Der Filmgigant Arnold Schwarzenegger schüttelt in Fernsehspots für den Energieriesen E.on Haushaltsgeräte und fordert «Mix it, Baby». Der Fussballkaiser Franz Beckenbauer findet das Leben ohne seine gelbe Tapete, sein gelbes Sofa und natürlich den gelben Strom von Yello nicht mehr lustig. So weit das Bild, das die werbende Wirt- schaft in Deutschland im Auftrag der Energiebranche an die Öffentlichkeit transportiert. Jung und dynamisch, voller Pep und Power. Kein müder Amtsschimmel trabt mehr durch die Büros der Versorger, die sich jetzt Service-Provider und Multi Utilities nennen – alles zum Wohle des Abnehmers, der jetzt Kunde und damit König ist.

Doch Wettbewerb bedeutete zunächst nicht gleich Kampf um den Kunden, sondern Wettbewerb um die Leitungsnetze, die als natürliche Monopole weiterhin in der Hand der bisherigen Gebietsversorger bleiben. Deshalb wurde im Energiewirtschaftsgesetz die Entflechtung der Betriebsbereiche der bis dahin integrierten Energieversorger festgeschrieben. Erzeugung, Vertrieb und Netzbetrieb müssen seither voneinander getrennt sein wie eigenständige Unternehmen. Sonst liesse sich kaum beurteilen, ob die Netzbetreiber ihrer Verpflichtung nachkommen, ihre Netze Dritten diskriminierungsfrei für die Belieferung von Kunden in diesem Netzgebiet zur Verfügung zu stellen, und zwar zu den gleichen Konditionen, die für die eigene Vertriebsabteilung gelten.

Dies war aber erst der Rahmen. Die konkreten Spielregeln mussten noch aufgestellt werden. Wie es sich für einen richtigen Liberalen gehört, ging der damalige FDP-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt davon aus, dass die Marktteilnehmer selbst am besten wissen, was für sie das Beste ist, und dass sie sich dann am ehesten an die Spielregeln halten, wenn sie diese selbst aufgestellt haben. Die Ermächtigung, die Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang über eine Verordnung zu regeln, nahm er deshalb nicht in Anspruch. Stattdessen unterschrieben die Vertreter der Energiewirtschaft und der Energieverbraucher eine so genannte Verbändevereinbarung, die als eine Art «freiwillige Selbstverpflichtung» einen fairen Wettbewerb gewährleisten soll.

Für den Alltag untaugliche Regelung
Die erste Fassung der «Verbändevereinbarung über die Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie» vom Mai 1998 war jedoch so sperrig, wie ihr Name vermuten lässt. Die Verbandsvertreter ernteten heftige Kritik dafür, dass sie es nicht geschafft hatten, transparente Kriterien zur Bestimmung der Netznutzungsentgelte zu finden, und ausserdem keine handelstauglichen Abwicklungsmechanismen festgelegt hatten. Angebote an wechselwillige Kunden im Netzgebiet eines Konkurrenten wollten deshalb zu dieser Zeit nur wenige Energieversorger abgeben. Denn das Rechtsgefüge war löchrig wie ein Emmentaler, und so fanden die Netzbetreiber immer wieder Schlupfwinkel, aus denen heraus sie den Durchleitungbegehrenden Steine in den Weg warfen.

Fast 19 Monate musste sich die Energiewirtschaft mit der «Verbändevereinbarung I» herumquälen, bevor im Dezember 1999 eine zweite Fassung vorgelegt wurde, die bis Ende 2001 gültig ist. Eine wesentliche Vereinfachung stellte der Übergang vom transaktionsabhängigen Durchleitungsentgelt zu einem transaktionsunabhängigen Netztarif dar – damit wurde der Stromhandel börsenfähig. Zwar haben sich die Väter der Verbändevereinbarung mit der zweiten Fassung etwas mehr Mühe gegeben als beim ersten Versuch, doch lässt das Abkommen den Wettbewerbsverhinderern immer noch viele Entfaltungsmöglichkeiten.

Fachleute streiten gerade intensiv darüber, welche vertraglichen Beziehungen eigentlich zwischen dem Kunden, dem Netzbetreiber und dem Lieferanten bestehen. Und vor wenigen Wochen hat das Bundeskartellamt Untersuchungen gegen 22 nicht näher genannte Stadtwerke, Regionalversorger und Verbundunternehmen wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Durchleitungsentgelte eingeleitet. Die bundesweit teuersten Entgelte lägen derzeit 300 Prozent über den günstigsten, beschwerte sich jüngst der Verband der Energieabnehmer (VEA) in Hannover.

Da verwundert der Ruf nach einem Energieregulator nicht, den es ausser in Deutschland in allen anderen EU-Staaten gibt. Die Europäische Kommission hat bereits mehrfach verlauten lassen, dass sie mit dem, was sich in Deutschland Wettbewerb nennt, nicht zufrieden ist und am liebsten einen Regulator verordnen würde. Dass sich Wirtschaftsminister Werner Müller von der Energiewirtschaft nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen will und ihm hin und wieder fast der Kragen platzt ob des lässigen Umgangs einiger Energieversorger mit den Regeln des Wettbewerbs, konnten Energiekonferenzgänger mehrfach erleben. Aber immer noch wehrt sich Müller gegen einen Regulator, der Netznutzungstarife genehmigen beziehungsweise festsetzen kann. Die Energiewirtschaft, bis auf das Enfant terrible der Branche, den EnBW-Chef Gerhard Goll, sieht beim Thema «Regulierungsbehörde» die Gefahr des Rückfalls in die finsteren Zeiten sozialistischer Staatswirtschaft. Die Verbändevereinbarung wird es schon richten, meinen die Herren der Netze. Fraglich nur, ob mit der dreizehnten oder dreissigsten Fassung.

Preisdruck lässt Gewinne schmelzen
Ende 2000 hatten die Endkundenpreise ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. Damals waren noch die Goldgräber unterwegs, die glaubten, mit Dumpingpreisen im Industriekundensegment einen Erdrutsch auslösen zu können und bald Millionen von Haushaltskunden die Rechnung schreiben zu dürfen.

Der Preisdruck zwickte letztlich alle Energieversorger an ihrem Speckring und liess die fetten Umsätze und Gewinne schmelzen. Die Geplagten entdeckten plötzlich, dass Marketing und Vertrieb zu ihren Kernkompetenzen gehören sollten, dass sie Kunden mit günstigen Preisen und Service gewinnen und Kunden binden müssen, ohne sie zu knebeln.

Seit etwas mehr als einem Jahr steigen die Preise wieder. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Ökosteuer seien schuld, sagen die Energieversorger und verlangen von ihren Kunden fast wieder so viel Geld für den Strom wie 1998. Die Privatkunden nehmen es bisher gelassen, genauso, wie sie den Preisrutsch registriert haben, ohne in Wechseleuphorie zu verfallen. Denn mit einem riesigen Werbeaufwand hat der erfolgreichste Akquisiteur, Yello, gerade einmal 750 000 Kunden gewonnen.

Die Ware Strom bietet eben nicht genügend Identifikationspotenzial als Lifestyle-Produkt. Die Energieversorger wird es freuen. Schliesslich wird mit der Masse der Haushaltskunden das grosse Geld verdient und nicht mit den Industriekunden, die geschickte Preisverhandlungen führen und von ihrem Versorger oft schon einen kräftigen Nachlass erhalten, wenn sie nur die Kontakte zu einem neuen Anbieter erwähnen. Aber ihre Werbemillionen werden die Energieriesen weiterhin ausgeben – zumindest um die eigenen Eitelkeiten zu pflegen.


Die Liberalisierung des deutschen Strommarktes
April 1998
Die Märkte für Elektrizität und Gas werden vollständig geöffnet; Netzbetreiber müssen Dritten einen diskriminierungsfreien Zugang zu ihren Netzen gewähren (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG).

Mai 1998 VDEW, BDI und VIK schliessen ein freiwilliges Abkommen über die Regeln für den Netzzugang und kommen so einer Verordnung des Wirtschaftsministers zuvor (Verbändevereinbarung I).

August 1998 Die ersten Stadtwerke kündigen ihre bisherigen Lieferverträge und schliessen sich neuen Lieferanten an (meist ausländische Händler) – der Streit um die grundsätzliche Gültigkeit von Altverträgen beginnt.

Oktober 1998 Die ersten Verbundunternehmen straffen ihre Regionalversorgung.

November 1998 Börseninitiativen in Hannover (Niedersächsisches Wirtschaftsministerium), Düsseldorf (Rheinisch-Westfälische Börse) und Frankfurt (Deutsche Börse AG) konkurrieren öffentlich um den Standort einer deutschen Strombörse.
Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) veröffentlicht eine erste Übersicht über Durchleitungsentgelte.

Januar 1999 Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch 6. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom 1.1.1999.
Deutsche Börse AG kündigt Gründung einer deutschen Strombörse für Terminkontrakte an.

Februar 1999 Freistaat Sachsen, Stadt Leipzig und Sachsen LB unterzeichnen Absichtserklärung zur Gründung einer Strombörse in Leipzig.
Immer mehr grosse Industriekunden wechseln ihren Versorger und bündeln ihren Strombezug – die Streitfälle bei Stromdurchleitungen häufen sich.

März 1999 Bundeskartellamt kündigt Musterverfahren wegen Durchleitungsverweigerungen an.

Juni 1999 Vertreter der deutschen Energiewirtschaft sprechen sich für Frankfurt als Standort einer deutschen Strombörse aus und geben der Deutschen Börse AG das Mandat.
Die Leipziger Strombörseninitiative kündigt an, ebenfalls einen Handelsplatz zu etablieren.

August 1999 Yello startet Werbeoffensive für Privatkunden.

September 1999 SPD-Bundestagsfraktion diskutiert über Möglichkeiten, die Stadtwerke vor dem Verdrängungswettbewerb zu schützen.

Oktober 1999 HEW gibt eine Kundenkarte heraus; Kooperationspartner sind Gastronomen, Händler und Dienstleistungsunternehmen.

Dezember 1999 Ermittlung von Netznutzungsentgelten auf der Basis kalkulatorischer Kosten anhand eines Vergleichs mit den Konditionen vergleichbarer Netzbetreiber (Verbändevereinbarung II).

Februar 2000 Erneuerbare- Energien- Gesetz wird verabschiedet; es sichert den Einspeisern regenerativ erzeugten Stroms eine Mindestvergütung zu.

Juni 2000 Leipzig Power Exchange (LPX) startet den Handel mit physischem Strom (Spotmarkt). Veba und Viag fusionieren zu E.on.

August 2000 Die European Energy Exchange (EEX) startet den Handel mit physischem Strom (Spothandel).

September 2000 RWE und VEW fusionieren zu RWE.

Dezember 2000 Die Strompreise für Haushaltskunden sinken zwischen 1995 und 2000 um 8 Prozent; im gleichen Zeitraum sinken sie für alle Verbraucher um durchschnittlich 26 Prozent.

März 2001 EEX startet den Handel mit Stromderivaten (Terminhandel) am 1.3.2001.

August 2001 Das Bundeskartellamt richtet eine neue Beschlussabteilung ein, um gegen die Wettbewerbsbehinderungen durch Netzbetreiber effektiver vorgehen zu können.

Oktober 2001 EEX und LPX kündigen ihre Fusion zur EEX AG, Leipzig, an.
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