich für die Contrarian-Strategie in der Vergangenheit zuweilen eine höhere Rendite, als sie im Gesamtmarkt zu erzielen war.

Professor Martin Weber von der Universität Mannheim, Autor des Bestsellers «Genial einfach investieren» und einer der Cracks im Bereich der Behavioural Finance, hat jedoch seine Zweifel: «Dass sich die psychologischen Fallen der Anleger aggregiert auf den Gesamtmärkten zeigen, konnte bisher noch nie nachgewiesen werden.» Auch die Contrarian-Strategie hat seiner Meinung nach nichts mit Behavioural Finance zu tun: «Es hat doch nichts mit Marktpsychologie zu tun, dass Unternehmen, deren Aktien über lange Zeit schlecht abschneiden, etwas dagegen unternehmen, genauso wie Börsenstars kaum ewig outperformen werden», erklärt er.

Und was meint der Fachmann zu Börsenbubbles wie jenen Ende der neunziger Jahre, als die Aktienkurse sich von jeder realen Gewinnsituation ihrer Unternehmen abgekoppelt hatten und nur noch steil nach oben zeigten? «Was nützt es dann, alleine recht zu haben?», fragt Professor Martin Weber und fährt fort: «Wenn der Gesamtmarkt tatsächlich ineffizient funktioniert, braucht es seine Zeit, bis die Informationen verarbeitet werden.» In jenen Jahren gegen den Trend steil steigender Kurse zu spekulieren, wäre frustrierend gewesen. Lange wäre man als Verlierer dagestanden. Ausbezahlt hätte sich dies nur langfristig. Doch «langfristig sind wir alle tot», wie es John Maynard Keynes ausgedrückt hat. Entsprechend wenig richten wir uns danach aus – oft zu unserem Nachteil.